Auf die Plätze, fertig… Adam

„Man kann seiner Bestimmung lange davonlaufen. Aber sie holt einen ein.“
Günther Kraftschik

von Anna-Pia Kerber

von Anna-Pia Kerber

 

 

Adam würde diesen Satz sicher bestätigen. Natürlich könnte er es so nicht formulieren. Adam würde sagen: „Früher sollte ich mich immer ausruhen. Aber ich wollte mitmachen.“ Mitmachen, das heißt in seinem Fall arbeiten. Leben. So wie jeder andere. Aber das traute ihm niemand zu. Und deshalb traute er sich selbst lange nichts zu.

Heute ist ein besonders geschäftiger Tag im Café. Die Gesprächsfetzen der Gäste wehen in die Küche, es liegt ein eifriges Summen in der Luft. Der Duft nach Kaffee und Kuchen umhüllt Adam bei der Arbeit wie eine weiche Decke. Adam liebt diesen Duft. „Das riecht so warm. Wie früher bei Oma.“

An seine Oma denkt Adam gerne zurück. Sie war die erste, die ihn ernst nahm. „Ich durfte ihr nachmittags Kaffee einschenken. Zuhause durfte ich das nicht. Meine Mutter hatte Angst, dass ich die Kanne fallenlasse und mich verbrenne.“ Er denkt einen Moment nach. „Einmal ist mir das auch passiert. Danach durfte ich nie wieder den Tisch decken.“

ADAM

 

Dann fällt ihm wieder ein, wie das war. Er zeigt seine Hand. Da ist eine kleine, weiße Narbe auf seinem Handrücken, wo ihn der heiße Kaffee verbrüht hat. „Hat vielleicht auch wehgetan. Kann mich nicht erinnern.“ Es ist das Verbot der Mutter, das hängenblieb, nicht der Schmerz. Was ihn schmerzte, war die Tatsache, dass man ihn seither in Watte packte. Dass ihm das Recht abgesprochen wurde, sich auszuprobieren und auch mal etwas zu riskieren. Auch das würde Adam anders ausdrücken. In seiner Welt werden die Dinge so beschrieben, wie sie sind. So, wie er sie fühlt.

Adam war im Sprechen schon immer langsamer als die anderen. Zu Hause fiel ihm das nicht so auf. Aber wenn Gäste kamen, wurde Adams Tempo zum Problem – da beendeten die Eltern für ihn die Sätze. Ganz anders seine Großmutter. Wieder war sie es, die mehr Geduld aufbrachte. Und Vertrauen. Sie riet ihm, mutig zu sein. Sie sagte: „Lass dich nicht für dumm verkaufen.“ Wenn seine Großmutter heute sehen könnte, dass er einen richtigen Job gefunden hat, wäre sie stolz auf ihn. Leider lebt sie nicht mehr. Sie war es, die den Eltern riet, Adam etwas zuzutrauen.

ADAM 1

 

Genau wie die Lehrer der Startbahn. In dieser speziell ausgerichteten Arbeitsschule in Fulda sah man sich Adams Fähigkeiten genau an und versuchte herauszufinden, wo seine Stärken liegen. Doch das war erst später. Zunächst war Adams Start ins Berufsleben blockiert. Adam kam von der Förderschule und die meisten sahen seine Zukunft nicht besonders rosig. „Ich hab immer nur Werkstatt gehört“, erinnert er sich. Damit meinten sie die beschützenden Werkstätten, wo man Menschen wie Adam aufnimmt. Menschen, die langsamer arbeiten als andere. „Werkstatt …“ Nachdenklich betrachtet er die Kaffeetassen, die er ordentlich in die Spülmaschine gestapelt hat. „Dann hab ich mal gefragt, was das überhaupt heißt.“ Er schüttelt den Kopf, rückt die Tassen zurecht. „Da sitzen dann alle Langsamen zusammen am Tisch und drehen Kugelschreiber zusammen. Ist ja vielleicht ganz schön. Aber können Sie sich das vorstellen, ein Leben lang immer nur so was machen?“

 

„Wer die Freiheit aufgibt, um
Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.“

Benjamin Franklin

 

Die Eltern konnten sich das vorstellen. „Was soll er denn sonst machen?“, fragten sie immer wieder. „Er schafft doch keine normale Ausbildung. Wäre die Werkstatt nicht die einfachste Lösung?“

ADAM 2

 

Adam zweifelte. Er regte sich auf. Er war ratlos. Immer hieß es nur: „Der Junge soll sich doch wohlfühlen“. Und weil man ihm immer wieder anfallende Arbeiten abnahm, wurde Adam bequem. Er selbst sieht das so: „Klar wurde ich faul. Ich durfte ja nichts machen.“ Bei jedem Handgriff kam man ihm zuvor. Mit diesem gönnerhaften Ausdruck im Gesicht. Mit diesem nachsichtigen Lächeln, mit dem man manchmal Kinder ansieht. Oder Schwachköpfe. Adam kennt das Wort gönnerhaft nicht. Aber er weiß besser als jeder andere, was es bedeutet.

Als Adam die Startbahn kennenlernte, spürte er schnell, dass ihm hier etwas zugetraut wurde. Die Lehrer dort kennen das Problem von Förderschülern: Wenn die Agenturen für Arbeit dem Abgänger „fehlende Ausbildungsreife“ attestieren, schwindet ihre Chance auf berufliche Bildung radikal. Statt echter Arbeit, an der man wachsen kann, droht bloße Beschäftigung – und das lebenslang. Damit will man sich in der Startbahn nicht zufriedengeben. Deswegen gibt es hier die sogenannten Ausbildungsbausteine. Sie bilden ein System, das eine „gewöhnliche“ Ausbildung in verschiedene Teilbereiche aufsplittet: Wer kein Koch werden kann, wird Kartoffelzubereiter. Wer kein Eis-Fachverkäufer werden kann, wird Eisportionierer. Ganz einfach. Jeder kann etwas werden. „Ich habe denen gesagt, dass ich gerne mit Geschirr umgehe. Und dass ich es gerne sehe, wenn es Kaffee und Kuchen gibt, denn damit sehen die Menschen so glücklich aus.“ Und man hörte ihm zu.

Die Lehrkueche der Startbahn

Die Lehrkueche der Startbahn

 

Zum ersten Mal entwickelte Adam Eigeninitiative. Während seiner Ausbildung im Berufsfeld Lebensmittel & Service entwickelte er einen Feuereifer, der den Eltern fremd gewesen war. Sie verstanden: Adam hatte ein Ziel.

Dieses Ziel existierte aber nicht nur in Adams Kopf. Er würde es auch in seinen Händen halten können in Form eines Zertifikats, das ihm offiziell bescheinigen würde, einen bestimmten Beruf ausüben zu können. Dafür begann Adam zu kämpfen. Es gab so vieles, das er lernen musste, und immer wieder vergaß er etwas. Trotzdem gab er nicht auf.

Adam musste lernen, sich an Regeln zu halten. „Ich kann unter Zeitdruck arbeiten“, war eine der Voraussetzungen. „Ich arbeite auch abends und am Wochenende.“ – „Ich arbeite ordentlich und halte meinen Arbeitsplatz sauber!“ Auch grundlegende Dinge wurden durchgesprochen: „Ich bin gepflegt.“ – „Ich esse nicht heimlich von Lebensmitteln.“ Hygienevorschriften konnte Adam sich leicht merken. Womit er nicht so gut umgehen konnte, waren Mengen und Gewichte. „Ich hab’s einfach nicht geschafft, die Waage zu bedienen“, gesteht er. Deswegen wurde mit ihm gemeinsam entschieden, einen anderen Ausbildungsbaustein anzustreben.

Als Adam alle geplanten Ausbildungsbausteine erfolgreich absolviert hatte, gelang es ihm tatsächlich, in einem bekannten Fuldaer Café angestellt zu werden. Das Zertifikat, ausgestellt von der IHK, überzeugte seinen jetzigen Arbeitgeber, einen offenherzigen Mann: So einen wie Adam konnte er brauchen.

„Hier ist immer was los.“ Adams Augen leuchten. Endlich ist er mittendrin im Geschehen. Seine Aufgaben waren zunächst Spülen, Geschirreinsammeln und Tischeabwischen. Einfache Aufgaben, die er bald wie im Schlaf beherrschte. Dann kamen die nächsten Schritte. Immer öfter bediente er seine geliebte Kaffeemaschine. Inzwischen geht er sogar auf Gäste zu, erkundigt sich nach ihren Wünschen und kreuzt diese auf einer Liste mit Symbolen an. „Es kommen viele Leute ins Café, die in Fulda Urlaub machen.“ Anfangs verunsicherte ihn das. Inzwischen bringt Adam sogar den Mut auf zu fragen, wo die Gäste herkommen. Fragt man seine Kollegen, bekommt man ein Lächeln und ein Achselzucken: „Ob an Adam etwas anders ist? Klar. Jeder ist anders. Aber bei der Arbeit sind wir alle gleich.“

Durch die Arbeit im Café hat Adam auch gelernt, eigene Entscheidungen zu treffen. Heute ist er selbstbewusster. Er kann seine Wünsche in Worte fassen. Und weil ein freidenkender Mensch nicht dort stehen bleibt, wo ihn der Zufall hinstößt (Heinrich von Kleist), hat Adam beschlossen, von zu Hause auszuziehen. Seiner Oma würde das gefallen. Sie hat ihm ihr Kaffeeservice vererbt, und Adam träumt davon, es in seinen eigenen Schrank zu stellen. Nachdenklich fällt sein Blick noch einmal auf die Narbe an seiner Hand. „Komisch“, sagt er langsam, „seit ich hier arbeite, ist mir nie wieder was runtergefallen.“

Adam hat sich seinen Platz in der Welt erobert. Aber unser Adam existiert nicht. Wir haben ihn erfunden, um zu zeigen, wie das Leben für außergewöhnliche Menschen auch verlaufen könnte. Voll Selbstbestimmung. Voll Mut. Und mit einer großen Portion Lebensvorfreude. Schade, dass es Adam nicht gibt. Noch nicht.

von Anna-Pia Kerber

 

 

 

 

 

Startbahn

 

Die Startbahn ist ein Zentrum für Ausbildung und Berufsvorbereitung. Sie ebnet jungen Menschen den Weg in ein sozialversicherungs-pflichtiges Arbeitsverhältnis. Einen wichtigen Schritt dorthin bilden die Ausbildungsbausteine. So eröffnet die Startbahn Lebensperspektiven. Damit auch der letzte Sprung ins Leben gelingt, braucht es offenherzige Unternehmer. Interesse? Treten sie mit der Startbahn in Kontakt:

startbahn
St.-Vinzenz-Straße 59, 36041 Fulda

Lysann Elze-Gischel
l.elze-gischel@antonius-fulda.de

Melanie Grünkorn (Verwaltung)
Tel.: 0661 1097-501 · Fax: 0661 1097-505
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