„Die Zukunft liegt in einer geschickten Mischung“

Unternemer Steffen Strauss im Interview

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Sagt man. Doch viele Arbeitgeber erleben gerade das Gegenteil. Es ist das Vertrauen in die Mitarbeiter, das die Betriebe durch die Krise trägt. Etwa 300 Bürokräfte arbeiten derzeit bei engelbert strauss im Homeoffice. Steffen Strauss, einer der beiden Geschäftsführer des erfolgreichen Textilunternehmens aus Biebergemünd, beschreibt den Perspektivenwechsel aus Arbeitgebersicht.

Wie fühlt es sich an, wenn Sie durch leere Büroflure laufen und nicht erleben können, dass die Leute, die Sie bezahlen, auch wirklich arbeiten?
Zuerst fragten wir uns natürlich: Erzielen wir noch die Leistung, die wir und die Kunden gewohnt sind? Wir haben dann in Abstimmungsgesprächen festgestellt, dass es sehr gut läuft. Das war eine Erkenntnis, die uns sicher nachhaltig prägen wird.

Arbeiten die Mitarbeiter deshalb so gut, weil sie fürchten, stärker kontrolliert zu werden? Oder um zu beweisen, dass sie zu Hause nicht untätig herumsitzen?
In diesem Bereich gibt es mit Sicherheit alles: Es gibt diejenigen, die sich besonders beweisen wollen, weil sie es gut finden, zu Hause zu sein. Sie wollen ihre neue Tätigkeitsumgebung vom Vorgesetzten bestätigt sehen, der das ja mitentscheidet. Andere denken: Vielleicht werde ich ja kontrolliert! Und am anderen Ende diejenigen, die es ganz locker sehen und sich sagen: „Jetzt geh ich mit dem Hund spazieren, es merkt ja keiner.“ Es gibt vermutlich alle Haltungen, auch die extremen. Und es hängt auch vom Tätigkeitsbereich ab. Manche sind von Natur aus stark zahlenbasiert, dort ist eine Erfolgskontrolle leicht möglich. Unterm Strich haben wir großes Vertrauen in unsere Mitarbeiter und wir stellen fest, dass dieses Vertrauen zurückgezahlt wird.

Es gibt also eine effektive Kontrolle?
Ja, aber nicht überall. Es gibt auch Bereiche, wo es nicht so zeitkritisch zugeht. Wenn jemand lieber erst nach 20.00 Uhr gewisse Sachen erledigt und die nicht schon am Mittag fertig sein müssen, ist es aus Unternehmenssicht egal, wann exakt er sie erledigt. Da kann der Mitarbeiter sich auch mittags zwei Stunden auf dem Fahrrad gönnen. Solange er dasselbe Quantum an Arbeit erledigt und die Produktivität gleich bleibt, ist es okay.

Sie versuchen seit langem, das Arbeitsumfeld durch Yoga-, Massage- oder Sportangebote aufzuwerten. Es gibt eine Kantine, in der es schmecken soll. Der Arbeitsort erfüllt viel von dem, was sich Menschen wünschen.Läuft das Konzept nun ins Leere?
Wir haben sicher eine Menge zu bieten. Vielen im Homeoffice fehlen diese Angebote. Doch auch wenn sie künftig vielleicht nur drei Tage hier präsent sind, wollen wir sie mit frischer Küche, selbstgeröstetem Kaffee oder Outdoor-Angeboten begeistern. Was uns als Arbeitgeber besonders ausmacht, ist die Gemeinschaft. Ich sage den neuen Kollegen immer: „Je nachdem, mit welcher Laune Sie in ein Umfeld hineingehen, prägen sie dieses mit.“ Viele Mitarbeiter im Homeoffice vermissen nun die gute Laune der Kollegen, besonders jene zwischen 20 und 35. Das Gemeinschaftsgefühl muss jetzt auch auf andere Weise gelebt werden.

Könnte eine sich abschwächende Bindekraft zum Unternehmen ein Grund sein, Homeoffice wieder einzuschränken?
Ich glaube, dass es das weiterhin geben wird. Es hat wie alles im Leben positive und negative Seiten. Für den Einzelnen hängt es von seiner Lebenssituation ab. Inwieweit hilft es ihm, seine familiären Aufgaben zu erfüllen? Oder ist er gar nicht so gerne zu Hause und möchte lieber im Büro sein? Würden wir es ganz freistellen, gäbe es sicher solche und solche. Auch aus Unternehmenssicht hat es Vor- und Nachteile. Man spart physisch einen Arbeitsplatz und muss hochgerechnet nicht so schnell wieder einen Neubau errichten. Man muss aber auch die Technik dezentral vorhalten und sie über Distanz instand halten.

Wo das Flurgespräch fehlt, werden oft Informationen und Ideen nicht weitergegeben. Führt Homeoffice zur Kreativitätsflaute?
Es gibt auf jeden Fall weniger Kommunikation, auch wenn man sich regelmäßig per Videotelefonie trifft. Ich glaube, dass dieses Flurgespräch wirklich fehlt. Das ist ein wichtiger Faktor für das Gemeinschaftsgefühl. Wir versuchen, mit neuen Kommunikationskanälen wie Chats gegenzusteuern.

Kann man die Langzeitfolgen schon abschätzen?
Es ist alles noch sehr frisch. Im Moment können wir sagen, dass Innovationen auch in der gegenwärtigen Situation vorangetrieben werden. Die Zukunft liegt vermutlich in einer geschickten Mischung von Präsenz und Homeoffice.

Wird es in Zukunft ganz neue Formen von Arbeits- und Lebensbalance geben?
Das glaube ich schon, allein durch die digitale Möglichkeit. Dann lebt ein Programmierer vielleicht dauerhaft an einem anderen Ort der Welt und profitiert vom schnellen Internetzugang.

Träumen Sie auch davon?
Klar, ich sehe mich auch als Weltbürger, reise gerne privat wie geschäftlich. Es wird in Zukunft für jeden, soweit es seine Tätigkeit zulässt, mehr Gelegenheiten geben, Privates und Geschäftliches zu verbinden.

Verlangt das einen neuen Mitarbeitertyp?
Es erfordert viel Selbstdisziplin und die Fähigkeit, eigenorganisiert zu arbeiten. Da gilt es, Weiterbildungsmöglichkeiten und Angebote für persönliches Wachstum zu schaffen.

Braucht es mehr Freiberuflermentalität?
Genau, es geht in Richtung einer freiberuflichen Arbeitsweise, auch wenn er angestellt ist. Er hat die Flexibilität eines Freiberuflers, ohne dessen Risiko zu tragen. Das ist natürlich eine komfortable Situation.

Was ändert sich für Führungskräfte?
Die Team- und Abteilungsleiter müssen lernen, auch über Distanz zu führen. Zum einen, indem sie die Effizienz der externen Arbeit beobachten, zum anderen, indem sie auch die menschliche Seite nicht aus den Augen verlieren. Ein Teamleiter muss erkennen, dass einer mal das mündliche Gespräch braucht, und wenn es nur am Telefon ist: „Wie geht es dir heute? Du hörst dich ja nicht so gut an.“ Oder auch: „Du hörst dich toll an!“ Sie müssen Wege finden, die Wir-Kultur in neuen Formen zu verwirklichen.

Vollzieht sich menschliche Begegnung in Zukunft immer öfter digital?
Ja. Eine solche Verlagerung haben wir derzeit auch in einem anderen Bereich. Vor wenigen Wochen haben wir ein Studio eingerichtet mit hochprofessioneller Kamera- und Tontechnik ‒ ähnlich wie ein Heute-Journal-Studio. Wir nutzen es zu internen Trainingszwecken, wollen so aber auch unseren Großkunden per Videotelefonie in einem
professionellen Setting und in schöner Atmosphäre Kollektionen präsentieren.

Das heißt, der klassische Vertreter agiert vom Filmstudio aus?
Genau, er wird den Außendienst per Videotelefonie durchführen. Es bleibt ein persönlicher, virtueller Besuch beim Kunden, aber eben auf professioneller Ebene.


Das Gespräch führte Arnulf Müller


Steffen Strauss,
Geschäftsführender Gesellschafter

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