Lebensmittel retten

von Alicia Mathes

Ein ungewöhnliches Wortspiel  mit einem klaren Ziel: Lebensmittelverschwendung stoppen!

In Zeiten massiver Umweltprobleme und drohenden Klimawandels werden wir immer wieder mit dem Wort „retten“ konfrontiert. So, wie wir versuchen, den Wald, das Meer und Tiere zu retten, können wir das auch mit Lebensmittel tun. Doch was steht hinter der Idee? Und was kann jeder Einzelne von uns dazu beitragen? Die Lebensmittelretterinnen Muriel Pluschke und Carolin Mann von der foodsharing- Initiative in Fulda klären auf.

Stellen Sie sich vor, Sie gehen einkaufen. Ihre Einkaufsliste ist lang. Sie laufen durch die Regale und machen Halt vor den Bananen. Welche nehmen Sie? Die schönen, reifen, gelben? Die weniger süßen, noch nicht ganz reifen, grünen? Oder vielleicht die überreifen, sehr süßen, dunklen Bananen? Greifen Sie zu einem Bund oder zu einzelnen Exemplaren? Ähnliche Entscheidungen fällen Sie bei den Salatgurken. Greifen Sie zu der geraden, straffen Gurke oder nehmen Sie die krumme und schrumpelige? Es geht also nie nur um die Grundfunktion eines Nahrungsmittels, sondern immer auch um seine Ästhetik. Egal wofür sie sich letztlich entscheiden, am Ende des Tages bleiben Lebensmittel ungekauft zurück. Sie werden schlecht oder laufen ab. Die logische Folge: Jedes Jahr werden in Deutschland 12 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeschmissen, obwohl sie noch verzehrfähig sind Lebensmittelverschwendung beginnt bereits auf dem Feld, weil Kartoffeln nicht schön genug, Gurken nicht gerade genug und Karotten zu schrumpelig sind. Sie verrotten, weil sie gar nicht erst geerntet werden. Im Supermarkt wird nach Feiertagen die alte Ware aussortiert, weil der Platz für die frische gebraucht wird. Schließlich sollen alle Produkte den Idealnormen entsprechen. Tun sie das nicht, fürchten die Käufer, weniger für ihr Geld zu bekommen. Hier brauchen wir ein anderes Lebensmittelmanagement, eine Reduzierung von Preisen für Waren, die aussortiert werden „müssen“ und vor allem mehr Aufklärung und Tipps für Konsumenten, um Lebensmittel haltbar lagern und restlos aufbrauchen zu können. Die größte Verschwendung findet im Privathaushalt statt, auch, weil das hauswirtschaftliche Basiswissen in unserer modernen Gesellschaft mehr und mehr verloren geht.


Hier werden Bananen gerettet, bitte zugreifen!

Früher wirtschaftete man nach dem Prinzip „Einfälle statt Abfälle“, heute wird, wenn überhaupt, nach Rezept gekocht und die Reste werden im (Kühl-) Schrank vergessen oder gleich weggeworfen. Den Menschen fehlt nicht nur die Kreativität zur Weiterverwendung, ihnen fehlt auch der Blick auf die Wertschöpfungskette. In allen Lebensmitteln stecken menschliche Arbeit und zurückgelegte Transportwege. Wertvolle Energie wurde verbraucht, oft wurde Leben geopfert: 320.000 Tiere werden jedes Jahr in Deutschland ohne Rücksicht auf ihr Wohlergehen gemästet, um am Ende im Müll zu landen, weil sie nicht gegessen wurden.

DIE MISSION
VON FOODSHARING

„Wir haben nicht das Problem, dass uns nicht genug Lebensmittel zur Verfügung stehen“, so Carolin Mann. „Wir haben ein Verteilungsproblem, denn der Fokus der Nahrungsmittelversorgung liegt auf dem globalen Norden, während andernorts Menschen hungern oder gar verhungern.“ Muriel Pluschke ergänzt: „Selbst während der Corona-Pandemie war unsere Lebensmittelversorgung immer sichergestellt. Abgesehen von Nudeln, Hefe und Toilettenpapier in den ersten Wochen mussten wir uns nie einschränken. Wir haben das Privileg, dass unsere Lebensmittelversorgung selbst in Krisenzeiten sichergestellt ist.“ Man könne beobachten, so die Studentin und die Promotionsstudentin, dass in unserer Gesellschaft das Gefühl dafür schwinde, dass Lebensmittel die Existenz des menschlichen Organismus sicherten.


Dorothea Rübeling, Vikarin der Lutherkirche Fulda (links), und Foodsaverin Muriel Pluschke (rechts) freuen sich über die Kooperation zwischen der Lutherkirche und foodsharing.


Der Blick für das Eigentliche gehe immer mehr verloren, weshalb sie auf das Thema Lebensmittelverschwendung aufmerksam machen wollen. Weniger Lebensmittelabfall schone Umwelt und Ressourcen, was auch wegen des Klimawandels ein dringliches Thema sei. Deshalb kooperieren allein in Fulda aktuell rund 250 ehrenamtliche Foodsaver – so nennen sich die Lebensmittelretter – aktiv mit Betrieben und Unternehmen, um aussortierte Lebensmittel weiterverwenden zu können. Mit deren Einwilligung und Unterstützung trennt die Initiative foodsharing tatsächlich schlecht gewordene Produkte von dem, was noch gut zu verwenden ist.

Dies wird im Netzwerk, in der Nachbarschaft, der Familie, dem Freundeskreis und unter jedem, der Interesse hat, verteilt – und das kostenlos! Bei der Nahrungsmittelauswahl gibt es keine Ausschlusskriterien und beim Verteilen keine Zielgruppe, wie etwa bei der Tafel. Zu festen Abholzeiten wird alles noch Brauchbare eingesammelt und im gesamten Landkreis in sogenannten „Fairteilern“ öffentlich zugänglich gemacht. Hierbei handelt es sich um Anlaufstellen, an denen die geretteten Lebensmittel in einem Regal, Schrank oder sogar Kühlschrank liegen und einfach mitgenommen werde können. Allerdings weiß man vorher nie, was angeboten wird. Auch die Foodsaver erfahren erst bei der Abholung, was sie mitnehmen dürfen. „Foodsharing bedeutet nicht, den Wocheneinkauf zu erledigen“, so Muriel Pluschke. Es gibt Tage, da ist der Fairteiler gefüllt mit etlichen Packungen Weintrauben, an anderen Tagen sind unterschiedliche Lebensmittel wie Ketchup, Äpfel, Kekse, Schnittlauchtöpfe und Brot darin zu finden.

DAS ERKLÄRTE ZIEL IST ES,
SICH SELBST ABZUSCHAFFEN

Wer sich als Händler oder Produzent für eine Kooperation mit foodsharing entscheidet, profitiert meist selbst davon. Viele Betriebe merken erst bei der Abgabe, welche Berge von Lebensmitteln sie entsorgen, und lernen, zukünftig weniger einzukaufen oder herzustellen. Zudem stärkt die Zusammenarbeit das Nachhaltigkeitsimage der Unternehmen, was heute von immer größerer Bedeutung ist. Je weniger die ehrenamtlichen Foodsaver von Unternehmen und Betrieben abholen, weil diese ihre Überschüsse etwa an die Tafel gespendet oder sie gut gewirtschaftet haben, desto größer der Erfolg der Initiative. Ihr erklärtes Ziel sei es, sich selber abzuschaffen und Lebensmittelverschwendung zu stoppen. Dabei sehen sich die Foodsaver keineswegs als Konkurrenz zur Tafel, im Gegenteil: Es gibt lokalbedingt sogar Kooperationen. Allerdings ist es für foodsharing egal, ob jemand arm oder reich ist. Jedes Zugreifen im Fairteiler verhindere das sinnlose Wegwerfen. Deshalb brauche niemand ein schlechtes Gewissen beim Gang zu einem der Fairteiler zu haben, im Gegenteil: Er leiste einen aktiven Beitrag zugunsten unseres Ökosystems. Natürlich gebe es auch Leute, die nur zum Eigennutz beim Foodsharing mitmachen. „In Heidelberg musste man schon Fairteiler während der Auffüllung absperren, weil es Leute gab, die ungeduldig die Foodsaver abgepasst haben, um sich das Beste zuerst zu nehmen“, so Carolin Mann.

FOODSHARING FÖRDERT
BEGEGNUNG

Wer sich für foodsharing interessiert und Teil des Netzwerks werden möchte, kann sich über die interne Wiki-Seite informieren, über die Website www.foodsharing.de anmelden und einem bunten Team mit tollen Menschen begegnen. Zusammen werden die übriggebliebenen Lebensmittel verwendet, neue Rezepte ausprobiert und Tipps und Tricks ausgetauscht.

Gerettete Lebensmittel für alle

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