„Mir fehlen die Menschen”

von Suria Reiche

Schummriges Licht, in Eichentische geritzte Namen oder Liebesschwüre. Wer hier wohl gesessen hat? Im Hintergrund Gitarrenklänge, fremde und vertraute Gesichter dicht an dicht, der Kerl an der Theke grinst schelmisch herüber. Meint er mich?

In der Kneipe treffen Menschen aufeinander, die auf der Straße aneinander vorbeilaufen würden. Sie unterhalten sich losgelöst über Dinge, die sonst vielleicht nicht auf den Tisch kämen, und bekommen neue Sichtweisen aufs Leben. Die letzte Zeit hat uns das vermissen lassen. Auch für die Wirte in Fulda war sie nicht leicht. Für sie sind die Begegnungen vor ihrem Tresen mehr als nur Begegnungen. Sie sind das, wofür sie jeden Tag aufstehen.

Anton Henning, 37 Jahre
Chef der Gaststätte DREI LINDEN in Neuenberg

„Hier in unserer Gastwirtschaft sind es meist schöne Begegnungen, zu denen die Leute zusammenkommen, zum Beispiel Geburtstage, Hochzeiten oder Familienfeiern. Besonders toll ist es, wenn diese Begegnungen aufeinander aufbauen, zum Beispiel, wenn junge Leute ihren Geburtstag bei uns feiern, plötzlich ihre Hochzeit und dann sogar die Taufe ihres ersten Kindes. Das sind Momente, die uns zeigen, dass wir unsere Arbeit gut machen. Auch für Trauerfeiern ist so eine Wirtschaft wichtig; das sind Momente, die nicht so toll sind, aber sie gehören dazu. Hier kommen die trauernden Familienmitglieder zusammen und finden Halt. Es ist schade, dass momentan so vieles nicht möglich ist. Eigentlich ist es doch unsere Aufgabe, ein Strahlen in die Gesichter unserer Gäste zu zaubern. Das ist unsere Aufgabe, ob mit dem, was wir in der Küche zubereiten oder mit unserem Service.“

 

 

 

 


Christian „Bodi“ Bode , 43 Jahre
Wirt im STADTWÄCHTER

„Als ich berufsbedingt von Bad Hersfeld nach Fulda gezogen bin, habe ich hier im Stadtwächter super freundliche und offene Leute getroffen und mein komplettes soziales Netz hier aufgebaut. Sogar einen meiner zwei besten Freunde habe ich hier kennengelernt. Das war vor sechs Jahren am Sonntag vor Rosenmontag. Er ist damals allein aus dem Sauerland nach Fulda gekommen und als er mal abends in der Stadt unterwegs war, hat er draußen gesehen, dass es bei uns Guinness gibt. Also ist er hier rein, dann kam ich von einer Fastnachtsveranstaltung in den Stadtwächter und bin an der Theke mit ihm ins Gespräch gekommen. Auf einmal kamen die Brunnenherren von der Brunnenzeche, die gerade ihren traditionellen Schleich gemacht haben, herein. Ich bin also an die Anlage gesprungen, habe Fastnachtsmusik aufgelegt, damit sie sich wohlfühlen, und sie haben Bier bestellt. Mein heutiger bester Freund hatte so etwas noch nie gesehen. Von da an kam er immer und immer wieder hierher und das zwischen uns hat sich zu einer echten Freundschaft entwickelt. Auch seine Frau und meine Freundin, die ich übrigens auch über die Gastronomie kennengelernt habe, verstehen sich super. Ohne die Kneipe hätte es das alles nicht gegeben. Kaum vorstellbar.“

 

 

 

 


Danny Williams, 31 Jahre
Leiter des antons meet & eat

„Nichts schlägt leichter Brücken, als mit anderen am Tisch zu sitzen und was Gutes zu essen. Wenn‘s den Leuten schmeckt, erleben sie etwas zusammen, und das verbindet. So ähnlich funktioniert auch das antons. Unser Bistro ist ein Treffpunkt, an dem Begegnungen eine ganz wichtige Rolle spielen. Hier arbeiten viele Menschen mit Einschränkungen im Service und in der Küche und das Schöne ist, dass das gar kein Thema ist. Beim Bedienen kommt es immer wieder zu überraschenden, manchmal auch lustigen Begegnungen, durch die sich Sichtweisen ändern. Es ist toll zu sehen, wie leicht so was gelingt, wenn es in einem ganz normalen Rahmen stattfindet. Berührungsängste oder Vorbehalte gibt‘s hier nicht, weil sich alles um Fritten, Burger und Austausch dreht. Und wenn die Gäste dann noch positiv auf den Service reagieren, spürt man sofort, wie unsere Mitarbeiter das als persönlichen Erfolg verbuchen. Sie entwickeln ich dadurch unglaublich weiter. Dass diese ganzen Begegnungen jetzt ausfallen, ist nicht nur schade für unsere Gäste, es wirft uns auch hinsichtlich unserer eigentlichen Aufgabe enorm zurück.“

 

 

 

 


Andreas Muhl, 47 Jahre
Betreiber des SCHÖPPCHENS

„Es fehlt etwas! Nicht nur für mich und meine Mitarbeiter, die alle mit Leidenschaft hinterm Tresen stehen und den Kontakt mit den Gästen genießen. Dass die Kneipen gerade geschlossen bleiben müssen, fehlt auch den jungen Menschen, die an den Wochenenden hierherkommen, die Freiheit genießen und sich relativ zwanglos auf neutralem Boden treffen können. Und mindestens genauso fehlt es den Älteren. Für den einen oder anderen von ihnen ist die Kneipe eine Art Familienersatz, weil es möglicherweise keine Angehörigen mehr gibt. Diese Menschen setzen sich an die Theke und suchen den Kontakt zur Bedienung oder anderen Gästen. Für sie fällt gerade quasi das soziale Netz, das sie normalerweise hier finden, weg. Und das ist essenziell für sie. Da kann ich mir schon vorstellen, dass einige in Einsamkeit versinken und nicht gerade glücklich sind. Ganz generell erfüllen Kneipen eine gesellschaftliche Funktion als Begegnungsstätte. Hier treffen Menschen aufeinander, die sich auf der Straße nicht mal wahrnehmen würden, weil sie vielleicht ein ganz anderes Alter haben oder aus komplett unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten kommen. Solche Begegnungen gibt es auch zwischen den Bedienungen und den Gästen. Manchmal braucht jemand, der hierherkommt, nicht nur ein Bier, sondern auch ein Ohr, das zuhört.“

 

 

 

 


Frank Götte, 57 Jahre
Inhaber der WINDMÜHLE

„Wenn ich das hier so sehe, die leeren Tische, die Theke, dann empfinde ich vor allem Wehmut. Ich vermisse das. Das alles ist seit 30 Jahren ein Stück von meinem Leben. Mir fehlen die Stammgäste. Die, die jeden Tag kommen, ihren Kaffee trinken und ihre Zeitung lesen. Manchmal spreche ich mit denen mehr als mit meiner Frau. Das alles fehlt nicht nur mir, sondern auch den Gästen. Für viele ist das hier ein Großteil ihres sozialen Umfelds. Für mich ist das nicht nur wirtschaftlich schwierig, ich stelle mir auch die Sinnfrage. Natürlich ist nicht jeder Tag hier schön, aber trotzdem leiste ich etwas Produktives. Und das füllt eigentlich mein Leben. Mir fehlen die Menschen. Ich verstehe die Notwendigkeit, aber wir sind langsam an der Grenze.

 

 

 

 


Michael Kling, 59 Jahre
Inhaber der ALTEN PIESEL

„Viele Menschen vermissen die Alte Piesel. Ihnen fehlt nicht nur die Live-Musik, sondern die Abende, an denen sie tanzen, sich fallen lassen, alte und neue Freunde treffen können. Die Piesel ist ein Ort, an den Menschen kommen, die andere Menschen treffen wollen. Ich könnte wahrscheinlich sogar eine eigene Party für die Menschen veranstalten, die sich hier kennengelernt haben, so viele sind das. Aber nicht nur die Gäste, auch die Musiker, die hier normalerweise auf der Bühne stehen, vermissen das alles. Ein Künstler ohne Publikum ist nichts. Bei diesen ganzen Live-Streams, die gemacht werden, fehlt etwas – nämlich die Menschen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass da viel mehr dranhängt als Künstler und Publikum. Auch Tontechniker, Visagisten, Bühnentechniker und viele mehr mussten durch den Lockdown ihr gewohntes Umfeld verlassen. Und das ist echt hart.“

 

 

 

 


Jochen Köhler, 41 Jahre
Betreiber von ALTSTADT und KROKODIL

„Ich muss gestehen, dass der zweite Lockdown ein bisschen wie eine Erlösung ist. Die Art und Weise, wie man vorher eine Kneipe führen ‚durfte‘, war nicht angenehm. Das ist nicht das, was eine Kneipe ausmacht. Eigentlich geht es darum, hier reinzukommen, bekannte und völlig neue Menschen zu treffen, mit Wildfremden zusammenzustehen und über Fußballergebnisse zu diskutieren. Einer meiner besten Freunde hat hier an der Theke der Altstadt sogar seine Frau kennengelernt. Die Menschen genießen in einer Kneipe normalerweise ganz unbeschwert ihren Abend oder das Wochenende, führen Gespräche, die manchmal mehr oder weniger Sinn haben. Und das alles wird eingeschränkt. Das ist ein surreales Gefühl. Um nicht zu sagen, eine große Scheiße. Dass es überhaupt so weit gekommen ist, ist fast wie im Horrorfilm.“

 

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