Partnerbetriebe von antonius: Ein Anker im Klinikalltag

Angeregtes Gemurmel, ernste Gesichter, dann Lachen. Ein Schluck vom Kaffee, ein Biss in die Banane. Vorsicht, Rollifahrerin kreuzt den Weg.

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„FrauMüller, Ihre Anwendung wär dann so weit.“ 10 Uhr in der geriatrischen Tagesklinik des Herz-Jesu-Krankenhauses in Fulda. Zweites Frühstück. Senioren sitzen an langen Tischen. Zwischen ihnen fährt mit einem Servierwagen Felix Höhl umher, 24 Jahre alt, Neuhofer mit Herz und Seele, obgleich wohnhaft in Fulda.

von Bastian Ludwig

 

Im Alltag ist Höhl aufgrund von Lernschwierigkeiten auf Hilfe angewiesen, dennoch arbeitet er seit zweieinhalb Jahren in der geriatrischen Tagesklinik als Stationshilfe. Zur Frühstückszeit bedeutet das: Tische eindecken, Tische abräumen, die Patienten beim Essen begleiten. Viel zu tun also. Als sich der Frühstückstrubel gelegt hat, hat er endlich Zeit, sich zusammen mit dem Pflegeleiter der Tagesklinik, Reinhold Kellner, und seiner Assistentin Steffi Gröger aus dem Bereich Arbeiten & Wohnen von antonius zum Gespräch zusammenzusetzen.

 

Wenn Felix Höhl nicht da ist, entsteht eine Lücke

Wenn Felix Höhl nicht da ist, entsteht eine Lücke

 

 

„Ich arbeite im Servicebereich“, erklärt Höhl. „Ich begrüße die Patienten, wenn sie morgens kommen, hänge die Jacken auf oder führe sie zu ihren Plätzen. Beim Frühstück kümmere ich mich ums Geschirr. Und ich kümmere mich ganz allgemein um die Patienten.“ Auch Botengänge in die hauseigene Apotheke oder ins Labor, um dort Blutproben abzugeben, gehören zum Aufgabenspektrum, ergänzt Pflegeleiter Kellner. Allgemein ist Höhl ganz nah an den Patienten, kennt sie fast alle mit Namen. Im Verlauf des Tages ist er derjenige, der genau weiß, wo welcher Patient sich gerade aufhält. Damit wird er zu einem wichtigen Ansprechpartner für das therapeutische Team, das den reibungslosen Ablauf in der Tagesklinik organisiert und sicherstellt.

Das alles begann im Jahr 2013 mit einem Praktikum im Rahmen seines Besuchs der Startbahn, der Arbeitsschule von antonius. Höhl absolvierte es mit Bravour und schnell war allen Beteiligten klar: Er soll bleiben.

Von der Arbeitgeberseite spielte dabei gewiss das christlich geprägte Leitbild des Herz-Jesu-Krankenhauses mit dem Anspruch, für Menschen in der Gesellschaft da zu sein, eine Rolle. „Im Sinne unseres Trägers, des Ordens der Barmherzigen Schwestern vom Hl. Vinzenz von Paul in Fulda, möchten wir Menschen mit Einschränkungen eine Chance zu einem selbstbestimmten Leben in der Gesellschaft geben“, so Verwaltungsleiter Matthias Färber. „Weitere Praktikumsplätze und Festeinstellungen für Menschen mit Behinderung sind aufgrund der hohen Spezialisierung und der geforderten Fachkompetenz in einem Krankenhaus nicht leicht zu finden, es kommt immer auf den Menschen und seine Möglichkeiten an. Bei Herrn Höhl hat das alles sehr gut gepasst.“

Denn immer bedeutet es auch Arbeit, einen Menschen mit Behinderung in den Arbeitsalltag einzugliedern. „Die Arbeit in einem Partnerbetrieb von antonius muss gut begleitet werden“, erklärt Steffi Gröger. „Es muss jemanden geben, auf den sich der Mitarbeiter verlassen kann, und auch die Kollegen müssen sich auf die Situation einstellen. Die Partnerbetriebe müssen akzeptieren, dass es mit unseren Mitarbeitern in mancherlei Hinsicht anders läuft.“ Auf der anderen Seite müsse sich natürlich auch der Mitarbeiter an die Gegebenheiten im Betrieb anpassen. Im Fall eines Krankenhauses bedeute das: Die Arbeit in der Tagesklinik ist eng getaktet, jeder muss seine Aufgaben reibungslos erfüllen. Höhl hat hier keinen Sonderstatus, kann ihn auch gar nicht haben.

Doch die Eingliederung ins Kollegium gelang. Ein entscheidender Faktor war eine intensive, bis heute fortlaufende Einarbeitung. „Felix benötigt länger, bis er etwas kann“, erklärt Gröger. „Wenn er es aber kann, dann läuft es auch, dann ist er wie ein Fels.“ Im letzten Jahr standen auf seinem Lernprogramm die Kontrolle und das Befüllen von Schränken in den Toiletten, an denen sich zum Beispiel inkontinente Patienten selbst mit Einweghandschuhen, Handtüchern und Windeln versorgen können. Inzwischen gehört das zu Höhls Standardrepertoire.

Der zweite entscheidende Faktor für die Eingliederung waren klare Strukturen. Höhl selbst musste für sich immer die Frage klären, was er zuerst machen soll. Und auch die Kollegen mussten lernen, ihn nur mit einer Aufgabe auf einmal zu betrauen.

Stabilität ist für Höhl wichtig, gleichzeitig ist aber auch er ein Anker für die Kollegen und Patienten. „Der Klinikalltag ist oft hektisch“, erklärt Kellner. „Aber Felix behält stets die Ruhe. Er lebt im Jetzt, ist immer genau bei der Aufgabe, die er gerade erledigt, immer genau da, wo er gebraucht wird. Damit ist er ein Vorbild für andere. Ich selbst versuche zum Beispiel, nun gewissenhafter Prioritäten zu setzen.“ – „Wie ist da immer dein Spruch?“, fragt Gröger. „Bloß keinen Stress, immer mit der Ruhe“, entgegnet Höhl lächelnd.

Bisher hat diese Form der Zusammenarbeit sehr gut funktioniert. Nicht umsonst gewannen Höhl und das Herz-Jesu-Krankenhaus bei der Stadtwette, mit der die Stadt Fulda und antonius – Netzwerk Mensch im Jahr 2015 die besten Beispiele für gelungene Inklusion in Fulda und Umgebung suchten, den ersten Preis in der Kategorie Arbeit.

Toll, diese Menschen mit Behinderung, mag der eine oder andere jetzt denken. Sind immer so super sozialkompetent, sorgen durch ihre reine Anwesenheit gleich für bessere Stimmung. Da ist es doch egal, dass sie praktisch nichts Richtiges beitragen können. Falsch gedacht. „Felix erhöht die Servicequalität in der Tagesklinik immens“, erklärt Kellner. „Er sorgt für einen geregelten Tagesablauf der Patienten, achtet darauf, dass sie genug trinken, und beruhigt zum Beispiel Demenzerkrankte. Damit unterstützt er die therapeutischen Bemühungen ungemein. Das sind alles Arbeiten, die früher von Zivis geleistet wurden und die seit dem Ende des Zivildienstes schwerer zu erledigen sind.“

Am 25. März veröffentlichte die Fachkrankenschwester Jana Langer auf Facebook einen offenen Brief, in dem sie unter anderem das gegenwärtige deutsche Gesundheitssystem kritisierte. „Und akut würde es einfach auch reichen“, schrieb sie, „wenn man überhaupt seinen Beruf so ausüben könnte, wie wir es gelernt haben! Und dafür benötigen wir eigentlich nur Zeit, Zeit für die Patienten und deren Bedürfnisse, Zeit um Handeln zu können, um Trost zu spenden und um Veränderungen zu erkennen.“

Trost spenden kann Felix Höhl, auf die Bedürfnisse der Patienten eingehen auch. Sogar Veränderungen erkennt er, vielleicht nicht auf fachlicher, aber doch auf persönlicher Ebene. Und mit seiner Arbeit kann er den Pflegern, Therapeuten und Ärzten den Rücken freihalten, kann ihnen die Möglichkeit geben, ihre Aufgaben bestmöglich zu erledigen.

Auch wenn das Schlagwort „Pflegenotstand“ ein überzogen düsteres Bild zeichnen mag: Im Pflegebereich sind Arbeitskräfte rar und der Mangel wird nicht kleiner werden. Je nach Veröffentlichung variieren die Zahlen stark, aber allein in der Altenpflege wird in den nächsten fünfzehn Jahren wohl Personal im mittleren fünfstelligen Bereich fehlen, in der gesamten Pflegebranche sogar im sechsstelligen. Begründet wird das mit Arbeitsbedingungen und Bezahlung. Daran soll laut Bundesgesundheitsministerium nun geschraubt werden. Aber selbst wenn der Rahmen stimmt, bleibt die Frage, ob sich genug Menschen für ein Berufsleben in dieser Branche entscheiden. „Eine Arbeitskraft wie Felix muss man auch erst einmal finden“, betont Kellner mit fester Überzeugung.

 

Statusproblem: Am Ende bleiben nur 200 Euro im Monat

Statusproblem:
Am Ende bleiben nur 200 Euro im Monat

 

 

Höhl weiß, dass es in der Tagesklinik auf ihn ankommt, dass es nicht egal ist, ob er seine Arbeit macht oder nicht. Dass er seinen Urlaub mit seinen Kollegen abstimmen muss, weil eine Lücke entsteht, wenn er nicht da ist. Erster Arbeitsmarkt ist das alles aber nicht. Obwohl Höhl außerhalb traditioneller Werkstattstrukturen in einem Partnerbetrieb von antonius arbeitet, wird er offiziell als Mitarbeiter einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung geführt – am Ende des Monats bekommt er dadurch um die 200 Euro raus. Keine ungewöhnliche Entlohnung für jemanden, der im deutschen Werkstattsystem beschäftigt ist, auch wenn er mit seiner Arbeit einen wichtigen Beitrag leistet. Da stellt sich die Frage, wie angemessen dieses System ist? Und was man daran ändern könnte?

Ein Kollege steckt den Kopf durch die Tür. „Braucht ihr Felix noch lange?“ Eine ganze Gruppe Patienten aus dem Wartebereich muss zu einer Behandlung gebracht werden. Wir sind gleich fertig. Schnell noch ein Foto schießen. Verabschiedung. Und Felix Höhl stürzt sich zurück in den Klinikalltag.

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