Sehen lernen – im Kino mit Kerzenschein

Kennen Sie „beseeltes Kino“? So ohne Effekthascherei und 1000-Watt-Boxen, die einen in den Kinosessel plärren? Ein Besuch beim „Bürgerkino“ des Vereins „Miteinander-Füreinander Oberes Fuldatal“ zeigt, wie das geht:

Im nicht kommerziellen Wohlfühlkino gibt es anstelle von 3-D-Brillen sanftes Kerzenlicht und anstelle von schalem Popcorn selbstgemachtes Dessert. Zum Beispiel Türkische Apfel-Zimt-Hörnchen, passend zum Film „Almanya“ Willkommen in Deutschland. Und plötzlich steht noch eine Bauchtänzerin auf der Bühne.

Am Eingang wird man mit einem Lächeln begrüßt – so ein echtes, kein Hollywood-gebleichtes-Blitzlächeln. Hollywood, das gibt es hier zwar auch zu sehen, aber anders. Mal schwerer, mal lustiger. Tiefer vor allem. Und mit hausgemachten Gerichten. Aber nicht nur Hollywood. Sondern auch Deutschland, Türkei, Frankreich. Wie in einem Programmkino. Mit einem Unterschied: Hier ist nicht nur der Filmtitel, hier ist der gesamte Abend Programm: der Film, die Vorspeise, das Hauptgericht und die anschließenden Gesprächsthemen. Denn hier wird nicht nur geschaut. Hier wird geredet – darüber, was man gesehen hat. Gemeinsam. Nicht allein in den eigenen vier Wänden. Und manchmal wird sogar noch getanzt.

Ursprünglich richtete sich das Projekt vor allem an ältere Menschen. „Wenn der Mensch nicht zum Kino kommt, muss das Kino eben zum Menschen kommen“, erklärt Dr. Hans Unbehauen. Und genau das ist die Idee hinter dem Projekt „Bürgerkino“: Begegnung schaffen und die Vereinzelung der Menschen aufbrechen. Unbehauen ist der Vorstandsvorsitzende des Vereines Miteinander-Füreinander, der seinen Sitz in Gersfeld hat. „Die Idee dazu kam uns bei einem Kinobesuch, als Wolke 9 gezeigt wurde, ein Film über Liebe im Alter. Der Saal war fast leer, doch die wenigen Besucher waren begeistert – und zum Teil jenseits der 80. Wir waren davon überzeugt, dass gerne noch mehr ältere Menschen ins Kino gehen würden, wenn sie könnten.“ Und diese Idee hat gezündet. Das Bürgerkino im Oberen Fuldatal wird so gut angenommen, dass es nun schon in die sechste Saison geht. Das Team hinter dem Projekt zählt inzwischen 17 Mitglieder – deren Begeisterung und Engagement man in jeder Minute spürt. Sie bereiten sich sehr sorgfältig vor, überdenken die Wahl des Films, der Gerichte, der Dekoration. Zu „The Kings Speech“ wurden z.B. Welsh Cookies gereicht, zur Feuerzangenbowle ein würziger Dattel-Dip und zu „Dein Weg“ Spanischer Zwiebelkuchen und Sangria.

Warum sie das so gerne machen? „Wir tun das ja auch für uns. Es erweitert den Horizont und gibt Einblick in andere Kulturen. Und man kocht etwas, was man zu Hause nie kochen würde“, erklärt Marion Friedrich, die von Anfang an dabei ist. Das Team ist so harmonisch, dass es sogar eine Reise nach Venedig unternommen hat, erzählt Michaela Mayer. Sie wirkt bei der Filmauswahl mit, gestaltet die Einladungen und ist die Administratorin der Facebook-Seite „Herbst- und Winterkino“. 

Im Herbst- und Winterkino finden alle Generationen zusammen – nicht nur ältere Menschen. „Es ist ein ganz anderer Spirit als im normalen Kino“, sagen die Besucher. „Wir kommen nicht nur wegen des Films.“ Es sei eine ganz bewusste Entscheidung, bei der es nicht nur um Konsumieren gehe. Hier gibt es Begegnung und Austausch.

von Anna-Pia Kerber

Zurück