Stark im Kommen: Fleisch-Ersatz

Ein Gespräch über den Trend zu pflanzlichen Produkten

Ergeht es den Fleischessern bald wie den Rauchern? Eher nicht. Dennoch liegen Schatten über den Tellern. Gammelfleisch-, Tierwohl- und CO²- Diskussionen machen aus lecker Häppchen zunehmend Gewissens-Bissen. Die fetten Jahre, in denen die Agrarindustrie den Slogan „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“ ins Volk hämmerte, sind vorbei. Der Blick in die Regale offenbart Verschiebungen. Wo vormals fünf Salamisorten lagen, breiten sich Fleischersatzprodukte aus. „Vegane Leberwurst“, „Algen-Currywurst“, „Veggie-Burger“ oder „Seitan-Schnitzel“: Auch das steht heute für Lebenskraft. Aber es ist eine Herausforderung, aus Pflanzen etwas wie Hackfleisch oder Würstchen zu machen, vor allem, wenn es bio sein soll. Wir haben Dr. Klaus-Jürgen Holstein aus Hamburg dazu befragt. Er ist Foodscout, Biospezialist, Pflanzenfreak in Sachen Lebensmittelzutaten und gönnt sich gerne auch ein gutes Stück Biofleisch.

Herr Holstein, was schreiben Sie in die Spalte eines Formulars, in der Sie Ihren Beruf angeben müssen?
Das ist genau das Problem. Heute sagt man „Netzwerker“, das ist sicherlich die Haupttätigkeit. Meine Kunden sind Lebensmittelproduzenten auf der einen Seite, auf der anderen Handelsketten auf der Suche nach Produkten. Dabei geht es zurzeit überwiegend um pflanzliche Proteinprodukte.

Sie bringen aber nicht nur Leute zusammen, Sie probieren in Ihrer Versuchsküche auch neue Dinge aus. Kann man Sie als Lebensmittelbastler auf dem Biosektor bezeichnen?
Das müssen Sie zwangsläufig sein. Es geht darum, aus pflanzlichen Rohwaren möglichst geschmackvolle und gute Produkte zu entwickeln.

Machen sie auch verrückte Sachen?
Wenn Sie etwas erleben wollen, was nicht klappt, müssen sie nur alle möglichen Bindemittel ausprobieren. Sie formen aus dem Rohmaterial eine nette Kugel, braten sie in Öl an und haben plötzlich ein schmählich aufgelöstes Restchen. Oder Sie versuchen, mit Proteinmehlen eine Soße anzudicken. Das gibt oft Kaugummi. Diese ganzen Versuche mache ich, um am Ende des Tages sagen zu können: „Das können Sie so und so verwenden!“ Die Stiftung Warentest hat gerade eine neue Serie von Veggie-Burger-Patties getestet. Die Verbesserung der Rezepte ist zurzeit das Entscheidende.


Dr. Klaus-Jürgen Holstein
Foodscout, Biospezialist, Pflanzenfreak in Sachen Lebensmittezutaten

Entscheidet sich gerade, ob Fleischersatz-Produkte funktionieren?
Auf konventionellem Sektor ist das schon sehr weit fortgeschritten. Wir haben Unternehmen, die mit großer Marktmacht einsteigen, wie beim amerikanischen Produzenten Beyond Meat sogar ohne Preisdumping, aber mit einem riesigen Chemiebaukasten dahinter, was nicht meinen Idealen entspricht. Im Biobereich fehlt noch ein großer Impuls in dieser Richtung.

Liegt es daran, dass der Biokunde eher naturbelassene Lebensmittel erwartet?
Die Bereitschaft für Fleischersatz ist schon lange da. Sojaschnitzel sind seit 20 Jahren ein absolut gängiger Artikel auch für Biokunden. Sie haben dennoch recht: Wir haben einerseits die Kunden, die alles naturnah, einfach und regional haben wollen. Aber wir haben auch Kundschaft, die nicht mehr geübt ist in der Herstellung von Grünkern-Burgern und Ähnlichem. Dieses Wissen gab es eher bei den Pionieren, nicht mehr bei den 25 jährigen Veganern, die heute ihrer Freundin etwas Leckeres vorsetzen wollen. Der Herr Ritter hat gerade die Produktion seiner Bio-Schokolade eingestellt. In diesem Zusammenhang erzählte er die wahnwitzige Story, dass so etwas eh nur die ewig gestrigen Jutetaschen-Träger kaufen würden. Da verkennt er völlig die Realität. Wir haben eine junge Generation, die auf die Reizworte reagieren, dass die Hauptgefahr für die Ernährung von Tieren, Milch und so weiter ausgeht. Aber die Alternativen dazu möchten sie fertig serviert haben, denn Rohwaren selbst anzumischen, ist ihnen viel zu kompliziert.

Ein gutes Produkt muss heute biologisch erzeugt sein, Convenience-Charakter haben, eine gute soziale und eine gute Transportbilanz haben. Das ist ein hoher Anspruch.
Sicher. Wir können uns ja keine Bioprodukte erlauben, die unseren Grundanliegen widersprechen. Wenn das jemand aufdeckt, sind wir total unglaubwürdig.
Der entscheidende Maßstab bleibt und ist wichtiger denn je: der Geschmack. Die Generation, die verschrumpelte Äpfel kauft, weil es bio ist, gibt es so gut wie nicht mehr. Die Anforderungen sind heute einfach höher. Wo das schon wunderbar klappt, sind die pflanzlichen Drinks, die die Milch ersetzen. Da stimmen die Qualität, der Geschmack und inzwischen auch die Preise. Wir kriegen mit der Rohware Hafer wunderschöne deutsche Produkte, wir kriegen zertifizierte Verbandsware und müssen uns nicht sorgen, dass die Produkte unerkannte Haken haben. Bei der festen Nahrung braucht man nun etwas Ähnliches.

Und da ist Erbsenprotein der interessanteste Kandidat?
Im konventionellen Bereich hat man damit die beste Erfahrung gemacht. Da ist die riesige Firma Beyond Meat einfach ein Taktgeber. Die zeigen, dass solche Produkte auch von Fleischessern als ordentlich empfunden werden. Geschmacklich ist es auf dem Markt derzeit das Beste. Man muss nur vermeiden, die Zutatenliste genau zu lesen.

Die Orientierung am Fleisch ist offenbar durch unsere Esskultur vorgegeben. Selbst die Optik wird dem Fleisch nachempfunden. Geht das nicht anders?
Darüber haben wir in der letzten Zeit viel mit den Herstellern diskutiert. Um den Übergang zu den pflanzlichen Produkten zu erleichtern, ist eine gewisse Orientierung am Fleisch sinnvoll. Das heißt nicht, dass es unbedingt wie Fleisch schmecken muss. Aber wenn ich dem Kunden sage: Das schmeckt wie Chili con Carne, das wie Hühnchencurry oder Geschnetzeltes, dann weiß er, was ihn erwartet. Das Ziel ist, Produkte zu schaffen, die der Kunde in Abwechslung zum Fleischgericht in seinen Wochenplan einbauen kann. Ich denke bei llem, was ich mache, nie nur an die tausendprozentigen Veganer. Aus meiner Sicht ist es berechtigt, hin und wieder ein wertvolles, teures Stück Fleisch zu essen, aber nicht so viel wie heute. Dass Hackfleischersatz rötlich gefärbt ist, ist ein Gag. Das machen wir, um dem Kunden eine Brücke zu bauen. Umgekehrt gibt es auch Fleischprodukte, die gar nicht nach Fleisch schmecken. Das ist wie der Witz von dem Kunden, der sich über eine Fleischvergiftung durch eine Boulette beschwert hat, der aber vor Gericht verlor, weil gar kein Fleisch drin war.



Gibt es irgendwann Produkte in Pelletform?
Das gibt‘s in allen Formen. Das frische Hauptprodukt hat die Form Hackfleisch. Auch echtes Biofleisch wird zu 50 Prozent als Hackfleisch verkauft. Das ist ein universales Mittel, um eine beliebige Form mit beliebiger Würzung draus zu machen. Was im Moment noch schwierig ist, ist etwas herzustellen wie Fleisch am Stück. Konventionell  geht das mit viel Technik und künstlichen Aromen; im Biobereich nicht.

Es gibt auch Forschungsprojekte, die echtes durch Zellzüchtungen in einer Nährlösung Fleisch künstlich herstellen. Man bekommt echte Steaks, ohne sie einem Tier entnehmen zu müssen. Wie stehen sie dazu?
Unter Fachleuten ist zunächst die Fleischerzeugung durch Einsatz von Insekten eine realistische Option. Aber das ist hierzulande psychologisch schwierig. Man ist nicht glücklich mit dem Gefühl: Ich habe ein Insekt gegessen! Die Produktion ist auch unsagbar teuer. Wenn sie so kleine Maden oder Heuschrecken nehmen, brauchen sie unendlich viele, und sie müssen das alles trocknen und mahlen. Sowohl von der Haltung als auch von der Bereitstellung her ist das noch keine wirkliche Alternative. Die Züchtung von Fleisch in Nährlösungen hat eine etwas bessere Prognose.

Was ist Ihr persönliches Motiv? Geht es ums Tierwohl, Ökologie oder Nachhaltigkeit?
Mir geht es sehr stark, wie immer bei Bio, um eine möglichst gesunde Ernährung. Wir erleben ja angesichts der Corona-Krise, dass jeder versucht, Zivilisationskrankheiten und Infekte soweit es geht zu vermeiden. Das führt nun mal zur Erkenntnis, dass zu viel Fleischkonsum der Gesundheit abträglich ist. Wo Fleisch mit Krebs und anderen Krankheiten in Verbindung gebracht wird, sucht man sinnvolle Alternativen. Und natürlich ist es auch ökologisch wenig sinnvoll, 40-mal so viel Pflanzenproteine einzusetzen, um am Ende ein Kilo Rindfleisch zu erzeugen. Das ist schlicht ein Wahnsinn. Wenn man die gesamte Menschheit anschaut, kann man das nicht allen bieten, weil unsere Erde das nicht hergibt. Und ich möchte auch keine Selektion machen, dass ein Afrikaner sich nicht vollwertig ernähren darf und ein Asiate möglichst nur pflanzlich leben soll, damit die Nordamerikaner und Europäer möglichst viel Fleisch essen können.

Bürger, Hühnchen mit Reis, Spaghetti Bolognese. Alles Bio - und ohne Metzger.

Wie sieht unsere Ernährung in der Fernperspektive aus?
Die pflanzliche Ernährung wird nicht in Nischenbereichen herumkrebsen. Wenn wir heute bei Getränken die Zielmarke von zehn Prozent für realistisch halten, werden wir das bei festen Produkten bald genauso sehen. Selbst 20 bis 25 Prozent halte ich da für nicht überzogen. Immer unter der Voraussetzung, dass die Weiterentwicklung noch unbekannte Verbesserungen bringt.
Man muss es im Zusammenhang sehen: Wir haben derzeit in der Bundesrepublik das erste Mal einen faktischen Rückgang des Fleischkonsums um fünf Prozent. Das stecken Produzenten wie Tönnies locker weg, weil sie diesen Teil im Ausland verkaufen können. Aber es gibt andere verräterische Indizien. Alle Großkonzerne, aber auch die Mittelständler, haben sich inzwischen eine vegetarische Abteilung zugelegt.

Wie Rügenwalder?
Das ist ein klassisches Beispiel, das mit 40 Prozent Umsatz bei vegetarischen Produkten auch wieder aus der Reihe tanzt. Aber auch viele mittelgroße Molkereien in Süddeutschland bauen gerade pflanzliche Abteilungen auf. Das ist schon weit mehr als eine Mode. Wenn wir vor 20 Jahren so geredet hätten wie heute, hätte uns jeder für verrückt erklärt.

Essen Sie selbst denn auch mal ein Steak?
Ja klar. Ich bin der typische Flexitarier. Das ist heute eine große Gruppe. Ich denke nicht ideologisch. Das Problem ist, dass man mit rein pflanzlichen Produkten in unserer Kultur nicht alles abdecken kann. Das ist genau so, als wenn ich Sie jetzt verdammen würde: Bitte essen Sie immer nur Bohnen, Erbsen, Bulgur und Kichererbsen! Das sind wunderschöne und hochwertige Bestandteile der Ernährung, die ich auch in den Rezepten in meinem Buch schätze. Aber erstens ist der Proteingehalt in Getreide und Hülsenfrüchten nun mal nicht so hoch wie etwa in Proteinmischungen aus deren Konzentraten und zweitens will ich mir diese Bandbreite von Geschmack gönnen: vom hochwertigen Biofleisch bis hin zu lecker gewürzten Proteinen.

Das Gespräch führten Hanno Henkel und Arnulf Müller

Buchtipp: Kann man mit dem eigenen Essverhalten die Welt retten?
Wenigstens den eigenen Körper? Oder nichts von beiden?

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