Theater statt Pizza

von Jessica Stukenberg

Das Corona-Virus hat viele hart getroffen, gerade auch freischaffende Künstler.
Jessica Stukenberg vom Freien Theater Fulda zum Beispiel. Kurz vor einer geplanten Premiere fiel der Corona-Vorhang – und blieb unten. Das war nicht nur ein großer finanzieller Verlust, das Theater ist für sie auch Lebenselixier. Also hieß es, Phantasie walten zu lassen. Da sie schon seit vielen Jahren unterschiedliche Programme bei Geburtstagsfeiern oder zu anderen Anlässen spielt, hat sie kurzerhand einen Lieferservice für Glückwünsche ins Leben gerufen, frei nach dem Motto „Theater statt Pizza“. Wir haben die Schauspielerin und Theaterpädagogin gebeten,zu erzählen, wie ein solcher Service funktioniert:

Ein blauer Corsa mit dem Logo des Freien Theaters Fulda fährt vor. Eine Frau im rosafarbenen Brautkleid und mit blonder Perücke steigt aus. Sorgfältig schnallt sie sich ein paar Engelsflügel um. Dann zaubert sie Etliches aus dem kleine Auto: eine Mülltonne, einen Eimer mit Flüssigseife, einen Obstpflücker mit Teleskopstange, eine silberne Handtasche und einen mit goldenem Tuch ausgekleideten Wäschekorb, in dem sich zahlreiche weitere Utensilien befinden.
Umständlich beladen kriecht sie durch das Gebüsch. Dort wartet die Döt des Geburtstagskindes, das heute sechs wird, auf ein Zeichen, um die Familie auf den Balkon zu locken. Vorab muss die Dame im Brautkleid jedoch noch in die hüfthohe Tonne kriechen. Zur Musik der Spieluhr beginnt sie, sich in der Tonne zu drehen, und zaubert Riesenseifenblasen in den Garten. Das Geburtstagskind erscheint auf dem Balkon. Das Schauspiel ist ihm nicht geheuer. Doch nach und nach taut die Sechsjährige auf und lächelt verstohlen: eine Fee, ihr Lieblingswesen, ausgerechnet in ihrem Garten. Fee Pauline weiß so einiges über sie zu berichten. Sie hat sogar ein Geschenk dabei, das mit dem langstieligen Obstpflücker bis zum Balkon gereicht wird. In dem kleinen Schächtelchen sind drei weiße Haare, die von Einhorn Paul stammen. Legt man sie unters Kopfkissen, geht ein Wunsch in Erfüllung. Leider hatte Paul beim Einpacken der Haare Schnupfen, weshalb es sein könnte, dass das mit dem Wünschen doch nicht perfekt klappt. Einen Versuch ist es zumindest wert. Das Geburtstagskind macht große Augen und strahlt glücklich. Pauline verabschiedet sich mit Seifenblasen und verschwindet wieder im Gebüsch.

Das Auto wird zur Umkleidekabine, denn jetzt geht's in die Rhön zu einem Jubilar, der heute fünfzig wird und eigentlich groß feiern wollte. Diesmal steigt eine angebliche Angestellte der Gemeinde aus und baut ihr seltsames Equipment mitten auf der Straße auf. Jetzt ist noch eine ominöse Kiste mit dabei. In den umliegenden Häusern zucken die Gardinen, aber alle scheinen eingeweiht und warten gespannt, was passieren wird. Ein Anruf bei der Ehefrau damit sie weiß, dass es losgehen kann. Der Göttergatte skypt jedoch noch. Im Gebüsch der Nachbarn haben sich bibbernd die Kollegen versteckt. Kalt ist es heute. Sie haben den Glückwunsch-Lieferservice beauftragt, weil sie um die Enttäuschung des Geburtstagskindes wissen, seinen runden Geburtstag ausgerechnet im Corona-Jahr zu begehen. Der muss sich nun, sichtlich gerührt, von der Dame der Gemeindeverwaltung einiges gefallen lassen – als Schwabe in der Rhön und selber Kleinkünstler. Das nimmt die Darstellerin zum Anlass, sich als Kulturliebhaberin zu outen und mit einigen hanebüchenen Darstellungen beeindrucken zu wollen: Jonglage mit systemrelevanten Bällen, nämlich Klopapierrollen, Shakespeare auf der Mülltonne und auch diesmal gibt es Riesenseifenblasen zur Musik. Das Geschenk, das seinen Weg wieder mit dem Obstpflücker auf den Balkon findet, ist eine Torte aus Klopapierrollen. Fazit der Kollegen: „Du hast wirklich einen ausgemachten Knall, aber schön war's.“
Vier Tage später, es geht nach Künzell zu einem 77. Geburtstag. Der Jubilar ist ein leidenschaftlicher Gärtner und liebt Gedichte, erzählen Sohn und Schwiegertochter, die eigentlich zur Feier aus Marburg anreisen wollten. Nun bleiben sie lieber zuhause, um kein Risiko einzugehen. So steigt diesmal eine vermeintliche Botanikerin mit Lehrstuhl an der Uni Marburg aus dem Auto und möchte den Herrn an den legendären Züchtungsversuchen der langfiedrigen Lilie Coronari vitali beteiligen. Das Pflänzchen wird mit Gedichten besprochen, besonders gegossen und mit Musik – einem Geburtstagslied natürlich – beschallt. Da die Blätter angeblich giftig sind, zieht die Botanikerin Gartenhandschuhe an, die sich zu Handpuppen verselbständigen und noch ein ganz persönliches Gedicht für das Geburtstagskind zum Besten geben. Dann wird, natürlich mit Teleskopstab, das Pflänzchen übergeben: eine Klopapierrolle, aus der ein paar Einmalhandschuhe hinauswachsen. Praktischer könnte das Geschenk in diesen Zeiten nicht sein.

So – oder auch ganz anders – läuft der Glückwunsch-Lieferservice ab. Die kleine Darbietung ist immer speziell auf den Anlass zugeschnittenen und findet mal im Haus, im Garten, unter dem Balkon oder auf die Straße statt. Immer mit Abstand. Auftraggeber sind Familienangehörige, Freunde oder Kollegen, die trotz oder gerade wegen der besonderen Umstände etwas Außergewöhnliches schenken möchten. Im Vorfeld schmieden sie mit mir ein Komplott: Sie erzählen ein wenig aus dem Nähkästchen und müssen vor allem die zu Beschenkenden unter fadenscheinigen Gründen per Telefon oder mit Hilfe von Eingeweihten zur rechten Zeit auf den Balkon locken. Am schönsten ist immer der erste Überraschungsmoment.
Das alles wird natürlich auch noch über Corona hinaus möglich sein, wenn das Leben nicht mehr kopfsteht.

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