Ätschi, Bätschi!

von Anna-Pia Kerber

Gedanken über die Schadenfreude

Ich halte mich für keinen besonders guten Menschen. Aber es gibt ein Phänomen, das mir immer ein wenig fremd bleiben wird: die Schadenfreude. Die Kamera zeigt ein sportliches Girl, das prahlerisch einen Basketball über den Kopf hält, im Hintergrund der Basketballkorb. Sie tanzt ein paar Schritte hin und her, bringt sich dramatisch in Stellung und wirft dann rückwärts, ohne hinzuschauen, den Ball Richtung Korb. Dieser prallt am Rand ab, schlägt einmal auf dem Boden auf und trifft das verblüffte Mädel am Hinterkopf. Ihr Gesicht ist schmerzverzerrt, doch die Umstehenden – lachen.
Fernsehserien wie Pleiten, Pech und Pannen und abertausende YouTube- und Facebook-Videos beweisen, wie populär diese kuriosen und amüsanten Missgeschicke anderer sind. „Internetclips that satisfy your schadenfreude“ heißt es da zum Beispiel oder „fail“ – das neue Trendwort zum öffentlichen Scheitern. Verkaufsschlager Schadenfreude.
Freude am Schaden eines anderen – ein typisch deutsches Wort – ist schwer zu erklären und offenbar doch leicht nachzuvollziehen. Soll man es Nicht-Deutsch-Sprechenden erläutern, gerät man in Erklärungsnot. Was sagen? „Passiert jemandem ein Missgeschick, lachen wir ihn aus!“ Trifft es das? „Tut sich jemand weh, freuen wir uns!“ Ist das Schadenfreude? Oder geht es vielmehr um unterdrückte Emotionen, die in bestimmten Situationen zum Vorschein kommen? Im täglichen Miteinander müssen wir oft an uns halten. Wir schlucken die Kritik vom Chef, den Ärger beim Finanzamt, den Groll auf die Schwiegermutter herunter. Wir ärgern uns über soziale Ungerechtigkeiten und fühlen uns benachteiligt oder übergangen. Geschieht dann etwas, was diese Ungerechtigkeit durch ein Missgeschick ausgleicht, freuen wir uns.
Bei Wikipedia heißt es dazu: „Schadenfreude scheint eine dominante Rolle beim Erhalt von Gerechtigkeit und der Bestrafung von Normverstößen in menschlichen Gesellschaften zu spielen.“ Was ist damit gemeint? Wenn es der Obrigkeit an den Kragen ging, fühlte sich das niedere Volk bestätigt. Und es gab viel Anlass zum Spott, wenn dem scheinheiligen Kirchenmann ein Unglück widerfuhr.
Wasser predigen und Wein trinken – je unglaubwürdiger ein Prediger war, desto größer fiel die Schadenfreude aus, wenn er aufflog.
Um es an einem Beispiel in der Jetztzeit zu zeigen: Wird jemand im großen Stil wegen Steuerhinterziehung erwischt, haben wir kaum Mitleid. Höchstwahrscheinlich werden wir uns freuen.
Schadenfreude funktioniert demnach wie ein Ventil, um inneren Druck abzulassen. Ähnlich wie beim Karneval, wenn man sich verkleiden und über die Herrschaft lustig machen darf – ganz unverhüllt und ohne Konsequenzen.
Allerdings wird die Größe der Freude am Schaden eines anderen bei jedem anders ausfallen. Finden wir es auch noch lustig, wenn sich jemand ernsthaft wehtut? Falls ja, was sagt das über unseren Charakter aus?

Schadenfreude scheint es in zwei Arten zu geben: den offenen, unverhohlenen Spott und den stillen Hohn. Manche zeigen es offen, andere freuen sich im Geheimen. Und sieht man genauer hin, gibt es auch für dieses Phänomen in jeder Sprache und in jeder Kultur eine Bezeichnung.
Selbst in einem Land wie Japan, das von Höflichkeit und Zurückhaltung regiert wird. Passiert dort jemandem ein Missgeschick, wenden sich alle höflich ab. Sie sehen nicht hin, um denjenigen nicht in Verlegenheit zu bringen. Ein Japaner würde eher den Blick abwenden, statt dem Gestolperten aufzuhelfen. Alles, um dessen Ehre zu retten.
Das Wort „Schadenfreude“ sucht man im Japanischen vergeblich, es existiert nicht.
Aber: Es gibt ein Sprichwort und dieses mag umso bezeichnender sein, als der Japaner es so elegant umschreibt: „Ein Pech von jemand anderen schmeckt nach Honig.“ Geschmackvoll, aber nicht weniger boshaft. Ein muslimisches Sprichwort besagt dagegen: „Wer Schadenfreude sät, wird Akne ernten.“ Allerdings bleibt zu bezweifeln, ob alle Muslime reine Haut haben.
In den meisten Sprachen wird das Gefühl der Schadenfreude demnach mehr oder weniger geschickt umschrieben. Nur die Deutschen bleiben sich linguistisch treu – so direkt und unvermittelt wie im sozialen Umgang. Zumindest weiß man so, woran man ist. Die Amerikaner haben das Wort „schadenfreude“ einfach übernommen – genauso wie „bratwurst“ und „sauerkraut“. Es wird für harmlose Missgeschicke gebraucht, wenn der Drang, über den Eisfleck auf dem frischen Hemd zu lachen, zu groß wird. Je geringfügiger der Schaden, desto großzügiger wird gelacht.
Und auch heute gilt noch: Je mächtiger sich die Person gibt, desto größer ist die Schadenfreude über deren Fall. Würde ein Mr. Trump, der monatelang das Covid19-Virus geleugnet und ein gesamtes Land in Gefahr gebracht hat, heute selbst daran erkranken – sicher würden viele Menschen Schadenfreude empfinden. Doch die moderne Gesellschaft verbietet es sich, anderen Krankheiten an den Hals zu wünschen. Zu recht. Denn laut Ghandi heißt es: „Auge um Auge – wird nur dazu führen, dass die gesamte Welt erblindet.“
Ein bisschen Schadenfreude im Fall des amerikanischen Präsidenten dürften wir trotzdem empfinden. Denn wer die Konstitution eines Schlachtrosses hat, gekrönt mit einer Frisur aus Beton – der würde auch dieses Übel locker überleben.

Zurück