„Alles SchiSchi! Weißt schon, was ich mein’!“

Die Gaststätte „Zur Sonne“ ist einer der wenigen Orte in Fulda, wo die Rolle eines Menschen keine Rolle spielt: ein Schmelztiegel der Klassen und Kulturen.

„Iss mal Rosenkohl“, sagt da der Kellner zum Schlipsträger in der Mittagspause. „Tut dir gut!“ Dabei haut er ihm auf den Rücken, dass sein Jackett auf halb acht rutscht. Der findets klasse und bestellt – Rosenkohl. Wie schafft das der Jens Diegelmann? Wie kriegt der all die unterschiedlichen Typen unter einen Hut? Geplant war ein normales Interview, doch zum Fragen kamen wir eigentlich gar nicht …

Ich bin ein sehr neugieriger Mensch. Fängt beim Essen an, esse alles. Natürlich geht die Neugier auch auf Menschen, unbedingt. Gibt nichts Geileres, als neue Kontakte zu knüpfen. Wenn dich keiner kennt und du fängst von null an, hast du ganz neue Möglichkeiten. Auch wenn Gäste reinkommen, die ich noch nie gesehen habe. Wenn die dann zufrieden und mit einem Lachen nach Hause gehen, ist das für mich das Größte. Dann hinterfragen die Menschen das auch: „Wieso gibt es nicht mehr solcher Kneipen?“ Ich hab schon immer so gearbeitet. Ich bin in meinem Job einfach ich.

Als Kellner musst du natürlich auch die hohe Schule vorher besuchen. Man lernt das nicht in fünf Minuten. Es muss Grundwissen vorhanden sein, um das konstant gut zu machen. Ich könnte auch mit Fliege hier herumrennen und ein nobles Gedeck herrichten. Aber ich will doch glücklich werden mit meiner Arbeit.

Weißt du, warum auch Millionäre hierherkommen? Weil die endlich mal normal bedient werden, ohne dass der Buckel gemacht wird. Und ohne, dass sofort die Kaffeemaschine für die anderen Gäste blockiert ist. Die haben auch nicht reserviert und müssen sich vielleicht an den Tisch am Eingang setzen, wo es auch mal zieht. Das sind Leute, die Geld und alles mögliche haben. Aber egal wo sie hingehen, werden die nicht normal bedient. Bei mir kommst du rein, und jeder ist gleich. Ob du schwerbehindert bist, ob du Millionär, Punker oder Afghane bist, ob du mit ’nem Ferrari vorfährst oder ’nem alten Fahrrad. Alle kommen genau aus dem Grund hier rein: Weil sie es cool finden, normal behandelt zu werden. Und besonders, wenn sie den ganzen Tag nicht normal behandelt werden, weil sie ja der große Chef sind. Ich verlange auch, dass ich gleich behandelt werde. Wenn vor ’nem Club hundert Leute stehen, und der Türsteher will mich reinwinken, weil er mich kennt. Da hab ich keinen Bock drauf. Die anderen müssen ja auch ’ne halbe Stunde warten bei 10 Grad minus. Wie ich zu meinem Image komme? Das müssen die Gäste erklären, die schon seit Jahren hierherkommen. Nicht ich. Ich weiß es nämlich nicht. Ich bin einfach normal, fertig. Ich bediene alle gleich. Auch in der harten Nummer. Wenn du dich nicht benimmst, wenn mir irgendwas an dir stinkt, kriegst du das direkt aufs Brot geschmiert. Wenn du sagst: „Guck mal, mein schönes Auto!“, dann sag ich: „So ’ne Farbe? Wo is’n dein Geschmack? Ist doch hässlich!“ Da schwätz ich nicht drum herum.

Meine besten Freunde waren schon immer die Underdogs. Die, wo man gesagt hat: „Oh, guck mal den!“, oder: „Hm, der hat ja nicht so viel“. Das waren immer meine dicksten Kumpels. Eigentlich bis heute. Ich hab zwar auch viele Freunde, die Geld haben, aber meistens sind es die Underdogs.

Das Schlimme heutzutage ist, dass die Leute extrem viel Wert auf äußere Sachen legen: teures Auto, teure Uhr, teure Sonnenbrille, teure Schuhe … Haben aber selbst nichts auf der Kette. Weißte? Dieses Nach-außen-Denken. Da wird sich aufgetakelt und aufgestylt. Warum können die Leute nicht so sein, wie sie sind. Geht im Fußball schon los. Können den Ball nicht mal drei Meter geradeaus schießen und tun so, als wäre Barcelona an ihnen interessiert. Dann frag ich den: „Wo spielst du denn?“ – „Rönshausen!“ – „Junge, wenn du gut wärst, würdest du nicht in Rönshausen spielen.“ So was nennt sich „Blender“. Weißt schon, was ich mein.

Wichtig im Beruf ist, dass man abends heimkommt und sich wohlfühlt. Und nicht denkt: „Morgen schon wieder die beschissene Arbeit im Büro! Da verdien’ ich zwar einen Haufen Geld, bin aber total unglücklich.“ Und dann musst du den Job vielleicht noch 40 Jahre machen, weil du erst 25 bist. Wenn du jetzt schon unglücklich bist, mach was anderes. Zieh das nicht durch, weil du immer noch unglücklicher wirst. Guck dir die Flüchtlinge an: Da tragen Siebzigjährige noch Kinder durch die halbe Welt. Man ist nie zu alt, um irgendetwas zu ändern. Ich weiß, dass ich recht hab. Das ist vielleicht auch der Grund, wieso ich so aufgedreht bin. Ich würde auch Taxi fahren, wenn ich damit glücklicher wäre. Klar, die „höheren“ Leute könnten auch in den Karpfen gehen. Aber wenn es gut schmeckt, gehen die auch in so ’ne verrockte Kneipe. Was es früher alles für Kneipen gab! Tante Änne, Kulmbacher Schmiede. Da fühlte man sich einfach wohl. Net immer Schischi! Das kriegt man überall. 20 verschiedene Wodkasorten und so. Überall Schischi! Weißt schon, was ich mein’. Wir machen lieber nur zwei Wodkasorten und gut ist! Klar, die Qualität von den Produkten, die wir rausgeben, muss top sein. Ob Kaffee oder Rührei. Wenn das nicht stimmt, kommen die nicht; der Punker nicht und auch die „wichtigen“ Männer nicht.

Auf die Idee mit den verschiedenen Rühreivariationen sind wir so gekommen: Die meisten bieten dieses fertige Frühstück an, Vital-Frühstück, Fuldaer Frühstück mit Salami, Henkers-Frühstück und so. Und dann geht das Spiel los: „Ich hätte gerne das Rustikal-Frühstück, aber statt Marmelade bitte Honig.“ Oder: „Statt Salami gerne Schinken und statt gekochtem Ei bitte Rührei“. Um diesen ganzen Extrabestellungen zu entgehen, kamen wir auf die Idee, ein Rührei mit Schafskäse und Peperoni zu machen, wozu dann nach Wunsch variiert werden kann: das „Frühstück zum Ankreuzen“. Jeder kann bequem wählen, worauf er Bock hat. Funktioniert wunderbar und ist auch für die Mitarbeiter einfacher.

Und was auch wichtig ist: Es wird heute gerade bei Buffets zu viel Essen weggeworfen, das ist ein komplettes Desaster. Echt beschämend. Dieses Überangebot reduzieren wir, weil sich jeder selbst vorher fragt: „Auf was habe ich Hunger?“ Dann sagst du vielleicht: „Auf ein schönes Rührei mit Kümmelbrot“ - und fertig. Du kannst den Hunger selber einschätzen, und entsprechend wenig wird weggeschmissen.

Irgendwann kam die Info, dass die Sonne frei war. Jeder hat mir abgeraten: „Da gehst du um!“ Aber ich dachte, wenn man’s richtig macht, kommen die Leute. Heute sind wir megabekannt wegen Mittagessen und Frühstück. Damals gab es ja fast nur die Freitag- und Samstagabend-Partys. Mittlerweile verdienen wir unser Geld eher mit Weinproben, Weihnachtsfeiern, Mittagessen, Frühstück als mit Partys. Ist mir auch lieber, wenn ich ehrlich bin. Oh Gott, im nächsten Jahr gibt es uns schon 15 Jahre.

So ein Job ist auch eine Belastung. Der deutsche Staat macht den Beruf auch schwer: Mehrwertsteuer erhöht, Leute dürfen nicht rauchen. Aber draußen dürfen sie nach 23 Uhr auch nicht stehen. Wie soll das funktionieren? Wenn die Leute rauchen wollen, müssen sie raus. Und wenn 100 Leute draußen rauchen, hat man automatisch die Lautstärke. Wir haben so viele andere Probleme. Wie wollen wir eine Million Flüchtlinge integrieren, wenn wir alles so genau nehmen? Um das auszugleichen, bräuchten wir von meiner Sorte 30.000. Dann würde das vielleicht funktionieren. Mein’ ich ernst. Wenn wir alle gleich behandeln würden, hätten wir dieses Problem schon mal nicht.

Ich stell’ mir schon manchmal die Frage: Was macht mich so außergewöhnlich, dass mich fast jeder gern hat. Weißt schon, wie ich das mein’. Dann sagen die: „Dass du immer so freundlich bist.“ Dann sag ich: „Ist es als Kellner nicht normal, dass man freundlich ist?“ Dann sagt ein anderer: „Ja, aber es ist irgendwie so, als würde man zu Freunden gehen.“ Ein alter Spruch sagt: Wenn man in eine gute Kneipe geht, geht man zu Freunden, weil man sich da wohlfühlt. Ist doch völlig normal, richtig? Ich bin quasi „normal nett“, weil ich eben Spaß an meiner Arbeit habe. Aber dadurch, dass ich so bin, bin ich gerade nicht normal, verstehste? Eigentlich sollte jeder so sein. Alle sollten Spaß in ihrem Beruf haben und freundlich sein. Nicht nur ein Kellner. Auch der Koch, Konditor, Elektriker, alle!

 

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