Altenpfleger: Ein Beruf für Jung und Alt?
von Anna-Pia Kerber
Altenpfleger, das ist ein Beruf dicht am Menschen. Nicht nur in körperlicher, sondern auch in seelischer Hinsicht: Bereichernde Begegnungen, neue Freundschaften, bewegende Geschichten – all das gehört zum Berufsbild dazu. Aber eben auch harte körperliche Arbeit, das Erleben von Ausnutzung, Aggression bis hin zu sexuellen Übergriffen. Und natürlich die Auseinandersetzung mit dem Sterben. Wer ist besser für diesen fordernden Beruf geeignet: junge Menschen, die das Leben vor sich haben und von ihrer Energie abgeben können? Oder erfahrene Menschen, die nichts und niemand aus der Ruhe bringt?
Obwohl sich viele junge Menschen für diesen Beruf interessieren und ihn oft mit Feuereifer angehen, leidet die Pflege unter extremem Fachkräftemangel. Etliche von ihnen steigen nach wenigen Jahren wieder aus. Wie kommt es, dass viele so schnell aufgeben?
Zum einen liegt es an den Arbeitsbedingungen. An einem System, das primär auf Effizienz ausgelegt ist und kaum Raum für menschliches Handeln und freie Gestaltung lässt. Zum anderen liegt es daran, dass jungen Menschen oft die nötige Lebenserfahrung und innere Festigkeit fehlt, um den enormen Anforderungen langfristig gewachsen zu sein.
Viel Erfahrung haben Natalie und Ramon gesammelt. Sie arbeiten in einem Altenpflegeheim im Landkreis Fulda. Das Paar ist im 3-Schichtdienst tätig: Der 38-jährige Ramon legt nebenher als DJ auf und kommt mit den Arbeitszeiten gut zurecht. Die 36-jährige Natalie begeistert sich für Tiere: Gemeinsam halten sie fünf Rescue-Hunde und etwa ein Dutzend Hühner. Zu Hühnern hat Natalie eine besondere Verbindung, weil diese gelegentlich auch im Altenheim zum Einsatz kommen. Heimbewohner dürfen die Tiere füttern, in den Arm nehmen und streicheln. Das hat therapeutische Wirkung, erzeugt Nähe und Wärme. Denn Nähe und Wärme ist etwas, das den älteren Menschen oft fehlt. Wenn es keine Verwandten gibt oder diese sie nicht besuchen kommen, sind die Pfleger die einzigen Bezugspersonen. Aber die sind angehalten, ihren Job zu machen – und können keine Familie ersetzen. „Wir haben gar keine Zeit, uns mit jedem ausführlich zu unterhalten. Oft noch nicht einmal, um die Pflege zu leisten, die wir gelernt haben“, bedauert Natalie. Die Arbeitszeit ist streng getaktet: waschen, anziehen, essen. Für tiefe Gespräche gibt es selten Gelegenheit.
Trotzdem gehe man mit den Menschen eine Bindung ein. Kommt ihnen näher, lernt ihre Gewohnheiten und ihre Macken kennen. Und erfährt mal mehr, mal weniger über ihre Familien. Man kann sich nicht immer ein genaues Bild machen über die Personen, die sie einmal waren – vor allem, wenn eine Demenzerkrankung vorliegt. Dann ist es mitunter auch schwierig, Hilfe zu leisten. Was geht in einem Menschen vor, der in seinem Zimmer plötzlich einen vermeintlich Fremden vorfindet? Der sich nicht daran erinnern kann, dass dieselbe Person ihm schon gestern das Essen gebracht und sich ihm bereits mehrmals vorgestellt hat. Für ihn erscheint der Pfleger als jemand, der sich unerlaubt Zutritt ins eigene Reich verschafft und sich ihm distanzlos nähert. „Neulich hat ein Mann zugeschlagen, weil er nicht verstanden hat, warum er von Fremden angefasst wird“, berichtet Ramon, der ihm beim Waschen helfen wollte. Verletzungen und blaue Flecken sind unter Altenpflegern keine Seltenheit. Dass man körperlich oder verbal angegriffen wird, muss auch der Geist verarbeiten. Doch das fällt bei dem hohen Arbeitsaufkommen und der geringen Freizeit oft schwer. „Ich habe schon viele Kollegen erlebt, die in ein Burn-Out gerutscht sind und den Beruf, den sie eigentlich liebten, verlassen mussten“, sagt Natalie.
Wenn man jedoch die hintergründigen Motive fürein Verhalten verstehen lernt und versucht, sich in den Bewohner hineinzuversetzen, muss es nicht so weit kommen. In der Pflege geht es nicht nur darum, eine Person sauber zu halten, sie satt und angezogen an einen Tisch zu setzen. Manchmal muss der Pfleger selbständig entscheiden: Braucht dieser Mensch schon wieder ein Bad oder sind im Moment vielleicht ein paar nette Worte wichtiger? Verrichtet man seine Arbeit schweigend, weil sich der Bewohner selbst nicht mehr ausdrücken kann, oder spricht man liebevoll mit ihm? Jede Handlung sollte erklärt werden, egal ob man vorhat, ihn zu waschen, umzuziehen oder zum Essen zu bringen. Schließlich hat man einen Menschen vor sich, der sein Leben selbstbestimmt geführt hat, und dem es gewiss nicht leichtfällt, seine Selbstständigkeit zu verlieren. Respekt fängt in der Pflege schon damit an, wie man die Menschen anspricht – im besten Fall mit der Anrede „Herr“ und „Frau“, im schlimmsten Fall mit vermeintlichen Kosenamen wie Alterchen oder Opi. Wer sich mit Respekt nähert, kann damit rechnen, dass auch ihm Respekt entgegengebracht wird. Aber wie in jedem Beruf, in dem man mit vielen Menschen zu tun hat, gibt es auch in diesem immer Personen, mit denen nur schwer umzugehen ist. Oft fällt es dann gerade jüngeren Kollegen schwer, sich zu schützen und auch mal durchzusetzen. „Manche nutzen das gnadenlos aus“, räumt Ramon ein. „Sie lassen die Pflegekraft drei Mal springen, um die Jalousie noch ein bisschen höher zu ziehen, oder das Wasserglas näher ans Bett zu stellen. Dabei können sie das sehr wohl alleine.“
In solchen Fällen müsse man sich auch mal behaupten und „Nein“ sagen. Besonders jungen Frauen falle das nicht leicht. „Aber das müssen sie lernen“, weiß Ramon. „Man kann sich nicht lange aufhalten lassen, wenn noch fünf weitere Bewohner, vielleicht auch solche mit hohem Hilfebedarf versorgt werden müssen.
Der Beruf des Altenpflegers ist indes vielseitig: Man ist Krankenpfleger, Psychologe, Seelsorger und Familienersatz in einem. Um all das sein zu können, muss man sich aber auch emotional distanzieren können. Wer sich jede Sorge zu sehr zu Herzen nimmt, geht daran kaputt. Und nicht nur mit Sorgen, auch mit Beleidigungen muss man mitunter zurechtkommen. „Eine Bewohnerin hat mich darauf hingewiesen, dass ich wohl zu dumm sei, um einen höheren Abschluss zu machen, sonst müsse ich jetzt nicht hinter ihr her putzen“, erinnert sich Natalie, die nebenher noch studiert. Sie kann solchen Bemerkungen mit Humor begegnen. Aber das kann nicht jeder Kollege. Die dreijährige Ausbildung zur examinierten Pflegefachkraft ist anspruchsvoll, der Berufsalltag eine Herausforderung. Natalie hat ausreichend Erfahrungen gesammelt, um emotional Abstand zu solchen menschlichen Schwächen zu nehmen. „Die sind nicht entschuldigen“, sagt sie gelassen, „aber das Alter macht die Menschen weder besser noch weiser. Wer immergehässig war, wird sich auch hier nicht mehr ändern.“ Und es sind nicht nur die menschlichen Schwächen, die die Pfleger neben ihrer eigentlichen Arbeit auf Trab halten. Es sind auch die sexuellen Bedürfnisse, die sich noch im Alter ihren Weg bahnen wollen. Als Altenpfleger bekommt man mitunter eindeutige Angebote. Aus einem anderen Heim wurdebekannt, wie eine ältere Dame den jungen Mitarbeiter in drastischen Worten fragte, ob er nicht mit ihr verkehren wolle. Was dahinter steht, ist eine unerfüllte Sehnsucht nach Nähe – und eine große Einsamkeit. Wie fühlt man sich als Mensch, wenn sich das Berührtwerden nur darauf beschränkt, von anderen gewaschen und angezogen zu werden? Extremverhalten ist oft ein Ausdruck von Verzweiflung. Oft steckt auch der Wunsch dahinter, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Etwa durch Exhibitionismus, wenn Männer ohne Hose im Zimmer so lange warten, bis die Pflegekraft erscheint. Wie behauptet man sich in so einer Situation? „Gelassen bleiben und klare Grenzen setzen“, finden Natalie und Ramon. Mit einigen Jahren Berufserfahrung funktioniert das ganz gut. Aber gerade junge Pflegekräfte fühlen sich in solchen Situationen allein gelassen, vor allem, wenn derartige Erlebnisse aufgrund von Zeitdruck und fehlender Supervision nicht aufgearbeitet werden können.
Blickt man auf die ganze Palette möglicher Belastungen, so ist es nicht verwunderlich, dass ältere, erfahrene Pflegekräfte weit besser gewappnet sind. Zum Beispiel Moni aus dem Kreis Bad Hersfeld: Sie liebt ihre Aufgabe und fühlt sich sehr wohl an ihrem Arbeitsplatz. Die 61-Jährige ist nach langer Pause und einigen anderen Jobs wieder als Altenpflegerin tätig. Lebenserfahrung hat sie reichlich. Und Gelassenheit. Vor einigen Jahren wollte sie nur weg von diesem Beruf, fühlte sich ebenfalls überfordert. Inzwischen sieht sie viele Dinge anders, hat einige Zeit im Ausland verbracht, ist den unterschiedlichsten Menschen begegnet.
„Wir haben eine wirklich gute Zeit im Heim“, findet sie. „Die alten Menschen freuen sich auf mich und umgekehrt.“ Sich eine Beleidigung nicht zu Herzen nehmen, das hat sie längst gelernt. Allerdings kommt so etwas auch seltener vor. Es mag daran liegen, dass die Bewohner mehr Respekt vor älteren Pflegekräften haben. Vielleicht liegt es aber auch am Charakter. Moni ist eine energiegeladene Frau, die nichts so leicht erschrecken kann. Dass sie in ihren alten Job zurückgefunden hat, war für sie ein Glücksgriff. Auch die harte körperliche Arbeit macht ihr nichts aus. Als Pflegekraft muss man dieHeimbewohner oft stützen, halten oder heben können – und auch das gelingt ihr mitunter besser als den jüngeren Kolleginnen.
In Corona-Zeiten sind die Pfleger besonders gefordert, auch weil viele Bewohner sich anders verhalten. „Es gibt Leute, die wollten früher nie ihr Zimmer verlassen. Jetzt wollen sie mit anderen auf dem Flur stehen und sind kaum davon abzuhalten“, berichtet Natalie. „Manche wundern sich über unsere Masken. „Eine Dame fragte: Ist bei euch die Luft immer noch so schlecht?“ Ähnliches hat die Altenpflegerin Gudrun im Kreis Bad Neustadt erlebt. „Die Bewohner fragen uns, ob bei uns der Krieg ausgebrochen ist.“ Dass sie ihre Verwandten nicht sehen dürfen, trifft sie hart.
Das Ziel eines guten Altenpflegers ist es, die schwierige und manchmal sehr lange Phase der Unselbständigkeit und Abhängigkeit erträglich und irgendwie doch lebenswert zu gestalten. Wer Menschen im hohen Alter pflegt, muss innerlich damit umgehen, dass es unweigerlich die letzte ist. Was bleibt am Ende? Manchmal nicht mehr als ein Schuhkarton voller Erinnerungsstücke. Der weggeworfen werden muss, wenn niemand kommt, um ihn abzuholen. Was länger bleibt in der Erinnerung des Pflegepersonals ist das Gefühl, einen Unterschied gemacht zu haben. Im Leben eines Menschen, den man eigentlich nicht kannte – und dem man doch sehr nahestand.