„Da hab’ ich mich an den coolen Tag in Fulda zurückerinnert ...“
Was in der Geschäftswelt zählt, sind Gewinne, Wachstum und innovative Strategien, die ein Unternehmen nach vorne bringen.
Wer eine kaufmännische Ausbildung bei einem so erfolgreichen Unternehmen wie engelbert strauss beginnt, wird erwarten, hier vor allem das nötige Rüstzeug für den Kampf um Marktanteile zu erwerben. Um so überraschender, wenn sich die Azubis plötzlich in einer inklusiven Kindertagesstätte wiederfinden, dort einem Jungen mit Glasknochenkrankheit begegnen und hautnah erleben, wie respektvolles und angstfreies Miteinander von unterschiedlichen Menschen gelingen kann. Drei Azubis blicken zurück:
Alisa absolviert eine Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel mit Weiterbildung zur Handelsfachwirtin. Am Projekttag besuchte sie die inklusive Grundstufe der Antonius von Padua Schule.
Am Anfang bekamen wir einen Infozettel, auf dem nur das Logo von antonius – Netzwerk Mensch abgebildet war. Wir sollten überlegen, was sich dahinter verbergen könnte. Je mehr Infos wir bekamen, desto interessanter wurde es.
In der Schule fiel mir auf: Alles war außergewöhnlich schön gestaltet. (Wenn ich das mit meiner alten Grundschule vergleiche ...) Die Lehrer haben sich für die Kinder sehr viel Zeit genommen. Überall gab es kleine Lerninseln. Alles war aufgelockert. In der Mitte standen kleine Bänke, da konnte die Klasse auch mal gemeinsam an etwas arbeiten. Ich selbst habe Grundschule so erlebt: Man sitzt in Reihen, und vorne steht ein Lehrer, der erzählt. Hier ist es ganz anders, irgendwie lebendiger und persönlicher.
Bei manchen Kindern habe ich nicht gleich gemerkt, wer ein Handicap hat. Ein Mädchen hatte ein paar einfachere Aufgaben gelöst, weil sie noch nicht so weit war. Mit ihr haben sich die anderen in Gebärdensprache unterhalten. Was mir auch auffiel: Wir waren ja Fremde, aber sie sind alle total offen auf uns zugegangen.
Unternehmen, die mit Menschen zu tun haben, würde ich so einen Projekttag unbedingt empfehlen. Man sammelt eine Menge Erfahrungen. Wir stehen ja auch mit unterschiedlichsten Menschen, mit unseren Kunden, in Kontakt. Da ist auch jeder anders. Ich denke, ich habe gelernt, mit Kunden, die vielleicht stottern oder ein Handicap haben, offener umzugehen, sich mehr Zeit zu nehmen und besser auf sie einzugehen.
Wir sind doch alle immer ein Stück weit voreingenommen und lassen uns leicht vom Äußerlichen, vom Erscheinungsbild eines Menschen verunsichern. Durch so einen Projekttag kommt man dahin, sich mehr Zeit zu nehmen und etwas geduldiger zu werden. Meist ist man zu sehr im Stress und kann nicht auf jeden eingehen. Ich bin jetzt viel einfühlsamer geworden.
Janine studiert „International Business“ im dualen Studiengang. Am Projekttag besuchte sie die Hauptstufe der Antonius von Padua Schule.
Obwohl ich aus Fulda komme, kenne ich antonius nur vom Erzählen. Ich war gespannt, wie es dort wirklich ist. Was mir im Klassenraum gleich auffiel: Die Tische standen im U, damit alle einander sehen konnten. Am Unterricht fand ich positiv, dass jeder einbezogen wurde. Wenn man in meiner Schulzeit nicht mitgemacht hat, hat man eben nicht mitgemacht. Hier konnte sich keiner entziehen vor dem Lehrer. Bei Übungen musste jeder mitmachen, es ging reihum. Ich denke, dass die Kinder dadurch mehr motiviert werden.
Auffällig war, wie stark auf jeden persönlich eingegangen wurde. Derjenige, der etwas schon gut konnte, hat noch eine größere Herausforderung bekommen. Und derjenige, der es noch nicht so gut konnte, durfte noch einmal weiter vorne anfangen. Der Lehrer hatte große Geduld.
Ein Mädchen war gerade aus dem Krankenhaus zurück. Sie hatte lebensgefährliche epileptische Anfälle gehabt. Den Kindern wurde erklärt, dass es wichtig ist, mit aufzupassen und zu melden, wenn etwas komisch ist. Das hat mich überrascht, denn das ist ja eine große Verantwortung, vor allem für Kinder.
Der Schulleiter, Herr Henkel, hat anfangs die Perspektive erklärt, die man einnehmen kann. Das ist mir am stärksten im Kopf geblieben: Den Menschen mit Handicap fehlt eigentlich nichts. So wie es ist, ist es für sie normal. Mir wurde klar, dass das stimmt. Wenn man blind auf die Welt kommt, hat man nie etwas gesehen. Somit fehlt einem nichts. Es sind die anderen, die immer sagen: „Das ist komisch, dem fehlt etwas.“ Aber die Menschen selbst sind glücklich, so wie sie sind.
Ich dachte vorher auch immer, dass solchen Menschen etwas fehlt und sie unglücklich sein müssen. Aber wer so denkt, stellt sie sogleich auf eine Extra-Stufe. Er verhindert Gleichstellung. Man denkt dann auch schnell: „Die können nichts leisten.“ Aber das stimmt nicht. Diese Menschen können viele Dinge richtig gut. Man muss sie einfach akzeptieren, wie sie sind, denn sie akzeptieren sich ja auch selbst so.
Leonhard absolviert eine Ausbildung als Kaufmann im Groß- und Außenhandel. Am Projekttag besuchte er die antonius KITA.
Ich wohne direkt neben einem Behindertenheim, deswegen war das für mich nicht ganz neu. Aber dieses Modell der Inklusion von Menschen mit und ohne Handicap fand ich sehr interessant. Ich wusste, dass ich da mit vielen Erfahrungen wieder rausgehen werde.
Als mir gesagt wurde, dass in der Kita Kinder mit und ohne Handicap den Tag gemeinsam durchleben, war ich erst mal skeptisch. Ich habe mich gefragt, ob Kinder überhaupt in der Lage sind, das richtig einzuschätzen, wenn ein Kind durch einen Rollstuhl eingeschränkt ist. Ich war neugierig, wie sie darauf reagieren, und es hat mich extrem überrascht, dass Kinder da gar keine Abstriche machen. Kinder unterscheiden nicht: Du bist jetzt ein Kind mit Handicap und du eines ohne, und deswegen spiele ich nur mit dir. Überhaupt nicht.
Was mich fasziniert hat: Es war ein Kind mit Glasknochenkrankheit dabei. Das war im Kopf schon sehr, sehr weit, körperlich aber stark eingeschränkt. Da halfen alle mit: Die Gehhilfe wurde ihm gebracht, es wurde langsam beim Laufen begleitet, der Stuhl wurde hergerichtet, usw. All das wurde von den Kindern gemacht, ganz von selbst, und nicht von den Betreuern, wie man es sich hätte denken können. Klar, dass die Erzieher am Anfang die Linien ziehen und sagen: „Bei ihm müsst ihr ein wenig vorsichtig sein“. Aber das sagt man ihnen einmal, und offenkundig funktioniert es.
Ein Erwachsener macht sich da vielleicht erst mal eine halbe Stunde Gedanken: „Wie mach’ ich das jetzt, ohne das Kind zu verletzen?“ Kinder gehen ohne negative Bedenken ran. Es ist toll, dass man hier im Kindesalter anfängt, das zu normalisieren und einzuüben, dass Behinderung in der heutigen Gesellschaft etwas Normales ist. So muss es sein. Ich glaube auch, dass sich das bei den Kindern später nicht groß ändern wird. Wenn sie das von Anfang an erleben, werden sie es auch als Erwachsene als völlig normal begreifen.
Der Tag hat mir gezeigt, dass man sich nicht speziell anders verhalten muss. Ich kann ein Beispiel nennen, bei dem mir das konkret geholfen hat: Wir fahren mit unserer Jugendgruppe jetzt aufs Zeltlager. Da gab es im Vorfeld eine große Diskussion darüber, ob wir Flüchtlinge mitnehmen können. An sich war das Stimmungsbild sehr positiv, aber viele hatten Angst: Wie sieht das mit der Sprachbarriere aus? Da hab ich mich an den coolen Tag in Fulda zurückerinnert und mir gesagt: Man muss sich gar nicht so viele Gedanken machen. Die Menschen sprechen zwar eine andere Sprache, haben aber genauso Lust, eine tolle Zeit gemeinsam zu verbringen. Alles andere wird sich von alleine ergeben. Man kann sich schon irgendwie verständigen. Wenn ich in einem anderen Land bin, habe ich auch eine Art Handicap, weil ich mich nicht verständigen kann. Aber deswegen will ich ja auch nicht anders behandelt werden. Wenn man offen miteinander umgeht, funktioniert das automatisch. Das habe ich aus Fulda mitgenommen.