„Da hab ich mir mal seine Arme angeschaut“

„Am Anfang hatte ich noch nicht so das Gefühl für ihn.“ Christian Diel formuliert es höflich. Dabei nervte ihn der neue Kollege von antonius Gärtnerei gewaltig.

Ständig gab dieser Michael Krawczyk unkontrollierte Laute von sich und störte die anderen. „Ich hätte ihn erwürgen können“, fügt Diel dann mehr ehrlich als höflich hinzu.

Weil er aufs Erwürgen verzichtete, gab es eine zweite Chance. Für beide. Eines Tages schiebt er Krawczyk zum Papierschreddern. Diese Tätigkeit passt eigentlich nicht zum Bereich Gartengestaltung, aber sie bietet für einige Menschen eine der wenigen Möglichkeit zu arbeiten. Zudem lässt sich das Schreddermaul auch vom Rollstuhl aus befüllen. Als Diel ihm beim Hantieren zuschaut, merkt er, mit wie viel Kraft der junge Mann die Stapel wuchtet. „Da hab ich mir mal seine Arme angeschaut und gedacht: Eh, der kriegt doch mehr hin!“

Zwei Tage später drückt er ihm eine Schubkarre in die Hand. Krawczyk packt zu, aber das Anheben vom niedrigen Rollstuhl aus bereitet Probleme. In diesem Moment kommt Diel eine Idee: Mit zwei kleine Rollen unter den Füßen müsste er die Karre gar nicht hochheben! Diel organisiert sich technischen Support und polstert noch die Kante mit Schaumstoff ab, um die Knie seines Kollegen zu schützen. Von nun an geht die Post ab.

Michael Krawczyk lernt schnell, wie sich die schwer beladene Karre sicher um die Kurve drücken lässt. Früher, wenn man ihn mit zum Arbeitsort nahm, bekam er zuweilen einen Eimer mit Utensilien auf den Schoß gestellt. Wer einen Rollstuhl schiebt, hat schließlich keine Hand mehr frei. Aber das mochte Krawczyk nicht. Dann flog der Eimer schon mal durch die Gegend. Vielleicht, weil Krawczyk sich wie ein Abstelltisch vorkam.

Heute lässt er die Schubkarre niemals los. Da sieht er einen Sinn drin. Die Erde muss ja zum Beet. Außerdem ist er endlich dort dabei, wo was los ist, und ist nicht nur zum Zuschauen verdammt. Seitdem er körperlich ausgelastet ist, stört er die anderen auch nicht mehr mit seiner überschüssigen Energie. Die Menschen reagieren ihm gegenüber nun mit viel mehr Wohlwollen und freuen sich, wenn er zufrieden in der Cafeteria mit am Tisch sitzt.

Wenn die Schubkarre auf dem Rückweg vom Feld leer ist, gibt Diel auch schon mal Gas. Dann beginnen die kleinen Räder zu schlackern, Krawczyk dreht innerlich auf, er fängt an zu lachen. Und Diel lacht mit. „Wir sind dickste Freunde, sagt man schon. Ich hab auch kein Mitleid irgendwie, ich nehm den ganz normal als Freund. Das ist mein Kumpel und fertig.“

Durch seinen guten Einfall hat Christian Diel nicht nur einen Kumpel gewonnen, er hat auch etwas über sich erfahren: Dass er soziales Talent hat. Er, der doch selbst bei antonius arbeitet. Er, in dessen Wortschatz Worte wie Wertschätzung und Ermutigung nicht vorkommen und der dennoch das Richtige tut. Aus dem Bauch heraus.

Weil Krawczyk bewiesen hat, dass er kontrolliert zupacken kann, hat Diel ihm Ende April sogar einen Rasenmäher in die Hand gedrückt. Auch das funktioniert nun. Ein Rollstuhlfahrer mäht Rasen –  das ist doch mal was. „Und im Winter probier ich etwas mit dem Schneeschieber aus. Ein Schneeschieber hat ja nur einen Stiel. Aber ich will zwei Stiele dranmachen, damit er das auch schieben kann. Da geht noch was. Das hört nicht auf!

von Arnulf Müller

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