„Das ist gut für den Betrieb“
Als Volker Goldbach vor zwanzig Jahren seinen Zivildienst auf antonius Hof in Haimbach antrat, wusste er nicht, was ihn erwarten und wie er damit klarkommen würde.
Gemeinsame Arbeit schweißt das Team vom Biohof Goldbach zusammen: (v. l.) Reinhold Goldbach, Tobias Winkels, Wolfgang Weismüller und Volker Goldbach
Doch schon bald wurde der angehende Landwirt auf zahlreiche Geburtstage eingeladen. „Vielleicht habe ich einfach den richtigen Ton getroffen.” In dieser Zeit entdeckte er nicht nur seine pädagogische Ader, sondern auch, welches Potential in den Menschen steckt und wie herzlich das Miteinander in der Landwirtschaft sein kann. Heute stellt er gezielt Menschen mit Handicap auf seinem eigenen Biolandhof bei Dipperz ein – als Partnerbetrieb von antonius. Lohnt sich das?
Herr Goldbach, was hat Sie zu diesem Schritt veranlasst?
Wir hatten gerade auf Biolandwirtschaft umgestellt. Mein Vater wurde älter und ich hatte noch einen Nebenjob an der Berufsschule. So mussten wir ein paar einfachere körperliche Arbeiten abgeben, um den Vater zu entlasten. Wir hatten zunächst an einen Auszubildenden gedacht oder an einen 400-Euro-Jobber. Gerade zu diesem Zeitpunkt hörte ich, dass antonius Hof verstärkt versucht, Menschen mit Handicap auf dem freien Arbeitsmarkt unterzubringen. Durch meinen Erfahrungen beim Zivildienst konnte ich mir das vorstellen.
Nach welchen Kriterien haben Sie Ihren Mitarbeiter ausgesucht?
Vor fünf Jahren hatten die Kandidaten noch keine berufliche Qualifizierung wie heute. Man begann mit einer 14-tägigen Hospitation, und wenn man miteinander klarkam, schlossen sich zwei längere Praktika an. Wolfgang Weismüller hat hier sofort gut reingepasst. Zunächst übernahm er in der Rolle des klassischen Hofhelfers relativ einfache Arbeiten. Aber das hat sich gut entwickelt. Heute übernimmt er auch komplexe Aufgaben. Wenn ein Kalb kommt, streut er automatisch die Kälberbox ein und weiß, was alles zu tun ist. Wir haben das selbständige Arbeiten stets gefördert, denn wir wollten ihn ja längerfristig behalten. Klar, die Einarbeitung dauert länger als bei einem Lehrling.
Landwirt Volker Goldbach beschreibt die Win-win Situation aus eigener Erfahrung
Warum haben Sie sich dann nicht doch für einen Lehrling entschieden?
Im landwirtschaftlichen Bereich ist es so: Lehrlinge sind ein Jahr im Betrieb, und während dieses Jahres machen sie außer der Berufsschule noch diverse Lehrgänge und eine überbetriebliche Ausbildung. Dann sind sie wochenlang weg. Und ein Jahr ist immer schnell vergangen. Da ist unsere Lösung eine angenehme Sache: Unsere Mitarbeiter sind 37,5 Stunden in der Woche da.
Wenn heute jemand von antonius Hof kommt, hat er Ausbildungsbausteine absolviert. Das heißt, er hat in regulären Prüfungen nachgewiesen, dass er Teile der landwirtschaftlichen Vollausbildung beherrscht. Hilft das den Arbeitgebern?
Die neuen Ausbildungsbausteine haben zwei Vorteile: Zum einen sind sie objektiv aussagekräftig. Klar, die unteren Bausteine wie Schubkarre fahren oder Ausmisten haben ihre Grenzen. Aber wenn jemand die Scheine Stallhygieniker oder Melkhelfer mitbringt, kann sich der Arbeitgeber darauf verlassen, dass das funktioniert. Natürlich brauchen sie dann noch eine Einarbeitung im Betrieb, denn die Melkstände und die ganzen Abläufe sind überall anders. Aber die Fähigkeit, das umzusetzen, ist vorhanden.
Zum anderen stellen Ausbildungsbausteine wichtige Ziele dar. Wenn einer einen Baustein geschafft hat, will er weitere. Das ist Förderung, das weckt Ehrgeiz. Früher haben solche Menschen den ganzen Tag gekehrt oder sind Schubkarre gefahren. Sie können aber viel mehr, und manche haben ihre Stärken in ganz anderen Bereichen. Vor allem: Sie wollen raus aus der Betreuung in Werkstätten, sie wollen auf den Arbeitsmarkt.
Hat antonius nach der Übernahme noch etwas mit dem Partnerbetrieb zu tun?
Im Endeffekt sind es ausgelagerte Arbeitsplätze einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). Man kann sich die Festanstellung auch anders fördern lassen, z. B. über das Arbeitsamt. Mit antonius ist es aber sehr angenehm, weil man eine pädagogische Betreuung hat. Es wurde extra eine Person eingestellt, die diese Außenarbeitsplätze begleitet und Dinge vor Ort organisiert. Die Person kommt regelmäßig oder auf telefonischen Zuruf hier auf den Hof und hilft, dass es passt. Das ist vor allem für Arbeitgeber, die vorher keinerlei Kontakt mit so etwas hatten, eine sehr schöne Sache. Das Arbeitsamt kann so eine persönliche Begleitung naturgemäß nicht leisten.
Sie haben es also nie bereut?
Im Gegenteil. Weil mein Vater aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht mehr den ganzen Tag Schlepper fahren kann, wollen wir noch einen zweiten Mann einstellen, einen, der einen landwirtschaftlichen Führerschein hat. Deshalb absolviert zur Zeit Tobias Winkels ein Praktikum auf unserem Betrieb. Solche Arbeiten mit Maschinen werden von ihm sehr sinnig erledigt. Ich habe bis jetzt noch keinen Menschen mit leichtem Handicap kennengelernt, der nicht sehr sinnig gefahren wäre, weil sie sehr auf Vorsicht getrimmt wurden. Die können es wirklich. Es dauert ein bisschen, bis sie sich mit den Maschinen auskennen, aber danach du hast sehr zufriedene Mitarbeiter mit einem großen Willen.
Wie sieht das von der wirtschaftlichen Seite aus?
Zur Entlohnung hat antonius ein neues Lohnmodell eingerichtet: Die Entgelte sind danach gestuft, welchen Leistungsstand ein Mitarbeiter erreicht hat. Auch das ist ein Anreiz: Wenn ich mehr leiste, komme ich eine Lohnstufe höher. Auch wenn für diese Menschen leider nicht viel mehr Geld herausspringt, weil von anderer Seite wieder etwas abgezogen wird, ist es dennoch ein psychologischer Effekt: Sie sind stolz darauf, mehr selbst erwirtschaftet zu haben und einen geringeren Anteil an öffentlicher Unterstützung zu bekommen. Und wir als Partnerbetrieb sagen auch: „Du hast dieses Jahr gut gearbeitet, wir stufen dich nach oben und zahlen ein bisschen mehr.“ Das kostet mich mehr Geld, aber es geht ja nicht um utopische Beträge. Im Ganzen haben wir pro Person etwa 300 Euro zu zahlen. Klar, man hat Arbeit damit, aber man bekommt auch viel Arbeit abgenommen, vor allem Routinearbeiten. Und wenn sich das eingespielt hat, genügt ein kurzer Zuruf und es läuft. Klar, an manchen Tagen muss ich durchatmen und sage mir dann: Lass ihn einfach mal machen. Aber das gibt es mit jedem Mitarbeiter mal. Unterm Strich passt das. Es wird am Ende das gemacht, was gemacht werden muss.
Was sollte der Arbeitgeber mitbringen?
Er sollte Einfühlungsvermögen mitbringen. Und wenn es mal Schwierigkeiten gibt, sollte er nicht gleich den Nächsten anfordern, sondern erst mal schauen, woran es liegt. Nur so bekommt man Kontinuität rein. Letztlich muss man die betreffende Person so wollen, wie sie ist. Damit muss ich dann klarkommen. Aber dafür gibt es ja die Beschnupperungszeit. Ein Mitarbeiter verändert immer die Atmosphäre auf dem Hof, besonders weil es in der Landwirtschaft keine strikte Trennung von Arbeit und Familie gibt. Er ist ja auch beim Mittagessen dabei. Unsere Kinder haben den Wolfgang, als er jetzt krank war, schon richtig vermisst. Wenn er dabei sitzt, erzählen sie ganz selbstverständlich alles von der Schule und private Dinge. Und wenn wir hier Geburtstage feiern, ist er mit dabei, die Verwandtschaft kennt ihn und so weiter. Er ist also richtig integriert, und das ist auch wichtig. Als ich Lehrling in einem Betrieb war, war ich dort auch das vierte Kind.
Hat sich auch der Arbeitsrhythmus im Betrieb verändert?
Es ist eigentlich bei jedem Mitarbeiter wichtig, besonders aber bei Mitarbeitern mit Handicap, dass man klare Strukturen findet und einen festen Tagesablauf installiert. Das gibt den Menschen Sicherheit. Aber es ist auch gut für den Betrieb, weil ich mich dann als Chef auch erst mal hinsetzen und die einzelnen Dinge zu Papier bringen und ordnen muss. Vieles wird in landwirtschaftlichen Familienbetrieben aus Gewohnheit irgendwie gemacht, aber nun kommt ein bisschen Zeitmanagement in den Betrieb. Die Abläufe werden optimiert und koordiniert. Das ist gut für den Betrieb. Die Organisation ist danach auf jeden Fall besser als vorher.