Der Klaus hat kein WhatsApp

Wer heute kein Smartphone besitzt und auf den Zweitwohnsitz in der Social-Media-Gemeinde bewusst verzichtet, macht es seiner Mitwelt nicht immer leicht. Aber er erkennt schnell, auf wen er sich verlassen kann und dass weniger manchmal mehr ist. Ein Selbstversuch.

„Der Klaus, der hat ja kein Whatsapp …“, sagen meine Freunde oft vorwurfsvoll. Dabei umspielt ihre Mienen meist ein Hauch von Mitleid. Denn sie alle besitzen eine Fülle von Fotos, Videos, lustigem Larifari und anderen Novitäten, die sie verlässlich untereinander austauschen und zeitnah kommentieren. Weil es wahre Freunde sind, würden sie diesen Schatz an Information und Unterhaltung gerne großzügig mit mir teilen. Doch ihr schmeichelhaftes Angebot habe ich bislang nicht angenommen und weigere mich hartnäckig, die technische Barriere beiseitezuräumen. Das schränkt zwar die Teilhabe etwas ein, bewahrt mich aber vor jeder Menge digitalem Müll, der mich vom echten Leben abhält.

Das Neueste vom Neuen? – Danke, nein!

Ein Beispiel: Sitzen wir in (quasi) geselliger Runde beisammen, jeder – mich ausgenommen – das eigene Smartphone direkt am Mann respektive an der Frau, fiepen, flöten, brummen und vibrieren die Dinger verlässlich in unregelmäßigen Abständen. Sogleich vergewissert sich der jeweilige Adressat zeitnah, welche Nachricht ihn nun wieder erreicht hat. Postwendend versieht er den Inhalt mit einem Kommentar, um sogleich eine Schar anderer darüber ins Bild zu setzen – darunter selbst jene, die direkt am Tisch sitzen. Wie praktisch: So spart man sich die direkte Unterhaltung. Und in die Augen sehen muss man sich auch nicht mehr. „Schau doch …!“, heißt es dann oft von der Seite, und einer reibt mir seinen kostbaren Digi-Trash unter die Nase, auf dass auch ich in den Genuss komme, das Neueste vom Neuen zu erfahren, das wenige Sekunden später schon von der nächsten Novität abgelöst wird. Toll!

Rettung für ein Uralt-Handy

„Du brauchst endlich ein Smartphone“, belehren mich meine Freunde ständig. Neulich witterten sie ihre große Chance. Denn mein Uralt- Handy, mit dem man bis dahin stets trefflich telefonieren und Kurznachrichten verschicken konnte (mehr auch nicht!), versagte plötzlich seinen Dienst. Ständig war der Akku leer. Kaum aufgeladen, gab er schon nach wenigen SMS den Geist auf. „Schmeiß das alte Ding weg und kauf dir mal ein anständiges!“, lautete der freundschaftliche Rat. Obgleich ich nur wenig Hoffnung hegte, dass für das reife Baujahr noch irgendwo ein Akku zu beschaffen sei, bewies der Technikhändler meines Vertrauens viel Engagement und besorgte mir für weniger als 10 Euro rasch veritablen Ersatz. Eingesteckt, aufgeladen, alles bestens! Also gilt auch in naher Zukunft: Kein Smartphone – kein Whatsapp!

Zugegeben: Mit Verabredungen ist das mittlerweile so eine Sache ohne Whatsapp. Früher hat man kurz bei Freunden und Bekannten angerufen, Zeit und Ort ausgemacht, und in der Regel hat es mit den Treffen gut geklappt. Im Zeitalter von Whatsapp können sich innerhalb einer Stunde Ort und Zeit locker drei- bis viermal ändern, weil garantiert einer aus dem Freundeskreis eine noch bessere Idee gebiert, wo man wie und wann was Tolles unternehmen kann. Mir reicht in der Regel die finale Version. Deshalb bin ich froh, wenn sich die Lieben meiner erinnern und mir am Ende ihrer Überlegungen eine SMS schicken, um mich über das geplante Freizeitvergnügen aufzuklären. Manchmal vergessen sie dies, treffen sich, stellen mein Fehlen fest und rufen kurz durch, ob dass ich noch erscheinen möge. Mit Vergnügen! Ich bin ja spontan. 

Facebook und andere Fisimatenten

Vor zwei Jahren war ich der Einzige, der nichts vom Jubiläums-Klassentreffen wusste. Hätte ich nicht einen Tag zuvor zufällig eine ehemalige Mitschülerin in der Stadt getroffen, hätte ich den Termin glatt versäumt. Als ich zur geselligen Runde hinzu stieß, wurde mir berichtet, dass die meisten seit langem über wer-kennt-wen? einen intensiven Austausch pflegt. Mich hätten sie da noch nie entdeckt. Und im Telefonbuch stünden mein Name und meine Adresse auch nicht. So ist das eben, wenn man in der Social-Media-Gemeinde keinen Zweitwohnsitz hat und mit seiner Adresse vorsichtig umgeht, um nicht mit Werbemüll überschüttet zu werden. Von den ehemaligen Mitschülern habe ich mir vorsichtshalber mal die Adressen aufschreiben lassen. Hoffentlich ist die Liste beim nächsten Klassentreffen noch aktuell. Denn wer kennt heute noch wer-kennt-wen? Zumindest das habe ich schon mal überlebt. Doch die Karawane der einstigen Klassenkameraden wird sicher längst auf eine andere Plattform weitergezogen sein. Auf Facebook vermutlich. Apropos Facebook: Neulich saßen wir mit der Familie eines Freundes zusammen. Dessen Mutter, die – um es vorsichtig zu formulieren – auch nicht gerade die Personifikation eines „Digital Natives“ ist, sagte plötzlich, dass sie unser angeregtes Gespräch, das wir beim letzten Treffen geführt hatten, gerne im Chat fortgesetzt hätte. Daraufhin habe sie mich auf Facebook gesucht, aber leider nicht gefunden. Das könne daran liegen, dass ich gar nicht auf Facebook sei, gestand ich. Daraufhin erntete ich einen beinahe entsetzten Gesichtsausdruck. „Aber da ist doch jeder – man muss doch schließlich mit der Zeit gehen“, so die Belehrung. Das machte mich stutzig, aber überzeugt hat es mich nicht. Fisimatenten!

Fremde oder Freunde?

Für meine Zurückhaltung gibt es viele Gründe. Einer ist der in der Social-Media-Welt vollkommen überstrapazierte Begriff „Freunde“, der so ober flächlich ist wie der Bildschirm meines Laptops. Menschen, die einander noch nie begegnet sind, erklären sich inflationär zu „Freunden“ und suggerieren Verbundenheit. Da wird mir übel. Und mir fällt das Sprichwort ein: Freunde in der Not gehen 1 000 auf ein Lot. Im unendlich weiten Netz mit seiner unerträglichen Leichtigkeit des S(ch)eins ist für Leute, auf die im Fall der Fälle kein Verlass ist, noch weit mehr (Speicher-)Platz. Deshalb: Daumen runter! Gefällt mir nicht! 

Ich werde nie ein überzeugter „Follower“ dieser modernen Möglichkeiten, die Facebook, Twitter & Co. bieten – bei allen Vorteilen, von denen viele meiner Freunde sicher zu Recht schwärmen. Sollen sie ruhig. Meinetwegen können sie auch gerne so lange in meiner Anwesenheit mit ihren schicken Smartphones spielen, wie es ihr Akku zulässt. Mir würde diese permanente Erreichbarkeit zu viel Energie rauben. Und auch die Tipperei beim SMS-Schreiben ist schon anstrengend genug. Aber was macht man nicht alles, um mit den Lieben in Verbindung zu bleiben. Schließlich ist so eine SMS immer noch fortschrittlicher, als Brieftauben loszuschicken, oder? Ich sehe schon: Das überzeugt Sie nicht. Sie halten mich für altmodisch! Aber lassen Sie mir doch den kleinen Spleen. Denn ginge ich konsequent mit der Zeit, würde ich garantiert den besagten Satz meiner Freunde ganz arg vermissen: „Der Klaus, der hat ja kein Whatsapp …“

Klaus Orth

Zurück