„Die Bühne ist mein zweites Leben“

Als Sebastian Urbanski mit dem Down-Syndrom zur Welt kam, gaben ihn die Ärzte augenblicklich auf.

In der damaligen DDR existierten keine speziellen Förderprogramme. Dennoch sollten ihn seine Eltern in ein Heim stecken – was sie aber ablehnten. In seiner Kindheit und Jugend wurde er emotional oft verletzt, ausgegrenzt und belächelt. Doch er konzentrierte sich lieber auf die Sonnenseite des Lebens und die herzensguten Menschen um ihn herum. Seit 2001 gehört der heute 38-Jährige zum festen Ensemble des RambaZamba-Theaters in Berlin, arbeitet als Synchronsprecher, steht für eine englische BBC-Serie vor der Kamera und begeisterte im Film „So wie du bist“ ein Millionenpublikum.

 

SeitenWechsel: Ihre Eltern haben von Beginn an einen straffen „Trainingsplan“ mit etlichen körperlichen und geistigen Übungen mit Ihnen durchgezogen, um Ihre spätere Selbstständigkeit zu fördern. Konnten Sie Ihre Kindheit überhaupt genießen?

Sebastian Urbanski: Meine Kindheit war auf jeden Fall sehr schön, auch wenn sie teilweise anstrengend war. Das habe ich aber in Kauf genommen. Gelernt habe ich gerne, und mein Lieblingswort war schon immer „weiter“. Ich wollte vorankommen: in der Schule, in der Werkstatt und später im professionellen Theater. Dank meiner Familie und Freunde habe ich es geschafft. Manches ging ja auch leichter. Meine Mutti hat mir immer aus Märchenbüchern vorgelesen, aber irgendwann wollte ich die alleine lesen können. Zuerst habe ich mir die Bilder angeschaut und dann versucht, den Text zu verstehen. Angefangen haben wir mit Leichter Sprache.

 

SeitenWechsel: Wie sind Sie zur Schauspielerei gekommen?

Sebastian Urbanski: Als Kind hat mir mein Vati ein Puppentheater aus blau-rotem Holz gebaut, was mich total fasziniert hat. Wir haben mit Fantasietexten gespielt und das war so wunderschön, dass ich das auch ausprobieren wollte. Später habe ich meinen Eltern Filmszenen vorgespielt, die sie dann erraten mussten. Irgendwann haben Sie gesagt, ich komme jetzt in ein richtiges Theater. So bin ich 2001 beim RambaZamba gelandet.

 

SeitenWechsel: Was lieben Sie daran, in andere Rollen zu schlüpfen?

Sebastian Urbanski: Da kann ich ganz anders sein und zum Beispiel auch meine Lieblingsrolle König Hamlet spielen. Ich bin dann aber auch mal Hermes, der Götterbote, ein Uhrmacher oder sogar ein Wolf. Es ist faszinierend, wie diese schillernden Figuren zu mir passen. Mein Leben ist aber so schön, dass ich nicht für immer jemand anders sein möchte. Ich mag mich so, wie ich bin.

 

SeitenWechsel: Woher nehmen Sie das Selbstvertrauen, sich auf der Bühne zu zeigen?

Sebastian Urbanski: Ich bin sozusagen eine Rampensau und will eigentlich nie von der Bühne runter. Auch am Schluss, wenn sich alle Schauspieler vor dem Publikum verneigen, möchte ich am liebsten bleiben. Die Bühne ist mein zweites Leben.

Manchmal bin ich ungehalten und denke, dass ich etwas nicht kann. Dann sage ich mir aber immer wieder: „Los Sebastian, du schaffst das“. Durch Familie und Freunde schöpfe ich immer wieder neuen Mut, auch weil ich weiß, dass die Liebe in mir stark ist.

Finale Filmszene: Die Widerstände sind gebrochen – die jungen Leute mit Down-Syndrom dürfen heiraten

Finale Filmszene: Die Widerstände sind gebrochen – die jungen Leute mit Down-Syndrom dürfen heiraten

 

SeitenWechsel: Gibt es etwas Besonderes zu beachten, wenn Schauspieler mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten?

Sebastian Urbanski: Man muss darauf eingehen, was beide Seiten wollen. Zudem muss Kritik sanfter, ohne zu schimpfen gesagt werden. Behinderte Menschen reagieren manchmal anders, als die Kollegen das vielleicht gewohnt sind.

Gisela Schneeberger, die im Film „So wie du bist“ die Richterin spielt, hat vor unserem ersten Treffen überlegt, wie wir miteinander reden können. Ob wir eine Art Babysprache brauchen oder ob wir überhaupt miteinander sprechen können. Dann waren meine Kollegin Julia Götze, die ebenfalls das Down-Syndrom hat, und ich am Set, und alles ging gut. Plötzlich war Gisela Schneeberger die Schülerin und wir waren die Lehrer. Wir haben ihr gezeigt, dass sie mit uns wie mit anderen Erwachsenen ganz normal reden kann. Auch privat möchte ich als Erwachsener behandelt werden. Ich habe das Down-Syndrom, fühle mich aber ganz normal.

 

SeitenWechsel: Sie machen einen sehr ausgeglichenen Eindruck. Im Film haben sie heftige Streit-
szenen und auch Wutanfälle. Wie haben Sie das geschafft?

Sebastian Urbanski (lacht): Zuhause schreie ich nicht rum, sondern will lieber meine Ruhe haben. Als ich im Film von meiner Freundin getrennt wurde, musste ich mich auf den Boden schmeißen und rumtoben. Ich kann aber nicht von jetzt auf gleich schreien. Ich sollte mir dann meinen Ärger mit der Film-Mutter vorstellen, die mich von meiner Freundin wegreißt. So konnte ich den Trennungsschmerz abrufen und das auch spielen.

 

SeitenWechsel: Im Film sieht Ihr Schauspiel so leicht aus. Gab es bei den Dreharbeiten Momente, die Ihnen besonders schwer gefallen sind?

Sebastian Urbankski: In einer Szene werden meine Film-Freundin und ich von Jugendlichen angepöbelt. „Hey, da sitzen zwei Mongos. Gar nicht gewusst, dass die frei rumlaufen dürfen.“ Auch wenn es nur gespielt war, hat es mich schwer verletzt. Nach dem Drehen kamen die Schauspieler auf uns zu, haben uns umarmt und sich entschuldigt. Dann war alles wieder gut, und ich habe gemerkt, dass meine Kollegen doch anders sind. Hätten sie sich nicht entschuldigt, wäre für mich die Welt eingestürzt. Auch meine Film-Mutter hat mir manchmal Angst gemacht, weil ich mich wie ein Untergebener gefühlt habe. In einer schönen Szene steht sie auf einer Glastreppe, und ich muss hoch schauen. Da hat sie mir ihre Machtposition gezeigt. Ich wusste aber, dass sie privat ein herzensguter Mensch ist, der mir nichts tun kann.

 

SeitenWechsel: Braucht es bei Theater und Film mehr Schauspieler mit Behinderung?

Sebastian Urbanski: Es ist eine hohe Schule, wenn „normale“ Schauspieler eine Figur mit Behinderung verkörpern. Es schafft nicht jeder, sich da gut hineinzuversetzen und das überzeugend zu spielen. Man muss eine Menge über sich ergehen lassen, zum Beispiel in einem Rollstuhl zu sitzen. Das finde ich stark. Allerdings sollte es auch mal umgekehrt so sein, dass ein Schauspieler mit Behinderung eine „normale“ Person spielt. Dafür setze ich mich auch ein. Man muss es dann allerdings schaffen, die Behinderung die ganze Zeit auszublenden. 

 

SeitenWechsel: Vielen Dank für das Gespräch.

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