„Die Leser brauchen sich nicht zu fürchten“

Die Sache ist simpel. Ein Bluttest genügt heute, und die werdende Mutter weiß, ob ihr Kind das Down-Syndrom haben wird. Dann sagt sie in den meisten Fällen: Ich will dieses Kind nicht, ich will lieber ein „normales“.

Menschen wie Andreas Sauer wird es daher in Zukunft kaum noch geben. Seltsame Vorstellung. Denn wer ihn kennt, wird ihn gewiss nicht eintauschen wollen.

Hanno Henkel hat ihn direkt gefragt, was das Down-Syndrom für ihn bedeutet.

Andreas Sauer: Ich bin der Andreas Sauer. Ich bin Redakteur beim SeitenWechsel. Ich bin 26 Jahre alt und wohne noch zuhause bei meinen Eltern. Ich bin hauptberuflich im Antoniusheim als Landschaftsgärtner. Ich pflege die Außenanlagen, und im Winter mache ich Schnee- und Räumdienst.

Was bedeutet für dich „Geistige Behinderung“?

Andreas Sauer: Was ist das für mich? Hmm, … Also manche haben da ja Vorstellungen, zum Beispiel, wenn jemand das Asperger-Syndrom hat. Das ist ganz schwierig, den Unterschied zu erkennen zwischen Down-Syndrom und Asperger. Und da ist es ganz wichtig, gerade in meinem Fall: Ich bin geistig nicht durcheinander. Ich merke in meinem Umfeld, was um mich herum passiert.

Heißt das, dass vieles von dem, was über Behinderung gesagt wird, nicht stimmt?

Andreas Sauer: Also, das Down-Syndrom zum Beispiel ist überhaupt nichts Schlimmes. Es ist auch ungefährlich. Als Kind hast du eine integrative Grundschule besucht.

Wie war das für dich?


Andreas Sauer: Ich wurde ein bisschen zurückgehalten von anderen. Ich habe aber auch viele Freunde gehabt in der Grundschule. Zu vielen habe ich noch eine sehr gute Verbindung. Auch zu manchen Eltern.

Du wurdest zurückgehalten?

Andreas Sauer: Also, ich wurde immer vom Unterricht rausgenommen; von der Normalunterrichtsstunde wurde ich 'rausgenommen. Und da hat man gemerkt, oh, du hast doch irgendwas.

Du denkst, es wäre besser für dich gewesen, wenn du nicht herausgenommen worden wärst?

Andreas Sauer: Ja. Aber ich kam im Lernstoff im Kommunionunterricht bei meiner Erstkommunion überhaupt nicht mit – vom Schreiben her. Da hab ich auch wieder gemerkt, du hast doch irgendwo eine geistige Schwäche, du kommst nicht mit.

Du hast dann nach der Grundschule eine Förderschule
besucht.

Andreas Sauer: Also, die Gemeinde hat erst mal den Wechsel auf die Gesamtschule abgelehnt. Das war sehr, sehr schwierig. Da hat irgendeiner aus dem Freundeskreis gesagt: Die Förderschule ist genau das Richtige für dich.

Du wärst lieber in deinem Heimatort auf eine weiterführende Schule gegangen?

Andreas Sauer: Also, ganz ehrlich: Ich wäre gerne auf eine Schule gegangen, wo man auch Abitur und so was machen kann. An der Gesamtschule in meinem Dorf zum Beispiel. Da kenne ich auch eine Lehrerin. Das hätte mir ganz gut gefallen. Aber, wo ich mit dem Lernstoff nicht nachgekommen bin, da haben meine Eltern auch das Einsehen gehabt, du gehörst nicht mit denen zusammen. Du gehörst zu anderen Schwächeren. 

Heute sprechen wir von Inklusion.

Andreas Sauer: Ja

Wäre das eine Möglichkeit für dich gewesen?

Andreas Sauer: Also, die Integrativ-Schule war schon gut vorbereitet. Die inklusive Schule ist wieder eine Umstellung – auf das normale Leben eigentlich. Ich weiß nicht, ob das besser für mich gewesen wäre. Ich hätte es mal ausprobieren müssen. Mir gefällt es aber schon besser vom Wort her. „Inklusiv“ bedeutet für mich viel mehr als so eine geschlossene oder beengte Situation. Früher gab es ja auch in jedem Dorf nur eine Schule. Dann gab es zwei Arten von Schulen. Das wäre schon gut, wenn es jetzt wie früher nur eine Schule gibt, die für alle Schüler offensteht.

Dann hättest du auch einen Schulabschluss machen
können?


Andreas Sauer: Genau!


War Landschaftsgärtner schon immer dein Berufswunsch?


Andreas Sauer: Ich hätte auch gerne mal was Elektronisches gemacht. Aber dann habe ich gemerkt, dass das doch nicht so gut war. Ich kannte mich da schon ein bisschen aus – mit Steckdosen abklemmen und so weiter und so fort – aber es hat nicht ganz gereicht.

Hat es auch daran gelegen, dass es keinen Ausbildungsplatz für dich gab?

Andreas Sauer: Da war ganz schwierig dranzukommen. Da brauchst du ja auch einen Abschluss. Und den Abschluss hätte ich nicht gekriegt durch meine Behinderung.

Aber ein Landschaftsgärtner muss doch wie ein Elektriker auch einen Abschluss machen?

Andreas Sauer: Ja, wenn ich mich damals mehr damit befasst hätte. Aber mit dem Landschaftsgärtner bin ich jetzt auf einem sehr guten Damm.

Du bist jetzt 26. Wie stellst du dir denn dein Leben zum Beispiel mit 40 vor?

Andreas Sauer: 40, na ja. Also, ich denke, dass ich auch mit meiner Behinderung ein ganz normaler Familienvater wäre.

Du willst also nicht immer zuhause bleiben?

Andreas Sauer: Nee, nee. Ich habe das Angebot schon gekriegt, in Eichenzell zu wohnen und zu arbeiten. Da kenn ich einige Leute schon sehr gut. Auch den Leiter. Der hat mir auch einen Arbeitsplatz gleich vermacht: Landschaftsgärtner.

Und dort willst du dir auch deinen Familienwunsch erfüllen?

Andreas Sauer: Es gibt noch so viele Bauplätze in Eichenzell. Da ist noch so vieles offen. Und vielleicht kann sich da was entwickeln.

Welche Wünsche bleiben sonst noch?

Andreas Sauer: Ich habe das eine oder andere schon überlegt. Aber das ist alles noch am Wachsen. Ich möchte noch ein bisschen offener werden, nicht immer nur in mir selbst kramen – hinausgehen in die Gesellschaft.

Arbeitest du aus diesem Grund beim Magazin „SeitenWechsel“ als Redakteur mit?


Andreas Sauer: Ja, genau! Ich habe das schon so oft gesagt: Mir macht diese Öffentlichkeitsarbeit viel Spaß. Und ich denke auch, dass das früher viel mehr eingeschränkt war. Dass das alles nicht so ausgebreitet war. Das macht mir schon richtig Spaß, da mitzuwirken. Ich habe auch gute Ideen, und die will ich auch weiterhin behalten.

Was war denn im Rückblick auf dein bisheriges Leben besonders wichtig für dich?

Andreas Sauer: Also, dass sie mich immer gut aufgenommen haben, in der Grundschule und in der Förderschule, und so – die ganzen Mitschüler. Meine Eltern haben mich auch unterstützt dabei.

Gibt es etwas, was du gerne anders gehabt hättest?

Ich hätte mir eigentlich den Weg in das Antoniusheim sparen können, wenn ich weiter auf die Gesamtschule gegangen wäre.

Hast du noch ein Schlusswort?


Andreas Sauer: Also, ich wünsche mir, dass sich die Leser gut vorstellen, dass das Down-Syndrom wirklich keine Krankheit ist, sondern einfach normal. Es ist einfach ein bisschen ein eingeschränktes Leben, zum Beispiel durch die Schule. Man darf sich aber nicht ausblenden lassen. Ich bin sehr gut aufgenommen worden in die Gesellschaft. Und ich wünsche auch den Lesern, dass sie sich das gut durchlesen vor allen Dingen, und dass sie auch merken, Behinderung ist keine Krankheit, das ist einfach ein Teil eines Lebens. Wichtig ist für mich, dass ich mich nicht zurückschrecken lasse durch meine Behinderung und einfach hinausschauen kann in die Zukunft. Ich bin einfach glücklich, wie ich bin. Die Leser brauchen sich nicht zu fürchten. Das Down-Syndrom ist einfach erblich und einfach normal.

Vielen Dank für das Gespräch, Andreas.

Andreas Sauer: Gerne.

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