„Ehrenamt – war einmal. Wir brauchen jetzt das Ehrenamt 2.0!“

Manche Menschen machen sich mehr Gedanken als andere. Astrid Arnhofer ist so ein Fall. 

Um sich auf ihr Studium der Sozialen Arbeit vorzubereiten, probiert sie sich aus. In der Behindertenhilfe. Dabei repräsentiert sie den neuen Typus eines sozial engagierten Jugendlichen: reflektiert, entschlossen, ehrlich gegenüber den eigenen Erwartungen, zielorientiert und kritisch.

In einem Gespräch mit der Redaktion hat sie dargelegt, warum das alte Verständnis vom Ehrenamt nicht mehr in die heutige Zeit passt und wie die Rahmenbedingungen gestaltet sein müssen, damit ein soziales Engagement für junge Menschen auch in Zukunft attraktiv bleibt.

Redaktion: Astrid, du hast neulich bei der Einweihung der neuen Freiwilligen-Agentur „SeitenWechsel“ den Begriff
„Ehrenamt 2.0“ in die Runde geworfen. Da haben viele aufgehorcht. Was steckt dahinter?

Astrid: Das Wort „Ehrenamt“ klingt veraltet. Schon der Bestandteil „Amt“ klingt wie eine Behörde, das lehnt man von vorneherein irgendwie ab. Und „Ehre“, das erinnert mich an früher, als die Ritter mit ihren Schwertern losgezogen sind und irgendetwas für die Ehre gemacht haben – also das ist old school.

Redaktion: Aber ist auch das, was das Wort „Ehrenamt" normalerweise meint, veraltet?

Astrid.: Was auch heute noch mit dem alten Begriff übereinstimmt, das ist die Wohltat, die dahintersteckt: Das Wohlwollen, dass man jemandem etwas Gutes tun möchte und nicht nur auf sich bedacht ist. Wenn man aber ein neues Wort sucht, muss auf jeden Fall das Moment der Flexibilität drin sein. Es muss zum Ausdruck kommen, dass man etwas tun will, aber es darf nicht zwanghaft klingen. Das neue Wort muss einen Anreiz bieten, Interesse wecken, motivieren. Das Wort „Ehrenamt" bremst den Impuls eher aus, hemmt die Leute. Ältere Menschen spricht das natürlich immer noch an, aber für jüngere muss es frischer klingen. Viele neue Wörter sind auf Englisch, da fühlt man sich eher angesprochen.

Redaktion: Und wie könnte das dann heißen?

Astrid: Ich hatte mal daran gedacht, mit Abkürzungen zu arbeiten: „Fleximent“ z. B. Das klingt im ersten Moment komisch, aber den Hintergrund fi nde ich schön: „Flexibles Engagement.“ Da ist beides drin: die neue Flexibilität, die man heute erwartet und die Tatsache, dass man sich einbringen will. Ich stelle mir vor, dass viele etwas machen wollen, aber davon ausgehen, dass es bestimmte Zeiten gibt, wo sie dann kommen müssen. Oder ihre Aufgaben vorgeschrieben bekommen und sie nicht wirklich einen Spielraum haben mitzuentscheiden. Die Einrichtung sagt z.B.: „Wir brauchen montags und donnerstags jemanden von 15–16 Uhr, der in der Küche hilft.“ Das ist der Knackpunkt, wo manche Leute sagen: „Ich bin vielleicht noch im Fußballverein tätig, bin Mutter und bekomme das nicht unter einen Hut.“ Wenn man das aber besser beschreibt und betont, dass das Ganze viel fl exibler geworden ist, könnte ich mir vorstellen, dass mehr Freiwillige angesprochen werden.

Redaktion: Ist es denn so viel flexibler heute?

Astrid: Heute richten sich die Organisatoren viel stärker nach dem Ehrenamtler. Das erlebe ich gerade bei meinem AntoniusJahr. Ich arbeite dort in der Backstube. Was mir da sehr gefällt, ist, dass die mir dort sehr entgegenkommen. Sie versuchen mich so einzusetzen, wie ich mir das auch für mich wünsche, so, wie es für mich etwas bringt. Wenn in der Produktion mal etwas klemmt, z. B. einer krank ist, klar, da spring ich natürlich ein und unterstütze den Ablauf. Aber hauptsächlich will ich für die Begleitung der Mitarbeiter zuständig sein, dafür sorgen, dass sie fit sind, motiviert, gut gelaunt. Ich will ihnen helfen, ihre persönlichen Anliegen zu regeln.

Redaktion: Die Hauptamtlichen bauen also die Erwartungen der Ehrenamtler verstärkt in die alltäglichen Abläufe ein.

Astrid: Ja, und sie schauen auch grundsätzlich: Was bringt einer für Fähigkeiten mit, was hat er für Qualifikationen? Wie kann er sich am besten einbringen, etwas macht ihm Spaß usw. Da haben ja beide was davon. Je besser und wohler ich mich fühle, desto mehr kann ich geben, desto mehr anderen beibringen. Das spiegelt sich auch in meiner ganzen Gestik und Mimik wider, und so merkt das dann auch jeder andere. Und deswegen ist Flexibilität so wichtig, sowohl für die eine als auch für die andere Seite.

Redaktion: Also ist auch im neuen Verständnis vom Ehrenamt enthalten, dass der Engagierte einen Gewinn aus der Sache zieht. Das öffentliche Ansehen, also die „Ehre“, tritt zurück zugunsten der persönlichen Entwicklung, oder?

Astrid: Genau. In dem neuen Verständnis wird ehrlicher als früher gesagt, dass man selber etwas davon hat, dass man seine Persönlichkeit stärken kann, Selbstbewusstsein aufbauen kann durch das Erledigen von Aufgaben und die Übernahme von Verantwortung. Man bekommt ja immer ein Feedback, ob gewollt oder ungewollt. Da kann man sehen, wie man sich im Laufe der Zeit entwickelt hat. Und wenn man etwas gut gemacht hat, ist das ein enorm schönes Gefühl. Das kann einem kein Geld der Welt geben, das kann man nur durch Tun und Aktion erreichen. Und noch ein anderer Aspekt ist wichtig: Es gibt den ein oder anderen, der einen kleinen Bekanntenkreis, also wenig Kontakte, hat. In so einer großen Einrichtung wie dem Antoniusheim kommt man aber immer unter Leute, das lässt sich gar nicht vermeiden. So kann das für den Helfenden eine soziale Eingliederung bedeuten. Er lernt, sich wieder in die Gesellschaft einzubringen.

Redaktion: Du sagst: „sich in die Gesellschaft einzubringen.“ Also ist für das neue Verständnis von Ehrenamt das gesellschaftsverändernde Element nach wie vor wichtig: Dinge weiterentwickeln, optimieren.

Astrid: Ein wichtiges Element beim Engagement ist die Bewegung: Einerseits in dem konkreten Sinne, dass man mit anderen Leute rausgeht, spazieren geht, draußen spielt, etwas unternimmt. Andererseits umfassender: die Bewegung, dass man Teil einer Gesellschaft ist und etwas bewegen kann, nach vorne.

Redaktion: Ist der Unterschied zu früher dann, dass sich diese Bewegung jetzt interaktiver vollzieht?

Astrid: Eben, deshalb kam ich ja auf den Begriff „Ehrenamt 2.0.“ Das ist das, was wir jetzt brauchen! Da hab ich ein bisschen in die Informatik-Geschichte reingedacht. Das Web hat sich ja auch erneuert. Früher war es so, dass einfach bestimmte Dinge im Internet standen. Man hat in Google gesucht und dann bestimmte Texte und Informationen gefunden. Das hat sich weiterentwickelt. Der Begriff „Web 2.0“ kam dann auf, weil man selber die Möglichkeit hatte, mitzumachen. Wikipedia z. B. hat das so gemacht, dass jeder sich auf dieser Plattform einbringen und dadurch Dinge verändern konnte. Das konnte dann jeder lesen. Also: Jeder kann sich einbringen und jeder hat etwas davon. Und so ist das auch beim Ehrenamt gut: Man bringt sich ein, erneuert etwas, und alle nehmen etwas mit. Da hat sich auch etwas getan, und deswegen fand ich den Vergleich mit dem Internet sehr schön. Und weil man sprachlich das Wort „Ehrenamt“ nicht ganz weglässt, sondern nur etwas dranhängt und dem Ausdruck so eine neue Richtung gibt, ist er für junge Menschen ansprechend und für ältere noch akzeptabel.

Redaktion: Gibt es denn im Ehrenamt 2.0 auch inhaltliche Veränderungen? Verändert sich die Art des Helfens, also die innere Ausrichtung?

Astrid: Ich denke schon: Durch den ehrlicheren Umgang mit den eigenen Erwartungen und Wünschen wächst auch die Wachsamkeit gegenüber den Wünschen und Erwartungen des Gegenübers. Ein Leitspruch ist ja: „Fördern durch Fordern.“ Man darf gerade Menschen mit Behinderungen nicht dermaßen unterstützten, dass sie sich nicht entfalten können. Man darf sie nicht verhätscheln, sondern muss immer versuchen, aus den Menschen das herauszukitzeln, was sie leisten können. Gerade Menschen mit Behinderungen haben – nach dem, was ich in den letzten Monaten erlebt habe – immer eine Stärke, die sehr gut ausgeprägt ist. Wenn man allein nur das fördert, hat man schon viel erreicht. Wenn man aber sagt: „Der arme Mensch mit Behinderung, der kann doch nichts dafür“ usw. , das ist grundfalsch. Man muss die Menschen ganz normal behandeln wie jeden anderen auch. Man muss mit ihnen rumblödeln, mit ihnen lachen, aber man muss sie auch fordern, das ist ganz wichtig. Das fällt manchmal in den Hintergrund.

Redaktion: Kann man sagen, dass sich die neue Form von Ehrenamt in einem offeneren Klima vollzieht? Oder besser, dass die Rollenverteilung – hier der Betroffene, dort der Helfende – nicht mehr so statisch und einseitig ist?

Astrid: Natürlich bleiben die Rollen im Kern verteilt, aber es ist richtig: Es gibt eine größere Gleichheit in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Das hat sich in meinem Fall schon daran gezeigt, wie ich an meinem neuen „Arbeitsplatz“ aufgenommen wurde. Ich bin da einfach so reingerutscht. Man hat mich gleich akzeptiert, wie ich war, hatte keine Vorurteile. Das ist in jeder anderen Gesellschaft eher schwierig. Man wird gleich eingeschätzt, begegnet einem bestimmten Vorurteil, wird in eine Schublade gesteckt. Das gab es hier gar nicht.

Redaktion: Und was glaubst du, warum nicht?

Astrid: Vermutlich, weil die Menschen das auch für sich selbst wünschen, dass man akzeptiert wird mit den Eigenschaften, die man eben mitbringt oder nicht mitbringt. Zwischenmenschlich kann man hier sehr, sehr viel lernen. Es ist diese größere Offenheit und Freiheit: Alle Menschen miteinander eben – ein bisschen wie im Web 2.0.

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