Ein ungewöhnliches Experiment: Montag ist Ruhetag!
von Jens Brehl
Montag ist Ruhetag
Das Leben mit angezogener Handbremse droht mich zu zermürben. Privat wie beruflich scheint nichts voranzugehen, der gefühlte Stillstand hat Oberhand. Ich will mehr unterwegs sein, mehr Aufträge, mehr Aktion. Doch anstatt in hektische Betriebsamkeit zu fallen, entscheide ich mich für das Gegenteil. Zu oft habe ich das Spiel meines inneren Antreibers mitgespielt und nun möchte ich ihn in seine Schranken weisen. Ich werde einen ganzen Tag lang gar nichts tun, außer im Sessel zu sitzen und Sauerstoff in Kohlendioxid umzuwandeln. Kein Grübeln, keine Notizen, kein Radio, das Telefon ausgeschaltet und alle Uhren versteckt. Nur ich. Die Vorgaben: Von morgens bis abends in einem Sessel sitzen und diesen nur für Essen, Trinken und Toilettengänge verlassen.
Als perfekten Zeitpunkt wähle ich den Montag. Während um mich herum alle in die neue Arbeitswoche starten, bleibe ich untätig. Werde ich es einen ganzen Tag mit mir aushalten, ohne mich abzulenken? Am Sonntagabend kommt die Angst. Wie soll ich das stundenlang aushalten? Doch ein Zurück gibt es für mich nicht.
Am Montagmorgen hänge ich zunächst die Wanduhr in der Küche ab und widme mich dann einer kurzen Meditation, um zur Ruhe zu kommen. Dann setze ich mich in den Sessel und starre die Wand an. Neben mir dampft eine Tasse Tee. Mein Kopf sucht augenblicklich Beschäftigung und möchte überlegen, was ich alles im Supermarkt besorgen muss. Unwichtig. Mir gelingt es, den Gedankengang zu beenden. Doch sofort nutzen andere ihre Chance: Themen für Artikel schießen mir durch den Kopf und Namen von Leuten, die ich unbedingt anrufen muss. Wo zum Henker ist meine Gelassenheit aus der Meditation? Warum kann ich mich dabei zentrieren, im Alltag aber nicht? Normalerweise würde ich meine Ideen jetzt einfach aufschreiben, um nicht weiter über sie nachdenken zu müssen. Doch heute darf ich mir keine Notizen machen, Arbeiten ist ja verboten. Daher versuche ich es mit einer anderen Technik. Mir wird klar: Je mehr Druck ich aufbaue, umso mehr Gegendruck schlägt zurück. Deshalb akzeptiere ich einfach, dass mir Unmengen von Gedanken im Kopf herumschwirren. Anstatt mich darüber zu ärgern, betrachte ich sie kurz und lasse sie dann los. Anscheinend begnügen sie sich damit, wahrgenommen zu werden. So lasse ich den Wind aus den Segeln – und es funktioniert tatsächlich.
Meine Augenlider sind auf einmal schwer wie Blei und drohen zuzufallen. Kurz vor dem Einnicken schrecke ich auf. Der Tee ist auf einmal nur noch lauwarm. Schon jetzt habe ich das Zeitgefühl verloren. Wie lange sitze ich hier? Im Grunde ist es egal, denn Zeit spielt heute eine untergeordnete Rolle. Sollte sie zumindest. Irgendetwas in mir wünscht sich aber genaue Angaben. Vielleicht, um sich zu orientieren? Aber wofür? Ist mein Leben derart getaktet?
Plötzlich fällt mein Blick auf das Bügeleisen im Schrank, welches ich am Samstag vergessen habe wegzuräumen. Ehrlich gesagt war ich zu bequem. Augenblicklich spannen sich meine Muskeln, um aus dem Sessel aufzustehen und das Versäumte – welches mich extrem zu nerven scheint – nachzuholen. In der letzten Millisekunde kann ich mich stoppen. Nichts zu tun ist schwieriger, als ich dachte. Was ich noch nicht weiß: Das Bügeleisen, welches ich glaubte, sofort wegräumen zu müssen, wird in zwei Wochen immer noch am selben Platz stehen.
Ich schätze, es ist Mittag. Bis jetzt halte ich mich tapfer, das Stillsitzen fällt mir immer leichter. Auch die Gedankenspiralen haben sich größtenteils verabschiedet. Langsam komme ich bei mir an. Doch dann der GAU: Durchs offene Fenster saust eine dicke Fliege herein. Laut summend zieht sie ihre Bahnen, und weil sie den Ausgang nicht mehr findet, rummst sie permanent gegen die restlichen verschlossenen Fenster. Immer wieder rammt der Plagegeist gegen die gleichen Stellen. Ich denke darüber nach, wie dumm die Fliege doch ist – und erinnere mich sogleich daran, wie oft ich selbst mit dem Kopf durch die Wand will.
Der Lärm der Fliege zerrt an meinen Nerven. Wenn das den Rest des Tages so weitergeht, drehe ich durch. Im Normalfall würde ich aufstehen, die Fenster öffnen und den ungebetenen Gast nach draußen scheuchen. Allerdings möchte ich genau auch solche Ablenkungen vermeiden. Ich schaue nämlich sonst gerne aus meinem Wohnzimmerfenster, besonders beim Telefonieren. Es gibt auf der Straße immer etwas zu entdecken. Daher wende ich mich halb im Scherz an die Fliege. „Tut mir Leid Kumpel, ich kann dir heute nicht helfen.“ Kaum ausgesprochen, biegt sie im rechten Winkel ab und saust mit Karacho durch das offene Fenster.
Ab einem bestimmten Punkt halte ich es nicht mehr aus und breche mein Experiment ab. Gescheitert. War das Ziel zu hoch gesteckt oder ich nicht stark genug? Mit hängenden Schultern schlurfe ich in die Küche, um die Wanduhr wieder aufzuhängen. Als mein Blick auf das Zifferblatt fällt, breche ich in Jubel aus: Es ist 18 Uhr abends, ich habe es geschafft, mehr als zehn Stunden lang nichts zu tun! Als ehemaliger Workaholic fühle ich mich, als hätte ich soeben eine bockschwere Meisterprüfung bestanden. Glückshormone durchfluten meinen Körper. Ich fühle mich beschwingt und um Tonnen erleichtert. Mein innerer Antreiber, der mich zuvor stets zu Höchstleistungen gemahnt hat, hat einen Dämpfer bekommen. Was ich noch nicht ahne: Dieser magische Montag war ein wichtiger Schritt in Richtung innerer Gelassenheit, die ich zum Glück immer öfter bewahren kann.