Fashion mit gutem Gewissen

Wir haben uns umgehört, um ein bisschen Ordnung in die Sache zu bringen. Und um unseren Blick zu schärfen für eine wichtige Aufgabe:

Second hand Puppe

 

Die Nachhaltigkeit. Wo? In Indien? Nein, im Secondhandladen, gleich um die Ecke.

Auch wenn Sie keine Fashionista sind, Haute Couture nicht von Casual unterscheiden können und nicht dem letzten Look hinterherrennen, ist Ihnen dieser Trend sicher schon einmal aufgefallen: der Used Look.

Kleidungsstücke – etwa Lederjacken, Schuhe oder Hosen – werden dabei auf alt getrimmt. Am populärsten ist dabei nach wie vor die Jeans im Used Look mit Löchern, Kratzern, ausgefransten Säumen, abgeriebenen Stellen und vermeintlich von der Sonne ausgebleichten Flecken. Ein punkiger, fast rotziger Trend, der es dennoch auf die Laufstege der Welt geschafft hat. Und was spricht auch dagegen, mal betont lässig auszusehen? Vieles. Zumindest, wenn es ein künstlich erzeugter Used Look ist.

Nur die wenigsten wissen, dass am lässigen Used Look Menschenblut klebt. Das ist  wörtlich zu verstehen: Die Jeans werden zum großen Teil in Fabriken in Indien gefertigt, wo die Menschen mit Sandstrahlgebläsen fleißig daran arbeiten, sie gebraucht aussehen zu lassen; und das meistens ohne Atemschutzmaske und entsprechende Sicherheitskleidung. Chemische Mittel, die zum Bleichen und Aufreiben des Jeansstoffes benutzt werden, setzen sich in den Lungen der Arbeiter fest und verursachen verheerende Schäden. Die Folgen sind schwere Erkrankungen der Atemwege, Allergien und Krebs. Und das bei Niedrigstlöhnen und ungesicherter Zukunft.

Wollen wir das? Natürlich nicht. Was tun wir dagegen? Eben. Doch beim Kleiderkaufen kann man durchaus auf Nachhaltigkeit achten: Da gibt es Gütesiegel, faire Mode, Biostoffe und vieles mehr. Aber es ist ein undurchsichtiger Etikettendschungel, schwer zu durchschauen und obendrein oft gefälscht. So werden unsere gut gemeinten Nachhaltigkeitsvorsätze unglücklicherweise alsbald im Etikettenfrust erstickt. Und glauben Sie bloß nicht, dass eine indische Näherin an einem Diesel-T-Shirt mehr verdient als an einem T-Shirt von KiK – Teure Marke ist nicht gleich faire Marke.

Das Gute ist: Wir können das auch sehr viel einfacher haben. Zusammengefasst in einem einzigen Wort: Secondhand. Hand aufs Herz: Haben Sie schon einmal in einem Secondhandladen Kleider gekauft? Nein? Wovor haben Sie Angst? Der Secondhandladen ist der Inbegriff von Nachhaltigkeit. Hier profitiert jeder: Der Verkäufer, der Platz in seinem Kleiderschrank schafft, der Käufer, der seit Jahren von einem echten Designerkleid träumt, und am allermeisten die Umwelt.

Es müssen nicht noch mehr billige Polyesterkleider hergestellt und noch mehr Ressourcen verbraucht werden. Der CO2-Footprint für solche Produkte ist auch deshalb schon exorbitant, weil die undurchsichtigen Transportwege der Bekleidungsbranche um die gesamte Welt reichen.

Secondhand bedeutet dagegen: Es wird nichts verschwendet. Was dem einen nicht mehr passt oder gefällt, ist für den nächsten ein Glücksfall. Wer jetzt muffige Räume im Sinn hat, wo sich der Staub zentimeterdick auf beigefarbenen Großmuttermänteln türmt, der sei eines Besseren belehrt: Auch Secondhandläden gehen mit der Zeit. Es sind moderne, helle Orte mit luftigen und natürlich gründlich gereinigten Kleidern.

„Wir nehmen ausschließlich gut erhaltene und gewaschene Kleider an“, berichtet die Verkäuferin eines gut laufenden Secondhandladens der Region. „Angebot und Nachfrage sind inzwischen so groß, dass wir streng sortieren müssen. Wir richten uns nach der Saison und achten sehr genau darauf, wie ein Stück etikettiert wird. Bleibt wirklich einmal etwas länger auf dem Bügel hängen, bieten wir es günstiger an.“

Vielen Stücken sieht man nicht an, dass sie schon einmal getragen wurden. Darunter auch großartige, kunstfertige Kleider, die einmal ein Vermögen gekostet haben, und die man jetzt für überschaubares Geld erwerben kann. Und viele Stücke wurden auch gar nicht getragen: das Cocktailkleid für die Party, die gar nicht stattgefunden hat; der Blazer für das Jubiläum, der kurz vor der Feier doch nicht mehr gepasst hat; das Brautkleid –
weil der Bräutigam es sich dann doch anders überlegt hat.

Heute drängen immer mehr Kategorien auf den Secondhandmarkt. Es gibt exklusive Läden, in denen nur gebrauchte Designermode verkauft wird. Es gibt Secondhandläden für Herren und für Kinder. Und wer echte Vintagemode trägt, der liegt absolut im Trend.

Auch schön: Das Projekt Kleiderkreisel, bei dem man sich Mode für einen speziellen Anlass ausleihen kann. Statt Billigklamotte aus China kann man im Theater mit einem echten Chanel glänzen – und ihn danach einfach wieder zurückgeben. Gerade Anlassmode ist dazu verdammt, nach dem einmaligen Event im Schrank zu vermodern.

Und wer nun dennoch bei seiner Jeans auf den Used Look besteht, der wird auch im Secondhandladen fündig. Denn was spricht dagegen, mal betont lässig auszusehen? Eben. Gar nichts.

von Anna-Pia Kerber

Zurück