Funkentanz im Rhöner Land
Vom Haischen und von der Huitzelbrüh
Funkentanz im Rhöner Land von Anna-Pia Kerber
Ein Flüstern geht durch das Reisig, ein Wispern, dann lecken die wilden Funken am toten Holz. Die Nacht ist kalt und treibt die Menschen dicht zusammen um die Funken, die wie gelbe und orange-farbene Sterne auf die trockenen Zweige regnen. Der Wind am Berg hat aufgefrischt. Die Fackeln werden in das Holz gestoßen. Dann bahnt sich das Feuer seinen Weg in den mächtigen Holzstoß und setzt ihn vollends in Flammen.
Ein Raunen geht durch die Menge. Die Gesichter werden von einem warmen Leuchten erhellt. Ein Leuchten, das von längeren und wärmeren Tagen erzählt, vom Sonnenlicht, von Fülle und Wachstum. Vom Ende des Winters.
Wer das Hutzelfeuer noch nicht erlebt hat, bekommt am ersten Sonntag nach Fastnacht die Gelegenheit, diesen stimmungsvollen, alten Brauch kennenzulernen. In diesem Jahr wird es am 5. März stattfinden. Während die traditionelle Winterverbrennung eine weit verbreitete Sitte ist, gibt es das spezielle „Hutzelfeuer“ nur in Mittel-, Ost- und Nordhessen, auch in einigen Teilen Thüringens. Besonders in der Rhön ist das Hutzelfeuer auch heute noch ein beliebter Brauch. Die Bezeichnung „Hutzelfeuer“ geht auf das Wort „verhutzelt“ zurück, was „vertrocknet“ bedeutet. Denn an diesem Tag werden „Hutzeln“ gereicht, gedörrte Birnen und getrocknete Zwetschgen. Außerdem werden Kräppel gebacken, runde Teigteilchen ähnlich dem Krapfen, die in siedendem Öl ausgelassen werden. In der kargen Rhön genoss man diese Leckereien als letzte Süßigkeiten vor der anbrechenden Fastenzeit.
„Wollt ihr ons kei Huitzel ga,
soll euch der Baum kei Bern mehr troa.
Gabt ihr uns kei Kräppel,
mach mer ä rechts Geträppel.“
Ebenso wie die letzten Naschereien bedeutete das Hutzelfeuer auch die letzte Festlichkeit nach der Fastnacht, bevor man sich dem Ernst der Fastenzeit verschrieb. An diesem Tag durfte noch einmal gefeiert werden: mit gutem Essen, reichhaltigen Getränken, Feuersprüngen und Gesängen.
Das Zusammentragen und Aufschichten des Holzstoßes war seit jeher eine anstrengende, wenn auch lohnende Aufgabe. „Früher haben das die Messdiener gemacht“, erzählt ein Pensionär, der sich gerne an seine Jugend in Seiferts zurückerinnert. Als Kind war er selbst „Hutzeljunge“, einer der Burschen, die schon Tage vor dem Fest totes Holz sammelten. „Das gehörte einfach dazu. Wir sind durch die umliegenden Wälder gestreift und haben so viel trockene Zweige, Äste und Stämme gesucht wie möglich. Das war anstrengend, denn der Schnee lag oft noch sehr hoch und wir mussten das Holz auf den Berg hinaufschleppen. Trotzdem haben wir das natürlich gerne gemacht, schließlich wurden wir gut belohnt.“
Selbstgebackene Kraeppel machen den Unterschied
Denn nach dem Sammeln von Reisig, Totholz und ausgedienten Tannenbäumen – diese allerdings erst Jahre später – zogen die Hutzeljungen von Haus zu Haus und forderten keck eine Spende. Das altdeutsche Wort dafür war das „Haischen“. „Damals gab es dafür kein Geld, sondern Eier, Schinken und Fleischwurst“, berichtet der einstige Hutzeljunge. „Das war der Lohn für das Austreiben des Winters und etwas ganz Besonderes.“ In den Häusern wurden nach dem Feuerspringen dann Kräppel und Hutzelsuppe gereicht, die „Huitzelbrüh“.
Das Feuer wurde auf einem Berg nahe dem Dorf errichtet, damit man es von weither leuchten sah. In einigen Gegenden wurde das Feuer mit selbst gebastelten Fackeln oder Laternen eröffnet, in anderen mit großen, mit Reisig umwickelten Rädern. Im Fuldischen kannte man die Bläase, in der Rhön die blehs oder Strohblähse, etwa drei Meter lange Holzstangen, deren Ende mit Strohgarben umwickelt waren. Sie wurden von den Hutzeljungen mit großem Stolz zum Feuerplatz getragen. Die Blähse wurden am Hutzelfeuer entzündet und in Kreisen geschwungen, und ihr Widerschein erhellte die Nacht mit langen, Funken stiebenden Sternschnuppen. Der Begriff „Blähse“ mag mit dem englischen Wort „blaze“ verwandt sein, was so viel bedeutet wie „lodern“ oder „brennen“.
Klotzen, nicht kleckern: Wenn Männer alles geben
In den alten Zeiten gab es die Hâelreder oder Hutzelräder. Diese wurden ebenfalls mit Reisig umwickelt, angezündet und kraftvoll die Hänge hinabgerollt. Um 1830 versuchte man allerdings vermehrt, diese mitunter gefährliche Sitte einzudämmen – und schließlich ging sie gänzlich verloren. Verbote gegen das Hutzelfeuer wurden im Lauf der Geschichte öfter ausgesprochen. Anfangs war der Kirche jener Brauch nicht geheuer, den man mit Aberglauben und Heidentum verband.
Die Ursprünge des Feuers gehen wohl tatsächlich auf die germanischen Frühlingsbräuche zurück. Dabei wurden bereits im 4. Jahrhundert Feuerräder zum Einsatz gebracht. Sie könnten die Sonne dargestellt haben, die mit ihrer Kraft und Wärme den Sommer zurückholt und die Saaten aus ihrem Winterschlaf erweckt. Zudem galt ein Sprung über das Feuer bei den jungen Männern als Mittel gegen Krankheit und Unglück.
In der Rhön war das Hutzelfeuer fester Bestandteil des Kirchenjahres und wurde sehr ernst genommen. Dem entsprach natürlich ein starkes Konkurrenzdenken: Jedes Dorf wollte das größte und schönste Hutzelfeuer entfachen. „Wir mussten schließlich Wachen aufstellen“, erinnert sich der ehemalige Messdiener. „Es kam nämlich vor, dass die Burschen aus den Nachbardörfern sich schon vorher gegenseitig die Holzstöße anzündeten.“ Damit das nicht passierte, wurden abwechselnd Burschen bei dem Holzstapel postiert.
Feuermeister Richard Kuemmel
Nach getaner Arbeit erwartete die älteren Hutzeljungen noch ein weiteres Vergnügen: Den Mädchen, mit denen sie Fastnacht getanzt hatten, statteten sie einen Besuch ab. „Von den Mädchen bekamen wir dann Kräppel, Hutzeln und einen Schnaps.“ Je nach Ort und Tradition wurden die Burschen auch offiziell am Hutzelsonntag bei ihrer Tanzpartnerin zum Essen eingeladen – wenn sie denn willkommen waren. Dann ließ es sich auch ein Hausherr nicht nehmen, den Burschen seiner Magd zu bewirten, und es wurde mit der gesamten Familie gefeiert.
In der jüngsten Zeit geriet das Hutzelfeuer aus einem ganz anderen Grund in Gefahr: Es sollte untersagt werden, weil es angeblich eine Umweltbelastung darstelle und gefährlich sei. Ein absurder Gedanke, wenn man einige regionale Feuer mit dem CO2-Ausstoß auch nur eines einzigen Billigfliegers vergleicht.
Zum Glück hat sich die Tradition bisher erhalten. Heute wird die Organisation des Hutzelfeuers oftmals vom örtlichen Sport- oder Feuerwehrverein übernommen. Richtig traditionell geht es allerdings nur noch in wenigen Orten zu. Mancherorts hat sich der ehemals besinnliche Brauch zu einem Volksfest gewandelt. Von Ruhe und Einkehr ist hier nur noch wenig zu spüren: Anstelle von selbst gebastelten Laternen und Fackeln gibt es laute Beschallung, statt getrockneten Zwetschgen werden Bratwürste und Glühwein verkauft.
In kleineren Orten ist die Chance größer, den ursprünglichen Gedanken des Hutzelfeuers zu spüren. Wer am Abend des Hutzelsonntags durch die Rhön fährt, der kann bei fast jedem Ort auf den Hügeln die Feuer brennen sehen. Es ist ein warmer Anblick, ein Leuchten, das die Schneereste ergreift und viele tanzende Lichter in die Dunkelheit sät. Dann ist es, als würde gemeinsam mit den Lichtern die Zuversicht gesät und das Vertrauen, dass jede dunkle Zeit einmal vorübergeht.
Lieder rund um das Haischen
Wenn die Hutzeljungen
etwas forderten:
Dobe im Firscht
Hange die lange Würscht,
Dob’n Schornstei’
Hänge die alte Säubei’,
Ga’t uns die lange,
Laßt die kurze hange!
Dönge in’m Käller
Steht a Korb voll Eier,
Ga’t uns die frösche,
Laßt die alte wösche.
Wenn sie ihren
Anteil erhalten haben:
Habt ihr uns gegeben,
Behüt Euch Gott das Leben,
Und übers Jahr – da kommen wir
Und haischen wieder
vor eurer Thür.