Grün nach oben Vom Schreibtischtäter zum aktiven Stadtgärtner
Ein trüber Samstagvormittag, Anfang März 2014. Als ich am Umweltzentrum eintreffe, sind bereits einige Zeppelingärtner dabei, vorhandene Beete zu erweitern und neue anzulegen.
Um die erste Saat ausbringen zu können, muss der Wildwuchs beseitigt werden. Die Gemeinschaftsgärtner haben gerade einen Teil des Apothekergartens vom Umweltzentrum zur Verfügung gestellt bekommen und möchten hier in naher Zukunft Gemüse ernten. Um den ersten Spatenstichen beizuwohnen, tauche ich in der Rolle des Journalisten auf, der für seinen Blog* einen Bericht schreiben möchte. Knapp zehn Personen sind bereits am Werk, von der jungen Studentin bis zum Rentner. Auch ich beginne mit meiner Arbeit: mache Fotos, stelle Fragen, fertige Notizen an. Danach greife ich zur Überraschung aller zum Spaten. Zunächst schüchtern frage ich, ob ich mithelfen dürfe. Es ist an der Zeit, mein kleines Geheimnis zu lüften.
Einen Bericht über die ersten Arbeiten im neuen Gemeinschaftsgarten schreiben zu wollen ist nur die halbe Wahrheit. Seit Jahren wohne ich in der Innenstadt und vermisse einen Garten nebst den dazugehörigen Tätigkeiten unter freiem Himmel. Zudem liebe ich erntefrisches Bio-Gemüse. Bei meinen unregelmäßigen Arbeitszeiten würde es mir aber schwerfallen, mich um einen eigenen Garten zu kümmern. Durch Zufall erfuhr ich von diesem Projekt. Und nun stehe ich hier und trenne mit dem Spaten Grasnarben ab. So ungeschickt wie geglaubt bin ich dann doch nicht und empfinde mein Tun im wahrsten Sinne des Wortes als erdend. Die Stimmung in der Gruppe ist gelöst, Neuankömmlinge fühlen sich schnell wohl.
Einen Monat nachdem mein Artikel erschienen ist, schließe ich mich auch offiziell der Gruppe an. Seit Jahren liegen meine Themenschwerpunkte bei nachhaltigem Wirtschaften und ökologischer Landwirtschaft – aber nun verabschiede ich mich zumindest am Wochenende von der Rolle des Schreibtischtäters: Ein Seitenwechsel von der Theorie zur Praxis. Bald lerne ich die Gemeinschaft zu schätzen und verliere meine anfängliche Scheu. Immer öfter traue ich mir zu, eigenständig notwendige Arbeiten zu erkennen und nach Absprache auszuführen. „Du kannst nichts falsch machen“, ruft mir Jacques immer wieder zu. Persönlich kenne ich niemanden, der mehr Ahnung vom Gärtnern hat als er. Seine lockere Art färbt schnell auf mich ab. Wenn etwas schiefgeht, zuckt er mit den Schultern: „Kein Problem.“ Die Gruppe eröffnet mir neue Lernfelder, und es ist erschreckend, wie wenig ich über meine Lebensmittel weiß. Die gute Nachricht: Das ändert sich schnell. Die erste Portion Mangold ist nicht nur geschmacklich ein Hochgenuss. In einem Interview sagte mir einst ein Agraringenieur aus Bielefeld: „Lebensmittel selber zu erzeugen ist wie Geld drucken, macht aber glücklicher.“ Jetzt kann ich es nachempfinden. Mein Respekt für die ökologische Landwirtschaft wächst durch die Praxis zusehends. Das Arbeiten mit der Natur ist aufwendiger, als mit chemischen Pflanzenschutzmitteln und Kunstdünger zu hantieren. Mit solchen Mitteln erhalten wir zwar günstige Lebensmittel, die die Regale im Discounter füllen. Aber wir zahlen gleichwohl einen hohen Preis: Unsere Böden und das Grundwasser werden vergiftet. Möchten wir eine solche Welt unseren Kindern hinterlassen? Ich beantworte diese Frage mit einem klaren Nein. Dennoch habe ich mich in der Vergangenheit ohnmächtig gefühlt. Heute ist das anders, denn auch wenn der Gemeinschaftsgarten für sich alleine wenig bewirken mag – es ist ein Anfang.
Obwohl das Projekt der Zeppelingärtner an den Förderverein Kultur- und Umweltbildung e.V. angegliedert ist, ist die Hierachie bei uns sehr flach. „Je nachdem welche Arbeiten anstehen, ist jemand anderes der Chef“, erklärt Felix Döppner, Zeppelingärtner der ersten Stunde. „Bei uns kann sich jeder nach seinen Möglichkeiten einbringen. In meinen Augen sind das ganz moderne Strukturen, von denen sich durchaus auch Unternehmen etwas abschauen können.“ Und genau hier holt mich das Projekt ab: Niemand stört sich an meinen beiden linken Händen, denn ich kann ja assistieren. Bin ich an einem Wochenende verhindert, habe ich vielleicht ein schlechtes Gewissen, aber niemand ist böse auf mich. Klar, je mehr helfende Hände, desto leichter ist alles. So gibt es einen harten Kern, der enorm viel leistet, dann Mitstreiter wie mich, die oft da sind, und andere, die nur ab und an vorbeischauen. Manch einer wirft eine gute Idee in den Raum und ist dann wieder für einige Zeit abgetaucht. Alles darf sein. Die Ernte teilen wir untereinander auf, und jeder entscheidet nach eigenem Gewissen, was er mitnehmen möchte. Es ist ja auch möglich, neben dem Mitgliedsbeitrag von 30 Euro im Jahr auch noch ein paar Münzen in die Kasse zu werfen. Anfangs bin ich mit dem Konzept ein wenig überfordert: Wie viel darf ich mir denn nun mitnehmen? Bald merke ich, dass ich mir darum keine Gedanken machen muss: Ist das Gemüse reif, muss es auch geerntet werden. Ansonsten würde es verkommen. Wer da ist, der erntet auch. So einfach ist das. Niemand führt eine Strichliste.
Auch wenn alles so locker klingt: Die Zeppelingärtner haben auch echte Krisenzeiten hinter sich. Ihre Geschichte begann vor vier Jahren, als die Freiraumplanerin Yvonne Winter ihre Idee des Stadtgärtnerns vorstellte. Eingeladen dazu hatte die überparteiliche Initiative „Fuldaer Weg“. Ihr Gedanke, auf brachliegenden Flächen gemeinschaftlich Nutzpflanzen anzubauen, wurde begeistert aufgegriffen. Rasch stieß man auf eine leerstehende Gärtnerei mit Glasgewächshäusern in der Zeppelinstraße. Auch der Eigentümer war recht schnell überzeugt. „Zunächst mussten wir die Außenbeete von allerhand Unkraut befreien. In den Gewächshäusern sah es aus wie im Dschungel“, erinnert sich Felix. Doch schon im Jahr darauf gediehen hier Tomaten, „die besten meines ganzen Lebens.“ Der Ort entwickelte sich zusehends zu einem Idyll, und so war der Name für ihn schnell gefunden: Zeppelinoase.
Die Initiative blühte auf, man arbeitete und feierte zusammen. In einem Glashaus gab es nicht nur Filmabende, sondern einmal auch ein Theaterstück zu sehen. „Oft werkelten am Wochenende 20 Gärtner gleichzeitig, und auch die Planungstreffen am Montag waren gut besucht“, erklärt Felix. Der Schock im Mai 2013 war daher gewaltig: Der Pachtvertrag wurde überraschenderweise nicht verlängert, bis zum Jahresende mussten die Zeppelingärtner das schöne Gelände räumen. Das bereits gesäte Gemüse wurde zwar noch geerntet, „aber die Euphorie war komplett verflogen.“ Doch der harte Kern suchte bereits im Sommer 2013 einen neuen Platz; nach einigen Fehlversuchen fragte man einfach die Stadt nach Flächen außerhalb des Umweltzentrums. Die damalige Baurätin Cornelia Zuschke zeigte sich offen für die Idee, zumal die Zeppelingärtner ein konkretes Konzept in der Tasche hatten. Außerdem bestand bereits ein guter Kontakt zu Volker Strauch, dem Leiter des Umweltzentrums. Kurz vor Weihnachten erhielten die Zeppelingärtner ein frühes Geschenk: Sie durften innerhalb des Geländes eine neue Zeppelinoase errichten und bekamen einen Pachtvertrag für zwei Jahre. Im März schließlich stieß ich, zunächst als Journalist, dann mit Haut und Haaren, dazu.
Nach meiner ersten Saison mit den Zeppelingärtnern bin ich überrascht, wie viele Menschen gemeinsam öffentlichen Raum gestalten möchten und wie schnell so ein neuer Ort der Begegnung entstehen kann. Als hätte ich jahrelang nichts anderes getan, ist fortan der Samstag von Frühjahr bis Herbst wie selbstverständlich mein Gartentag. Auf geht’s in die neue Saison!