Hallo, wir kommen, um dich zu Besuchen!

von Suria Reiche

Leid gehört zum Leben dazu. Andreas Hartmann weiß das. Der 62-Jährige ist Klinikclown. Seine Aufgabe ist es, Lebensmut und Freude an die Betten der Fuldaer Kinderklinik zu bringen. Dorthin, wo Lachen an normalen Tagen nicht oft vorkommt.

Es ist Dienstagvormittag, als es plötzlich an eine Tür im Klinikum Fulda klopft. Nach dem leisen Herein, das aus dem Mund eines Kindes kommt, wird ein Kopf durch die Tür gesteckt. Mit Rouge geschminkte Wangen und dunkle Augenbrauen zieren das Gesicht des großen, dünnen Mannes, der nun ruft: „Hallo, ich bin Spagl. Wir wollen dich besuchen.“ Wir, damit meint er sich selbst und eine ebenso ausgefallen gekleidete Frau an seiner Seite.
Spagl ist der Clownsname von Andreas Hartmann. Von der Krankenschwester hat er erfahren, dass der kleine Patient schon auf ihn wartet, gerade eine Operation hatte und eigentlich schlafen soll. Er will aber Spagl unbedingt vorher sehen. Der Junge liegt im Krankenhausbett und schaut ihn aus müden Augen an. Spagl schnappt sich seine Guitalele und stimmt ein Schlaflied an, während seine Kollegin Seifenblasen in die Luft bläst. Ein Lächeln umspielt die Lippen des Jungen, der gerade noch auf dem Operationstisch lag. Und auch Spagl lächelt, nachdem er den letzten Takt des Liedes gespielt hat und leise die Zimmertür hinter sich und seiner Kollegin schließt. Auf zum nächsten Patienten.

Fünf Stunden wird er heute im Fuldaer Klinikum verbringen. Mehr weiß er noch nicht über seinen weiteren Tag. „Als Clown ist es wichtig, auf die Situationen, die sich einem zeigen, einzugehen.“ Ein Drehbuch für seine kleinen Auftritte hat er nicht. Genauso wenig, wie es eins fürs Leben gibt.
Als Spagl gefragt wird, warum er sich ausgerechnet diesen Namen ausgesucht hat, steht er auf und zeigt auf seine Beine. Sie sind lang und dünn, „wie Spargel halt“. Seit 1984 ist der Mann, dem sie gehören, beruflich Clown. „Privat war ich das schon immer“, sagt der studierte Diplompädagoge und beschreibt, was er damit meint. „Ich glaube, ich habe immer den Clown gegeben, weil ich ansonsten keine Möglichkeit hatte, Situationen in meiner Kindheit zu überstehen. Ich wollte sie für mich aushaltbarer machen.“ Während er das sagt, schmunzelt er. „Für mich hat das Clown-Sein immer etwas mit den eigenen Erfahrungen, mit dem eigenen Leiden zu tun. Ich bin kein Clown, der sich des Klamauks bedient. Das ist für mich eine wichtige Grenze. Ich passe mich den Situationen an und versuche, die Angespanntheit darin zu übertönen. Mit etwas, das ein Lächeln auf das Gesicht meines Gegenübers zaubert.“ Er erinnert sich an eine von vielen Situationen als Klinikclown, in denen die Atmosphäre gefüllt war mit dieser Anspannung. „Ich kam in ein Zimmer und das Bett war leer, da saß nur die Mutter des Kindes auf dem Stuhl und hatte Tränen in den Augen. Hallo, habe ich gesagt, ihr Kind ist bestimmt gerade im OP.“ Die Mutter nickte und für Hartmann war klar, dass er jetzt nicht einfach gehen würde, sondern der Mutter in die Augen schauen und auf ihre Gefühle eingehen musste. „In solchen Situationen geht es um die Wahrhaftigkeit der Gefühle und das intuitive Reagieren darauf.“ Das Ziel sei es, Dinge, die einen selbst und andere tief berührten, wahrnehmbar zu machen, damit die Menschen darüber lachen könnten. Das beinhaltet besonders auch die eigenen Schwächen, Unsicherheiten oder Ängste. Bei seinen Auftritten in den Krankenzimmern des Klinikums schafft er das in 99 Prozent aller Fälle.



Zu den Einsätzen dort wird er vom Förderverein Känguruh e. V. geschickt. Der Verein wurde im Jahr 1994 gegründet, um den Krankenhausaufenthalt der kleinen und größeren Patienten so angenehm wie möglich zu gestalten. Für sie und auch für ihre Eltern. „Der erste Clown kam finanziert von Känguruh im Jahr 1999 in die Kinderklinik“, erinnert sich die Vorsitzende Susanne Möller. Kinderklinikdirektor Professor Dr. Reinald Repp weiß die Arbeit der Clowns und des Fördervereins sehr zu schätzen. „Die Klinikclowns bringen etwas zu den Kindern und deren Eltern, was neben guter Pflege und Medizin für das Gesundwerden unabdingbar ist: Lebensmut und Freude! Sie zeigen den Kindern, dass sie im Mittelpunkt stehen und sie es sind, die wichtig sind.“ Für Repp gehören die Klinikclowns genauso zum Team wie die Ärzte, Schwestern und Pfleger auf Station.
Fünf dieser Clowns finanziert der gemeinnützige Känguruh-Verein über Spenden. Zwei bis drei Mal im Monat, immer dienstags, besucht Hartmann gemeinsam mit einer Clowns-Partnerin die Kinderklinik in Fulda. Hier angekommen bekommt er von den Krankenschwestern oder -pflegern auf der Station einen Übergabezettel. Darauf stehen die Namen der Kinder, ihr Alter – und die Krankheit, wegen der sie hier sind.

„Aber auf diese Zeile schaue ich nicht“, sagt Hartmann. Denn er ist hier, um den gesunden Anteil der Kinder anzuschauen, anzusprechen. „Würde ich bei jedem Kind wissen, warum es im Krankenhaus ist, würde mich das manchmal umwerfen. Ich weiß, dass die Kinder krank sind, aber das schwingt nur irgendwo im Hintergrund.“
Was Hartmann stattdessen sieht, ist der junge Mensch. „Ich schaue ihm und den Eltern in die Augen. Baue einen Kontakt auf. Der entsteht innerhalb der ersten fünf Sekunden über Blicke.“ Er hebt den Kopf, sodass man nicht anderes kann, als in seine grau-blauen Augen zu schauen. Augen, die das Gegenüber wahrnehmen, es nicht einfach nur anschauen, sondern verstehen wollen.
Natürlich komme es auch vor, dass ein Kind keinen Besuch vom Clown will. Hartmann kommt nicht nur zu den Kleinsten, um für sie zu spielen. „In Fulda haben wir zwei Stationen. Auf einer davon liegen auch Jugendliche.“ Dass diese nicht unbedingt von ihm besucht werden wollen, ist für Hartmann okay. „Nur wenn Eltern ihre Kinder abschotten, weil sie finden, sie seien zu alt für einen Clown, ärgert es mich ein bisschen.“ Denn für Clowns sei man nie zu alt. Und schon gar nicht fürs Lachen.
Eigentlich, findet Hartmann, sollte es so sein, dass Clowns offizieller Bestandteil des Krankenhauses sind. „Im Seniorenbereich ist es noch viel gravierender. Die meisten Personen, die dort arbeiten, machen einen wunderbaren Job. Aber sie haben keine Zeit.“ Die Clowns haben sie. Und sie nutzen sie, um den kleinen und großen Patienten von ihren Sorgen abzulenken, ihnen eine gutes Gefühl zu bescheren. Ist das so, haben sie ihre Arbeit erfüllt. „Für mich ist es die größte Bestätigung, wenn ich jemanden berührt habe. Nicht physisch, sondern emotional.“

Für Repp ist das Gold wert. „Wir alle merken sofort, wenn die Clowns in einem Zimmer waren. Den Kindern geht es besser und damit natürlich auch den Eltern. Die Clowns schaffen Freude. Damit helfen sie zu heilen und so wird jeder Tag gleich besser, wenn sie auf die Station kommen.“
Was könnte es – neben dem Lächeln der Kinder – für ein schöneres Kompliment für Hartmann und seine Kollegen geben. Für Menschen, deren wichtigste Aufgabe es ist, eine positive Atmosphäre ins Krankenhaus zu bringen – oder noch viel mehr: in die Welt. „Clown-Sein ist Clown-Sein! Das hört nicht auf, wenn ich das Krankenhaus verlasse.“ 

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