Ich möchte, dass mich jeder kennt in Deutschland.

Tabea Grün ist gebürtige Fuldaerin. Nach einer Ausbildung zur Musical-Darstellerin in Hamburg arbeitete sie sechs Jahre lang erfolgreich in diesem Beruf.

Auch in ihrer alten Heimat war sie bei den Musicals „Die Päpstin“ und „Die Schatzinsel“ mit von der Partie. Für den Rapper Nana trat sie als Backgroundsängerin auf. Da sie schon mit 14 begonnen hatte, eigene Lieder zu schreiben, beschloss sie vor etwa einem Jahr, die Musicals hinter sich zu lassen und eine Gesangskarriere zu starten. Ihre erste Single „Anders“ erschien Anfang 2016

Langes, blond gefärbtes Haar, ein fein geschnittenes Gesicht mit strahlendem Lächeln, Topfigur, Gesangstalent gepaart mit bemerkenswertem Selbstbewusstsein:

Dass Tabea Grüns Weg sie auf die Bühne geführt hat, scheint kaum verwunderlich. Dass gerade jemand wie sie dort oben über das Anderssein in unserer Gesellschaft singt, irritiert hingegen. Grund genug für die SeitenWechsel-Redaktion, sich mit ihr über ihren Werdegang, ihre Pläne und ihre erste Single „Anders“ zu unterhalten.

SeitenWechsel: Wie ist das Lied „Anders“ entstanden?

Tabea Grün: Das Thema war mir immer wichtig, weil ich schon immer erlebt habe, dass so viele Menschen aus ganz vielen verschiedenen Gründen ausgegrenzt werden.

SeitenWechsel: Das Musikvideo fängt in der Youtube-Version mit einer kurzen Spielszene an. Drei Männer in Anzügen warten in einer Sitzecke auf ein Vorstellungsgespräch. Als eine Frau mit auffälligem Blümchenkleid und knallrot gefärbtem Undercut hereinkommt, tuscheln sie und sind dann umso erstaunter, als diese Frau die Stelle bekommt.

Tabea Grün: Ich find‘s schon echt interessant, dass die Botschaft verstanden wird. Die Botschaft ist ja, dass die Dame anders aussieht, nicht in dieses Klischee reinpasst von Menschen mit Anzügen und so weiter. Daher muss das ein spießiger Job sein, denkt man. Man sieht, dass sie erst mal ausgegrenzt wird von den drei Herren, dass sie schief angeguckt wird und Spott erhält. Ich wollte damit einfach zeigen, dass sie, auch wenn sie anders ist, trotzdem eine tolle Leistung in ihrem Job bringen und irgendwas haben kann, was die anderen nicht haben.

SeitenWechsel: Ist das auch eine Anklage an die Normalgesellschaft?

Tabea Grün: Das ist keine Anklage, das ist ein Augenöffnen. Ich klage niemanden an.

SeitenWechsel: Verpönt man nicht auch das Normale, wenn man das Anderssein so feiert?

Tabea Grün: So kommt es gar nicht rüber. Das ist das Gute, dass keiner es so versteht, sondern eher einen Ansporn darin sieht.

SeitenWechsel: Die drei Männer in dem Video sind ja in ihrer Durchschnittlichkeit entlarvt.

Tabea Grün: Das sind Menschen, die oberflächlich sind. Die gibt es leider und für die setze ich mich nicht ein. Ich wünsche mir einfach, dass auch die Menschen, die andere ausgrenzen, dadurch animiert werden, zu sagen: „Oh, ich habe auch mal jemanden ausgegrenzt oder schlecht behandelt.“ Jeder Mensch soll sich in diesem Song und dem Video wiedererkennen. In welcher Rolle er sich sieht, ist ja jedem selbst überlassen.

SeitenWechsel: Du hast dir zum Videodreh das Gelände von antonius ausgesucht. Wie kam es dazu?

Tabea Grün: Es ist einfach so gekommen; ich bin dankbar dafür. Wir haben von Anfang an gesagt, wir brauchen eine coole Location, wir brauchen verschiedene Orte: draußen, drinnen, alles. Ich weiß noch, ich bin damals ausgestiegen und hab gesagt: „Boah, hier wäre es geil zu drehen. Und da auch. Und da.“ Das war einfach genial.

SeitenWechsel: In einem Interview hast du gesagt, dass du das Video bei antonius gedreht hast, weil die Menschen hier greifbar seien. Was bedeutet das?

Tabea Grün: Ich habe die Darsteller hier hinter der Kamera kennengelernt und habe dann gesehen, dass sie vor der Kamera genauso waren. Das ist damit gemeint, das ist greifbar. Das ist ein Mensch, den ich ernst nehmen kann. Es ist nichts Einstudiertes gewesen. Das war uns auch sehr wichtig. Ich habe ja auch nichts einstudiert.

Beim Videodreh: Schrille Szenen auf dem Gelände von antonius

Beim Videodreh: Schrille Szenen auf dem Gelände von antonius

 

 

SeitenWechsel: Bist du anders?

Tabea Grün: Jeder ist anders.

SeitenWechsel: Warum?

Tabea Grün: Jeder sieht schon mal anders aus. Jeder hat andere Gene. Jeder hat andere Interessen. Jeder Mensch hat andere Ziele. Es gibt keine zwei, die identisch sind. Nicht mal eineiige Zwillinge sind komplett identisch.

SeitenWechsel: Wie sollte man dann mit seinem Anderssein umgehen?

Tabea Grün: Man sollte sich treu bleiben. Es gibt immer Menschen, die zu einem stehen. Man muss nur die Richtigen finden.

SeitenWechsel: Ist anders zu sein eine Entscheidung, die man für sich selbst treffen kann? „Ich möchte gerne anders sein, ich mache das jetzt!“

Tabea Grün: Ich denke schon, ja. Man wächst ja auf und lernt, sich anzupassen. In der Schule fängt das schon an. Da werden Kinder miteinander verglichen. Der schreibt eine Drei, der eine Eins. Oder schon im Kindergarten: Das Bild ist schöner als das. Das wird aufgehängt, das nicht. Und natürlich ist das irgendwann eine Entscheidung zu sagen: „Ich war in der Schule vielleicht schlechter als die und die, ich bin anders. Ich geh in den Bereich, der geht in den Bereich. Ich studiere nicht, ich mach nur eine Ausbildung. Ist mir egal, was andere sagen.“

SeitenWechsel: Also ist die eigentliche Botschaft „Sei du selbst“?

Tabea Grün: Ja, so fängt das Lied ja an. Und zum Thema „Sei du selbst“ habe ich auch noch ein Lied geschrieben. Das Lied heißt „Deine Rolle“ und es geht um Menschen, die nur eine Rolle spielen und nicht sie selbst sind. Das ist also noch mal spezifischer als „Anders“.

SeitenWechsel: Hast du Sorge, dass die Leute irgendwann sagen: „Ach, das ist doch die Sängerin, die immer die schweren Themen macht.“

Tabea Grün: Nein, das sind ja nicht nur schwere Themen. Das nächste ist schon leichter. Es heißt „Hau ab“ und es geht um einen oberflächlichen Typen. Das ist dann eher spaßig gemeint, frech und so.

SeitenWechsel: Und falls Journalisten versuchen würden, dich in eine Schublade zu stecken, wie würdest du dagegen vorgehen?

Tabea Grün: Ehrlich gesagt glaub‘ ich, will ich gar nicht dagegen vorgehen, denn im gewissen Maß ist es ja gut, im Gespräch zu sein. Das ist leider so als Künstler: Wenn man nicht im Gespräch ist, hört einen keiner. Ganz wichtig ist, dass ich selber mit mir ausgeglichen bin. Dann können die schreiben, was die wollen, dann berührt mich das nicht mehr. Jeder intelligente Mensch weiß doch, dass nur die Hälfte von dem, was in der Zeitung steht, stimmt.

SeitenWechsel: Du hast eine Ausbildung in Hamburg gemacht, warst da insgesamt fünf Jahre. Dann bist du nach Fulda zurückgekommen. Fulda ist jetzt nicht das Herz der Deutschen Musikindustrie. Wieso diese Entscheidung?

Tabea Grün: Es hatte erst mal einen finanziellen Hintergrund. Ich war frisch mit der Ausbildung fertig. Außerdem habe ich meine Familie irgendwann sehr vermisst. Und ich hatte hier ohnehin meine Jobs, habe bei Spotlight ständig Angebote bekommen. Und bin immer vom Hamburg hierher gependelt in meine eigentliche Heimat, um zu arbeiten. Da hab ich mir irgendwann gedacht: „Okay, warum kommst du nicht wieder hierher? Da könnte man eher nach Hamburg pendeln.“ Deswegen war die Entscheidung für mich klar.

SeitenWechsel: Aber braucht man als Künstler nicht auch den Glanz, den der Name einer bekannten Stadt auf einen abwirft?

Tabea Grün: Überhaupt nicht! Ich bin gerade stolz, dass ich aus einer kleinen Stadt komme und Großes bewege. Und Fulda ist ja wirklich in den letzten Jahren extrem beliebt geworden. Es entwickelt sich immer mehr zu einer Studentenstadt und ist auch von der Kultur her viel ansprechender geworden. In Fulda gibt es tolle Künstler, die haben es verdient, wahrgenommen zu werden. Ich find es besonders wichtig, dass gerade in kleineren Städten die Möglichkeit besteht, Leute zu fördern.

SeitenWechsel: Aber du möchtest auch über die Grenzen von Fulda hinaus wahrgenommen werden?

Tabea Grün: In den nächsten zwei Jahren ist nur meine eigene Musik geplant und ich möchte auch wirklich nach oben. Ich möchte, dass mich jeder kennt in Deutschland. Das ist mein Ziel! Wenn ich das geschafft habe, kann ich mit meinen Songs wirklich jeden erreichen. Und vielleicht tut sich ein bisschen was in Deutschland. Vielleicht haben wir dann mehr Zusammenhalt.

SeitenWechsel: Also glaubst du an einen langfristigen Erfolg mit dieser Art von Liedern.

Tabea Grün: Ich denke, dass es einfach mal an der Zeit ist, dass jemand was anderes macht. Man hört sich schon um und streckt die Fühler aus und schaut auch, dass man eine breite Masse anspricht. Wir haben Gespräche geführt und mit Leuten geredet, sie gefragt, was sie anspricht, was sie gerade gut finden. Musikalisch muss man halt gucken, dass man sich anpasst und nicht zu anders ist.

Die Fragen stellten Christoph Helfenbein, Bastian Ludwig, Arnulf Müller und Andreas Sauer.

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