„Ich will überhaupt nichts Gutes tun“
Erfrischend unkorrekt, betont flapsig, doch mit klarer Linie: Wenn Guildo Horn über soziale Themen spricht, dann tut das gut. Keine Phrasen, keine Blasen. Barrieren überwindet offenbar derjenige leichter, der bei sich selbst bleiben kann. Der Schlagerstar und studierte Pädagoge im SeitenWechsel-Interview:
Andreas Sauer, Erika Mechler und Huildo Horn
Guildo Horn: Seid ihr ein Paar?
Andreas Sauer: Wir sind kein Paar. Aber wir waren schon mal ein Fastnachtspaar!
Echt? Wie großartig! Sorry, wenn ich so frage!
Erika Mechler: Ist doch nicht schlimm.
Sauer: Das hier ist unser Magazin. Das machen wir schon seit Jahren. Da machen wir immer mal ein Interview mit so berühmten Leuten.
Also, ich bin berüchtigt, nicht berühmt!
Sauer: Aber du bist doch sehr berühmt geworden durch das Lied „Piep, piep, piep“! Das war doch bestimmt der absolute Brecher!
Das war der absolute Brecher. Ich war vorher schon acht Jahre unterwegs mit der Band, hatte auch schon Lieder in den Charts und habe mich ziemlich bekannt gefühlt. Aber der Grand Prix und „Piep, piep, piep“ – das war was anderes. Ich konnte nicht mehr auf die Straße gehen. Das war schon übel.
Sauer: Hast du dich dann zurückgezogen?
Für mich gibt es immer zwei Welten: Das eine ist die Arbeit, das andere mein Privatleben. Für mich ist total wichtig, das zu trennen. In dieser Zeit wollte aber jeder wissen: Was ist da privat bei dem los? An so etwas habe ich überhaupt kein Interesse. Da will ich lieber ein normaler Familienvater sein.
Sauer: War das dein erster Song, den du geschrieben hast?
Ich hab „Guildo hat Euch lieb“ gar nicht geschrieben, den hat Stefan Raab geschrieben und mir für den Grand Prix angeboten.
Sauer: du hast das dann praktisch auf der Bühne gut rübergebracht.
Mechler: Und wie lange hast du für das Lied gebraucht?
Ein neuer Song macht eine Menge Arbeit. Da steht erst mal die Komposition und du überlegst dir, wie die Instrumente eingesetzt werden. Dann fängst du an, das zu singen, und weil es noch nicht ganz passt, feilst du noch ein bisschen. An einem Titel arbeitet man bestimmt ein, zwei Wochen. Wenn alle Spuren im Studio eingespielt sind, wird die Lautstärke abgemischt, hier kommt ein Hall dazu, da ein Echo. Solche Sachen.
Mechler: Wie alt warst du, als du angefangen hast zu singen?
Ich habe schon mit vier Jahren in einem Trierer Kammerchor gesungen. Mit neun habe ich angefangen, Gitarre zu spielen, mit 13 Schlagzeug. Ich habe immer Musik gemacht. Bis 1994 immer am Schlagzeug. Seitdem bin ich Sänger und liebe es.
Sauer: Würdest du auch Menschen mit Behinderungen bei deinen Konzerten mitmachen lassen?
Klar, wenn es die passende Person ist! Behinderung – das ist eine Frage der Relation. Ich bin auch nicht ganz unbehindert. Wenn es normal ist, volles Haar zu haben – ich hab das nicht. Ich höre auch relativ schlecht. Das kommt vom Musikmachen. Ich mach da nicht so den großen Unterschied. Es muss aber eine Person sein, die in meine Truppe passt. Ich finde nämlich, dass man behinderten Menschen auch etwas abverlangen muss. Willst du mit auf Tour gehen?
Sauer: Ich bin Tänzer im Hintergrund neuerdings.
Guck mal, ein Tänzer, wie geil!
Mechler: Also ich finde dich irgendwie ...
... scheiße ?
Mechler: Nein, nein, das wollte ich jetzt nicht sagen!
Weißt du, ich lache gern und liebe es, Blech zu reden. Nimm mich einfach nicht immer ernst.
Mechler: Nein, also ich fand dich vorher auf der Bühne – da hast du die Leute gleich so ...
Ich finde es am schönsten, wenn man keine Angst hat vor den Menschen, die vor einem sitzen. Ich glaube, das ist eine Stärke, die ich habe, so wie jeder irgendeine Stärke hat. Früher hatte ich mal eine Firma für Glückwunschtelegramme. „Teleboy“ hieß das, „Ständchen aller Art“. Wenn einer Geburtstag hatte, konntest du uns bestellen. Wir sind dann zu zweit dort hin und haben ein Lied gesungen – manchmal nur vor ein oder zwei Personen. Das war eine gute Schule. Wenn ich heute auf die Bühne gehe, denke ich nicht: „Oh, da sitzen 300 Menschen!“ Sondern: „Da sitzt 300 mal ein Mensch!“ Das ist für mich wichtig. Vor einem Menschen habe ich nämlich überhaupt keine Angst. Das ist das Schöne! Aber wenn einer im Publikum ständig stört, krieg ich das auch ganz viel mit, und das kann ziemlich nerven.
Sauer: Warum setzt du dich für Menschen mit Behinderung ein?
Harr! Wenn man das so sagt: „Du setzt dich für Menschen mit Behinderung ein“, das geht mir immer auf den Sack! Nein, Andreas, da musst du jetzt nicht erschrecken – Du weißt doch, wie ich das meine. Ich krieg die Frage ja oft gestellt ...
Ja die schoenen Beine
Sauer: Okay ...
Für mich trifft die Frage einfach nicht. Ich finde, jeder Mensch setzt sich immer für sich selbst ein. Viele sagen: „Ich will Gutes tun!“ Ich will überhaupt nichts Gutes tun. Ich bin einfach nur gerne mit Leuten zusammen, die ich gut finde. Es ist toll, wenn Menschen, die in der Gesellschaft als „anders“ gelten, irgendwie eigenständig sind und Freude am Leben haben. Guck mal: Wir sitzen jetzt hier zusammen, ihr macht ’ne Zeitung, ihr habt Freude daran, das find’ ich geil! Das macht mich glücklich, das zu sehen. Also: Ich mach das für mich. Und wenn ich es nach außen zeige, dann ist das für Leute, die das nicht kennen. Die Gesellschaft kann von Menschen mit Behinderung unheimlich viel lernen. Ich will zeigen: Das tut nicht weh, das macht Spaß, ihr braucht keine Berührungsängste zu haben. Viele Menschen haben Angst davor, weil sie nicht wissen, wie sie sich benehmen sollen. Ich beurteile einen Menschen nicht danach, bis wie viel er zählen kann, sondern ob er mir irgendwie gut tut. Ich muss auch nicht jeden Menschen mit Behinderung nett finden.
Sauer: Du hast im Fernsehen mal eine Talkshow mit behinderten Menschen gemacht. Wie war das so?
Die Sendung habe ich zusammen mit Frank Elstner erdacht. Beim Umgang mit Behinderten hat jeder Angst, was Falsches zu sagen. Alles muss korrekt sein. Beim SWR haben wir eine Stunde aufgezeichnet und davon eine halbe Stunde gesendet. Beim Schnitt war die Frage: „Was nimmt man denn jetzt?“ Da gab es oft Streit. Die erste Sendung erschien nach der Fußball-WM. Ich frage: „Wer hat denn WM geguckt?“ Da sagt Klaus, einer meiner Gäste: „Ich ganz, aber nur ein bisschen!“ Da frag ich nach: „Wer ist denn Weltmeister geworden?“ Da sagt er: „Ich nehme mal an, Duisburg hat das Rennen gemacht.“ Grandios – das musst du drin lassen! Der Redakteur wollte das aber nicht zeigen, weil dieser Mensch dann dumm dasteht. Da hab ich gesagt: „Das ist doch ein mega Joke! Mein Gott, er weiß es halt nicht, aber das ist doch nicht schlimm!“ Ich weiß auch so vieles nicht.
Einmal erzählte ein Studiogast – der hatte autistische Züge –, dass sie ihm früher Elektroschocks gegeben haben. Das war grauenhaft, wie sie ihn gequält hatten. Da sagte der Redakteur: „Das müssen wir drin haben!“ Da habe ich gesagt: „Nein, ihr versteht nicht, was ich hier will. Ich will eine Unterhaltungssendung machen, wo gelacht wird, wo wir uns über Liebe unterhalten, über Fußball – aber nicht über Behinderung!“ Über Behinderung redet doch jeder. Ich interessiere mich nicht für die Unterschiede, sondern für die Gemeinsamkeiten: Wofür brennen wir, wie lieben wir, wo treffen wir uns?
Sauer: Wie kamst du dazu, so verrückte Kleider anzuziehen?
Guildo Horn ist halt etwas anderes, der spielt in den 70er-Jahren. Was bist du denn für ein Baujahr?
Sauer: ’86.
nach dem Interview beim Konzert
Ach Gott, da bist du ja so jung. In den 70er Jahren gab es diese Mode, deswegen hat Guildo Horn das an. Ich find es schön, nicht in Alltagskleidern auf die Bühne zu gehen. Das ist wie ein Theaterstück. Du musst die Leute in deine Welt reinziehen, und alles, was hilft, hilft: Wie ich mich bewege, wie ich mich kleide. Live mit der Band spielen wir vor einer großen bunten Tapete aus den 70ern.
Sauer: Ha, eklig! Ich mag das nicht so richtig gern.
Du bist ja auch ein 86er. Auf was stehst du denn? Schlager oder Rock oder Hip-Hop?
Sauer: Hip-Hop eigentlich gar nicht. Eher deutsche Schlager.
Hörst du auch Helene Fischer?
Sauer: Wieso?
Weil du jetzt lachst ...
Sauer: Ich mag sie schon, ja, aber ...
Horn: ... wegen ihrem Körper, ne?
Sauer: Ja. Aber sie ist so ein bisschen oben drauf mit ihren Songs. Da hast du mehr den ruhigen Charakter als die Helene.
Mechler: Ich fand es auch gut, wie du beim Singen das mit den Beinen gemacht hast.
Ach, Erika, wenn ich Musik mache, kann ich einfach nicht stillhalten.
Arnulf Müller: Wann vergeht Guildo Horn das Lachen?
Generell mag ich alle intoleranten Sachen nicht: Das kann ich überhaupt nicht ab – weder nach rechts noch nach links. Überhaupt dieses Rechts-Links – ich mag das nicht. Wir leben in einer Gemeinschaft, und wenn sich einer nicht an gewisse Regeln hält, vergeht mir das Lachen. Da bin ich nur betroffen. Und was mich persönlich betrifft: Mir vergeht das Lachen, wenn einer zu bestimmend ist. Ich mag nicht gesagt bekommen, wie ich mich zu verhalten habe. Normal ist, wenn jemand sagt: „Kann ich bitte mal ein Bild mit Ihnen machen?“ Da sag ich: „Klar, super, machen wir!“ Immer. Aber wenn einer kommt: „Eh, komm, wir machen jetzt mal.“ und zieht mich in der Gegend rum – das kann ich nicht ab. Aber ansonsten ... Ich glaube, wenn ich am Sterbebett liege, werde ich auch nicht unbedingt lachen. Aber wer weiß das schon? Vielleicht ja doch.
Müller: Da sind wir gleich bei der nächsten Frage: Ist Guildo Horn religiös?
Da kann ich ja nicht als Guildo Horn, da muss ich als „Ich“ antworten.
Müller: Also als Horst Köhler.
Genau. Ich bin Atheist und Ethiker. Ich bin ein Humanist, aber ich bin absolut unreligiös. Für mich ist Religion immer ein Versuch der Erklärung von etwas, das nicht erklärbar ist.
Sauer: Warum heißt du mit richtigem Namen Horst Köhler?
Da musst du meine Eltern fragen. Guildo Horn habe ich mir mal erdacht. Du kannst dir doch auch was ausdenken und dann als Tänzer arbeiten. Das hat was für sich, wenn du eine zweite Figur hast. Da gehst du als Schauspieler hin, ziehst dir das an und ziehst es auch wieder aus. Für mich waren diese Rockhelden, die da auf der Bühne das Gute verkünden, Bono oder so – also, ich könnte das nicht. Wir Mensch sind dafür zu klein! Da muss schon ein Horn ran!
Müller: Du bist kein Missionar ...
Überhaupt nicht. Ich bin aus Trier! Ich weiß, dass ich nichts weiß! Deswegen ist für mich auch die Einteilung in nichtbehindert und behindert blödsinnig. An was willst du so was messen? Ist doch Schwachsinn. Jeder lebt sein Leben, und wenn er glücklich ist, ist es schön. Und man lebt sein Leben am besten so, dass man gut miteinander auskommt und sich gegenseitig hilft. Das ist meine Religion.
Müller: Du hast mal gesagt: Dich fasziniert, dass es Menschen gibt, die so ganz anders auf unserem Planeten stehen.
Bildung heißt für mich: Ich lebe, und an das Leben gehe ich irgendwie ran. Und jetzt kommst du, und siehst die Sachen irgendwie anders. Dann komme ich an einen Punkt und sage: „Oh, das find ich interessant, diese eine Facette, die du da hast. Die Art, das zu betrachten, ist vielleicht besser als die Art, wie ich da durch die Linse gucke.“ Dann baue ich diesen Punkt in meine Perspektive ein – da bin ich uneitel. Man lernt von jedem. Ich habe so viel tolle Leute unter den vermeintlich behinderten Menschen kennengelernt, wo ich denke: „Meine Herren, danke!“
Mechler: Also das war einsame Spitze. Du hast die Leute herangerissen – und auch das mit den Bewegungen, mit den Beinen – da geht es dir anders im Herzen, da geht es dir richtig gut. Und das mit dem „Tür öffnen“, das fand ich auch gut!
Ach, das Lied „Hier ist ein Mensch“?
Mechler: Ja! Dass man immer die Türe offen halten soll!
Na ja, immer auch nicht. Wenn nachts um vier einer klingelt, dann ...
Mechler: ... Na, dann nicht!! Um Gottes willen!
Obwohl, wenn er einen richtigen Grund hat.
Mechler: Dann danke für das Interview! Schön, dass du da warst!
Ja, gleichfalls!
Mechler: Und dass du so schön gesungen hast ...
... mit meinen Beinen ...
Mechler: ... Ja, die schönen Beine!
Erika, Erika!
Erika: Also du bist schon sehr ... Ich sag das so, wie es ist!