10 Jahre miteinander anders denken

Vorneweg

Liebe Leser des SeitenWechsel-Magazins,

die Enttäuschung gleich vorweggenommen: Es erwartet Sie an dieser Stelle unseres SeitenWechsel- Magazins keines jener ebenso genial wie locker verfassten Vorworte von Hanno Henkel. Dies hat einen Grund. Denn nach zehn Jahren gilt es den Initiatoren und Schaffern des Magazins, Danke zu sagen und einen Umbruch anzukündigen. Dazu aber erst später mehr – um Sie noch ein wenig auf die Folter zu spannen. Nach 34 Ausgaben, 345 Beiträgen und 72 Redaktionssitzungen hat das „Magazin der Machbarschaft“ Spuren hinterlassen – bei Ihnen als Lesern, in Fulda und darüber hinaus.

Sebastian Bönisch / Geschäftsführer der antonius : gemeinsam leben gGmbH

Die ursprüngliche Idee war simpel und genial zugleich: Inklusion und Behinderung journalistisch anzugehen, ohne direkt über Inklusion und Behinderung zu schreiben. Behinderung nicht mit Mitleid zu begegnen, sondern auf sympathische Art vorzustellen; geleitet von der Vision einer offenen Gesellschaft. Und da Ausgrenzung in den Köpfen beginnt, hat das Magazin immer wieder einen SeitenWechsel gewagt, um miteinander anders über Menschen und Themen zu berichten oder – wie die Autorin Hadija Haruna-Oelker es ausdrückte –, „die Schönheit der Differenz“ zu betonen.

Wie schauen wir also auf Menschen mit Behinderung? Vor zehn Jahren blickten wir auf das Nichtkönnen des Einzelnen, auf sein Handicap. Die Menschen mit Behinderung brachten wir isoliert in Sonderwelten unter wie Heime oder Werkstätten. Heute sind Menschen mit Behinderung mitten in der Gesellschaft angekommen – wir leben, lernen und arbeiten miteinander. Die Antonius von Padua Schule ist inklusive Grundschule und Förderschule zugleich. Im Unternehmernetzwerk Perspektiva engagieren sich über 100 Unternehmer seit über 20 Jahren mit Erfolg für die Öffnung des Arbeitsmarktes für jeden. Und 111 gelungene Beispiele zeichnen Fulda als inklusivste Stadt Deutschlands aus. Heutzutage lassen sich Kommunen von der Inklusionsberatung von antonius begleiten, um weitere Inklusionsnetzwerke aufzubauen. Das SeitenWechsel-Magazin hat dazu wesentliche Impulse gegeben. Seine Bekanntheit reicht weit über Fuldas Grenzen hinaus und es wurde zu einer eigenen Marke.

Inklusion verändert Journalismus. So wagte das Magazin einen weiteren Seitenwechsel, indem auch das Berichten und redaktionelle Erarbeiten des Hefts immer in einem inklusiven Redaktionsteam erfolgte. Deutlich wird das vor allem in der Rubrik „Wir zeigen‘s Ihnen“. Hier bestimmen die Redaktionsmitglieder mit Behinderung die Themen und das Ziel ihrer Recherche-Ausflüge und stellen die Fragen.

Persönlicher Dank für all das gilt unseren Freunden und Wegbegleitern Hanno Henkel und Dr. Arnulf Müller. Begründet in ihrer gemeinsamen Geschichte bilden sie bis heute ein Dreamteam des Vordenkens. So teilten sie sich nicht nur die Schulzeit im Domgymnasium, sondern liefen auch gemeinsam zu Fuß durch Lappland. Womit eins klar wird – sie sind weder bequem noch angepasst.

Ich selber durfte stundenlange Redaktionssitzungen miterleben. Geprägt von Humor und Tiefsinn zugleich, drifteten die beiden gerne mal in philosophische Exkurse ab und schüttelten die eigene Weltanschauung damit ordentlich durch. Den beiden Visionären eine Bühne zu geben, ist folglich Wagnis und große Bereicherung zugleich. Als Pioniere der Inklusion und visionäre Denker gingen sie mit dem Magazin einen unkonventionellen Weg, der auch nach zehn Jahren nicht an Innovationskraft und Zeitgeist eingebüßt hat.


Lieber Hanno, lieber Arnulf, ich danke euch im Namen der Bürgerstiftung antonius und auch ganz persönlich für euer Engagement und den wertvollen Anstoß, anders zu denken. Die größte Errungenschaft des Magazins? Themen und Menschen aus unterschiedlichster Perspektive zu betrachten. Über Heimat, den Humor, die Kunst des Alterns, die Langsamkeit oder die Kehrseiten des Überflusses nachzudenken. Das Seiten- Wechsel-Magazin erweitert die Grenzen des Denk- und Machbaren. Es richtet den Finger auf die Barrieren in der Gesellschaft. Es thematisiert Inklusion, ohne den Begriff zu verwenden. Nicht konventionell, sondern eben anders. Sollten wir nicht alle ein bisschen anders, ein bisschen SeitenWechsel sein?

Versuchen Sie es – mit dieser Jubiläumsausgabe. Erlauben Sie Ihren Gedanken, neue Wege zu gehen, zum Beispiel mit dem Künstler Gerhard Richter, der über das Aufhören schreibt, wenn ein Bild fertiggestellt ist. Anna-Pia Kerber wagt ein Making-of zu zehn Jahren SeitenWechsel-Magazin. Und zu einem weiteren Jubiläum – 120 Jahre Bürgerstiftung antonius : gemeinsam Mensch – interviewt Arnulf Müller den ehrenamtlichen Stiftungsratsvorsitzenden Dr. Alois Rhiel.

Und auch wir bestreiten neue Wege. Denn Henkel und Müller sagen Adieu zum Magazin – aber ihre Art zu denken bleibt. Der SeitenWechsel wird künftig als Podcast zur Verfügung stehen, dazu konnten wir die HR-Journalistin Stephanie Mosler gewinnen. Auch dazu mehr in diesem Heft.

Schauen Sie, nein, hören Sie doch mal rein:

Ihr Sebastian Bönisch

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