„Im Grunde kann das jedem passieren“

Es gibt Berufsgruppen, die sind überall gerngesehen. Ärzte etwa. Oder Piloten. Dann gibt es Berufe, die die Meinungen teilen. Anwälte oder Bankiers zum Beispiel.

Und es gibt Berufe, die zwar gerngesehen, aber oft nicht ernstgenommen werden. Wie Entertainer oder Musiker. Und dann gibt es da die Gerichtsvollzieher. Auch demjenigen, der noch nie mit einem Gerichtsvollzieher zu tun hatte, jagt der Titel ein mulmiges Gefühl ein.

Was steckt eigentlich dahinter? Und vor allem: wer? Antwort: Ein Mensch wie jeder andere. Obendrein ein ziemlich sympathischer. „Wir machen auch nur unseren Job. Das wissen die Leute und zeigen sich einsichtig. Und wer jedem Menschen mit Respekt begegnet, bekommt ihn auch in den meisten Fällen zurück.“ Die junge Frau, die wir für das Interview gewinnen konnten, möchte lieber nicht namentlich genannt werden. „Ich schäme mich nicht für meinen Beruf. Aber irgendwann möchte ich im eigenen Landkreis arbeiten, und da ist es besser, wenn man Beruf und Privates trennt.“ Genau das könne schwierig werden, wenn man in die Kneipe gehe und plötzlich mit den Schuldnern am Tisch sitze. Außerdem könne es passieren, dass gutmeinende Schuldner abends an der Tür klingeln, um Geld abzugeben.

Sie selbst sei bisher mit allen gut ausgekommen. Dass sie als strenge Autoritätsperson auftreten kann, würde man auf den ersten Blick gar nicht glauben: Sie ist eine zierliche, attraktive junge Frau mit blondem Haar und einem sympathischen Lächeln. Ob das dem Job im Wege steht? „Eigentlich nicht. Anfangs bin ich mit meinem Ausbilder zu den Einsätzen gefahren. Er ist zwei Meter groß und kann mit seiner Statur natürlich mehr Eindruck machen. Aber die Leute haben auch so Respekt.“ Brenzlig werde es nur, wenn Drogen oder Alkohol im Spiel seien. Dann habe man ein mulmiges Gefühl. „In manchen Fällen betrete ich nur mit Polizeibegleitung eine Wohnung. Bei einer Zwangsräumung brauchten wir einmal einen Schlosser, weil der Bewohner sich hinter der Tür verschanzt hatte.“

Aber auch das Gegenteil könne eintreten: Wenn Menschen sich freuten, die Gerichtsvollzieherin zu sehen. „Man baut in gewisser Weise ein Verhältnis zu den Dauerschuldnern auf. Ein Mann fand es richtig schade, als ich in Mutterschutz ging, und wünschte mir alles Gute.“ Dieser Debitor sei aus der Schuldenfalle einfach nicht mehr heraus gekommen. Er habe allein in seiner Wohnung gelebt und sei ziemlich einsam gewesen. „Solche Fälle sind traurig. Aber das muss man ausblenden können, sonst zerbricht man daran.“

Viele Menschen geraten durch Krankheiten, Unfälle oder Scheidung in diese Situation. „Im Grunde kann das jedem passieren“, ist sich die Gerichtsvollzieherin sicher. Wer krank wird, nicht mehr arbeiten kann und laufende Kosten hat, befindet sich schnell in der Schuldenfalle. Andererseits gibt es auch Fälle, in denen die Betroffenen selbst die Weichen für den Abstieg stellen. „Was ich besonders schlimm finde, sind Eltern, die auf Kosten ihrer Kinder Schulden machen. Sobald man ihnen keinen Kredit mehr gibt, kaufen sie im Namen ihrer fünf- oder zehnjährigen Kinder weiterhin ein. Deren Schulden bleiben bestehen, denn ein vollstreckbarer Titel bleibt dreißig Jahre lang gültig: Sobald die Kinder volljährig sind, werden sie zur Rechenschaft gezogen.“

Die Gerichtsvollzieherin kenne manchmal die gesamte Familie eines Schuldners. „Natürlich macht mich das betroffen. Der Beruf ist sicher nicht für jeden etwas“, räumt die junge Frau ein. „Aber es ist sehr abwechslungsreich. Man macht viele Erfahrungen und bekommt eine gute Menschenkenntnis.“ Und natürlich gebe es auch hier Erfolgserlebnisse. „Schön ist es, wenn Forderungen bezahlt werden können: Der Gläubiger bekommt sein Geld und der Schuldner fühlt sich entlastet.“ Eine Rechtsberatung dürfen Gerichtsvollzieher allerdings nicht machen; sie dürfen allenfalls den Rat geben, sich bei einer professionellen Schuldnerberatung Hilfe zu holen. Neben den Hausbesuchen hat die Gerichtsvollzieherin eine Menge Büro- und Verwaltungsarbeit zu erledigen. So muss sie alle Aufträge, die Gläubiger an das Gericht schicken, durchsehen und einordnen. Die Deutsche Telekom setzt z. B. eine Rückzahlung fest und bestimmt, ob es sich um eine Ratenzahlung oder eine einmalige Zahlung handelt. Im Fall der Telekom gibt es unzählige solcher Anfragen. Eine Großkanzlei kümmert sich darum, und wendet sich an die Gerichtsvollzieherin. Sobald die die Sachlage geklärt hat, fährt sie unangekündigt zu den Schuldnern. Das kann auch um sieben Uhr morgens passieren. „Natürlich ist darüber niemand erfreut. Einmal wurde ich wüst beschimpft. Aber am Nachmittag rief mich der Schuldner im Büro an und entschuldigte sich nachdrücklich für sein Verhalten.“ Wenn sie bei ihrem ersten Besuch niemanden erreicht, hinterlässt sie einen Brief, mit dem sie ihren nächsten Besuch ankündigt.

Des Weiteren kümmert sie sich um Verpfändungen und leitet Versteigerungen. Dies kommt allerdings selten vor, weil die gepfändeten Gegenstände kaum die Kosten einer Versteigerung aufwerten. In ihren Aufgabenbereich fällt dabei nur das „bewegliche Vermögen“ – um Wohnhaus und Immobilien kümmere sich das Amtsgericht. Zum beweglichen Vermögen zählen Einrichtungsgegenstände und elektronische Geräte. Trotzdem gibt es Dinge, die nicht gepfändet werden dürfen. Jedem deutschen Bundesbürger steht z. B. ein Fernsehgerät zu, damit er am täglichen Leben teilhaben und Nachrichten verfolgen kann. Wenn sich der Schuldner allerdings ein teures, modernes Gerät für 7.000 Euro gekauft hat, kann dieses gegen einen Fernseher im Wert von 300 Euro ersetzt werden. Auch Smartphones dürfen mitunter gepfändet werden. Allerdings sei es ihr noch nie passiert, dass sie dem Schuldner etwas habe nehmen müssen, was für ihn einen großen ideellen oder sentimentalen Wert gehabt habe – etwa ein Erbstück der Großeltern.

Viele Situationen muss die Gerichtsvollzieherin nach eigenem Ermessen beurteilen. Sie bedauere, dass man nicht mehr so viele Freiheiten habe wie früher. „Wenn mich ein Schuldner anruft und darum bittet, die Rate um eine Woche zu verschieben, weil eine Reparaturrechnung dazwischen kam, würde ich dem gerne zustimmen. Dann bekommt die Firma das Geld eben etwas später. Aber mittlerweile muss das Verfahren sofort fortgeführt werden. Ich finde das nicht gut. Die Kosten dafür und die Zinsen übersteigen mitunter den Wert der Raten – damit ist niemandem geholfen.“ Wenn das Gesetz mehr Freiräume zulassen würde, wäre Gläubigern und Schuldnern geholfen.

Wer wie sie jeden Tag die verschiedensten Schicksale miterlebt, wird auch selbst vorsichtiger. „Es ist nicht so, als sei ich gnadenlos überversichert“, erklärt sie mit einem Lachen. „Aber ich habe mir sehr genau überlegt, wie ich den Hausbau angehe. Ich würde nie blauäugig Kredit aufnehmen.“ Vor allem Jugendliche ließen sich sehr schnell von Angeboten blenden, für die sie am Ende nicht aufkommen könnten. „Durch das Internet wird es einem sehr leicht gemacht. Und durch Kreditkarten. Mittlerweile kann man sogar Urlaube auf Pump kaufen. Ich persönlich käme nie auf so eine Idee! Entweder habe ich das Geld für einen Urlaub, oder ich muss es eben lassen.“ Sie glaubt, dass sich mit den Generationen auch die Mentalität verändert hat. „Rentner sind vorsichtiger. Und sparsamer. Viele Jugendliche dagegen sind ziemlich schmerzfrei.“

Und noch etwas hat sich verändert: Den berühmten Kuckuck auf dem Pfandsiegel gibt es schon lange nicht mehr. Der Vogel – in Wahrheit der Wappenadler, den man aus Spott über den Bürokratieaufwand Kuckuck nannte – ist einer Marke gewichen, auf der schlicht „Pfandsiegel“ steht. Dass die Pfandmarken aber nur noch selten zum Einsatz kommen, wird immer dann deutlich, wenn die junge Gerichtsvollzieherin eine Pfändung vornehmen will und der Kleber auf der Marke eingetrocknet ist.

von Anna-Pia Kerber

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