Inklusion mit der Suppenkelle

Teller klappern, Besteck klirrt, Schüler schnattern. Pausenlos wird die Eingangstür aufgerissen, immer mehr Menschen strömen in den Saal und eilen an die Verkaufstheke – die Pause ist kurz.

Nur das Klingeln der Kasse übertönt das Quietschen der Tisch- und Stuhlbeine. Mittendrin: Helene Janisch und Sabrina Eins.

Den beiden fällt die Geräuschkulisse nicht mehr auf. Sobald die Pausenglocke läutet, dreht sich alles darum, den Ansturm der hungrigen Schüler und Lehrer zu bewältigen. Und das ist kein Pappenstiel.

In der Marienschulen-Mensa sorgen die beiden Frauen dafür, dass alle Besucher rechtzeitig vor der nächsten Schulstunde mit Essen und Trinken oder auch mit fehlenden Schreibheften versorgt sind. „Für Hektik keine Zeit!“, weiß Sabrina und kämpft sich durch die Theke. Die Arbeit nimmt kein Ende, auch dann nicht, wenn der Unterricht schon wieder begonnen und die Cafeteria sich geleert hat. Gemeinsam mit Mensa-Leiterin Manuela Barisch heißt es jetzt: Geschirr einsammeln, abwaschen, Salate vorbereiten, Brezeln in den Ofen schieben. Bis der Gong zur Mittagspause läutet. Dann geht das Durcheinander von vorne los und fordert die volle Konzentration. Da spielt es keine Rolle, wer du bist, sondern nur, was du tust. Und anpacken, das können Helene Janisch und Sabrina Eins – auch wenn es hin und wieder etwas länger dauert. 

Denn beide haben ein „Handicap“, wie es so schön heißt. In der Praxis bedeutet das, sie können nicht ganz so schnell rechnen oder schreiben wie andere. Hin und wieder fällt es ihnen schwer, mitzukommen. „Manchmal verstehe ich nicht gleich, was eine Schülerin bestellen will, dann muss ich nachfragen“, sagt Frau Eins. Dennoch möchte sie hinter der Theke bleiben. Sich in der Küche zu verstecken, ist für sie keine Lösung. Sie will sich den Aufgaben stellen, welche die Arbeit in einer Mensa mit sich bringt. „Früher hat mir keiner was zugetraut. Aber hier in der Marienschule muss ich vieles alleine machen, und das will ich auch.“ Die Preise für die Süßigkeiten kennt sie fast auswendig. Wenn sie einmal nicht weiterweiß, helfen ihr mittlerweile auch die Schülerinnen. „Die sind überhaupt nicht ungeduldig“, findet auch Helene Janisch. Besonders sie war in ihrer Anfangszeit noch recht scheu. Doch im Trubel taute sie schnell auf und fühlt sich nun in der Schulmensa „so richtig wohl“. Denn hier, wo Schüler und Lehrer für einen kurzen Moment das Lernen und Lehren vergessen, findet echte Begegnung statt: ungekünstelt und unkompliziert. Menschen, die mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen in die Welt hineingeboren wurden, eigentlich aber gar nicht so verschieden sind, treffen aufeinander. Mit Helene Janisch und Sabrina Eins ist hier vor einigen Jahren frischer Wind eingezogen. Und etwas, das für manche nur schwer greifbar und sehr kompliziert scheint: Inklusion.

Einem Job nachgehen, der Spaß macht und einen fordert, das wollen alle Menschen. Nur wer gefordert wird, erkennt, zu welchen Leistungen er in der Lage ist. Nur so wächst Selbstbewusstsein. Gerade weil es kein einfacher Job ist und die beiden manchmal an ihre Grenze gelangen, haben sie an Kraft und Sicherheit gewonnen. „Wenn ich mal krank bin, fragen am nächsten Tag alle, wo ich war und freuen sich, dass ich wieder da bin. Das tut gut“, kommentiert Sabrina Eins ihre Gefühlslage. Angst vor den „anderen“ hat sie keine – auch nicht davor, etwas falsch zu machen. Bei Helene Janisch war dies anfangs schwieriger; da traute sie sich kaum aus der Küche. Heute geht sie gerne durch den gefüllten Saal und sammelt das Geschirr ein. Und auch bei den Schülerinnen hat der alltägliche Kontakt Barrieren in den Köpfen abgebaut – ganz nebenbei. „Vorbehalte können nur verschwinden, wenn Begegnung stattfindet“, erklärt Schulleiter Dr. Oswald Post. Welcher Ort wäre da besser geeignet als eine Mensa?

Auch viele andere Schulen der Region setzen daher auf das Konzept der „inklusiven Mensa“ – z. B. die Freiherr-vom-Stein-Schule, die Rabanus-Maurus-Schule, die Richard-Müller-Schule, die Heinrich-von-Bibra-Schule oder die Bardoschule. Das heißt im Klartext: Viele tausend Menschen in Fulda leben täglich Inklusion. Sie werden vom Antoniusheim mit frischen Lebensmitteln versorgt und von Menschen mit Handicap bewirtet. Und das funktioniert. Ganz ohne Pädagogik. Über Kochtöpfe und Teller hinweg. Mit Geduld, Vertrauen und Verständnis für die Andersartigkeit eines jeden Einzelnen. Denn im Anderssein sind alle Menschen einander gleich. 

Frau Janisch schwingt die Schöpfkelle. Mehr als hundert Suppen teilt sie heute aus und balanciert sie über die Theke. Und sie hat Spaß dabei. Denn Spaß, so ihr Motto, muss die Arbeit schon machen, „sonst würde man ja nicht mehr wiederkommen“.

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