Kehrseiten des Überflusses

Wenn Lebensmittel im Abfall enden. Täglich spielt sich im Landkreis Fulda ein Skandal ab, denn große Mengen essbarer Lebensmittel landen achtlos im Abfall.

 

Lebensmittelretter in Aktion

Lebensmittelretter in Aktion: Janina Heil und Hans Schubert

 

Möchte man als Journalist Licht ins Dunkel bringen, muss man sich auf vertrauliche Gespräche einlassen. Über das Verschwenden von Lebensmitteln möchten die wenigsten Unternehmen offen sprechen. Wer das Schweigen bricht, möchte oft unerkannt bleiben. Kein Wunder, denn Lebensmittelhandel sei Krieg, sagte eine Marketingverantwortliche eines Händlers. Alles, was zähle, seien die billigsten Preise und Marktanteile. Kein Wunder also, dass sich die wenigsten in die Karten oder, besser gesagt, in die Abfalltonnen blicken lassen wollen. Wir versuchen es trotzdem.

Beim Anblick der vollen Regale drängt sich böse ausgedrückt der Verdacht auf, dass Supermärkte nur sekundär dazu dienen, uns mit Lebensmitteln zu versorgen. Primär geht es darum, Gelüste zu jeder Tageszeit zu befriedigen, die Fülle als Augenweide und das Einkaufserlebnis als solches zu genießen. Die Zeiten von Hungerwintern und Engpässen bei der Versorgung sind zum Glück lange vorbei. „Heute leben wir im Überfluss und wir müssen satte Menschen hungrig machen. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe für uns“, sagte Michael Gerling in seiner damaligen Position als Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels. Die Kehrseite: Alleine in Fulda verteilen die ehrenamtlichen Helfer der Tafel wöchentlich etwa zehn Tonnen vor dem Abfall gerettete und noch essbare Lebensmittel an Bedürftige. Kein Grund zur Entwarnung, denn das ist lediglich ein Bruchteil von dem, was in unserer Region im Müll landet.

Anstatt jedoch den Händlern den schwarzen Peter zuzuschieben, sollten wir Konsumenten uns an die eigene Nase fassen – denn wir sind die Mittäter. Ein leitender Angestellter eines Supermarkts in unserer Region fasst es so zusammen: Würde er seine Kunden befragen, ob er auch Gemüse mit Schönheitsfehlern anbieten solle, würden die meisten begeistert zustimmen. „De facto bleibt die Ware allerdings in den Regalen liegen“, sagt er resigniert. Tatsächlich muss sich unser Obst und Gemüse mitunter fragwürdigen Schönheitsidealen unterwerfen. Geschmack und wertvolle Inhaltsstoffe spielen nur die zweite Geige, wenn überhaupt. Oftmals gelangt die Ware gar nicht erst in den Handel: Aufgeplatzte Karotten, zu kleine Kartoffeln oder Zucchini mit kleinen Schadstellen werden untergepflügt oder bleiben auf den Feldern liegen. Hier offenbart sich auch ein viel diskutiertes Henne-Ei-Problem: Waren es die Konsumenten, die optisch einwandfreie Ware verlangten oder hat der Handel diese mit seinen Auswahlkriterien dazu erzogen? Hartnäckig hält sich der Mythos von den krummen Salatgurken, die aufgrund von EU-Bestimmungen nicht verkauft werden dürfen. Wir finden sie nur selten im Handel, weil zu wenige von ihnen in die genormten Transportboxen passen. Die meisten Kunden lieben gleichförmige Produkte, die das ganze Jahr über auch gleich schmecken sollen, und möchten das Ganze so natürlich wie möglich – ein unauflösbarer Widerspruch.

Verschimmeln beim Großhandel in einer Lieferung ein paar Orangen, werden sie nicht aussortiert, sondern die ganze Charge vernichtet, weil das billiger ist. Das können mehrere Hundert Kilo auf einmal sein. Aber auch Überproduktion ist ein Thema. (Groß-)bäckereien produzieren stets in vollen Öfen, denn darauf sind die Rezepturen ausgelegt. Auch bei anderen Produkten quellen die Lagerhallen oft über und so werden diese oft gar nicht mehr an die Supermarktfilialen ausgeliefert, besonders, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum nach eigenen Kriterien zu kurz ist.

Auf allen Ebenen ist die Verschwendung pervers. In der industriellen Landwirtschaft kommen Kunstdünger und Pestizide zum Einsatz, die man ebenfalls erst aufwendig herstellen muss. Im Einsatz sollen sie für maximale Erträge sorgen, wobei davon insgesamt betrachtet ein großer Anteil später sowieso als Abfall endet. Dafür sind wertvolle Ackerböden und Trinkwasser nachhaltig belastet. Futtermittel werden erzeugt und teilweise um den halben Globus geschippert, wie etwa Soja, für dessen Anbau mitunter Regenwald weichen muss. Die gemästeten Tiere karrt man wiederum zu den Schlachthöfen und verteilt das Fleisch in der ganzen Welt, nur um es wegzuwerfen. Plastikverpackungen und weltweiter Transport schlucken unvorstellbare Mengen Rohöl.

Auch unser Hausmüll ist längst international: Kartoffeln aus Ägypten, Tomaten aus Spanien, Salat aus Italien, Knoblauch aus China, Äpfel aus Neuseeland, Rindfleisch aus Argentinien. Laut einer Studie werfen wir jedes achte Lebensmittel weg, was pro Jahr und Kopf 82 Kilogramm entspricht, wie das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft auf seiner Internetseite zur Aktion „Zu gut für die Tonne“ (siehe Kasten mit Internettipps) mitteilt. Gleichzeitig verpulvern wir auch unser hart verdientes Geld, denn schnell summieren sich die vermeintlichen Abfälle auf mehrere Hundert Euro im Jahr.

Die Gründe sind vielfältig. Achtlos weggeworfen, weil mal wieder zu viel gekauft, keine Zeit zum Kochen gefunden, oder Lebensmittel falsch gelagert hat. Auch das Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums veranlasst viele zum Aussortieren. Dabei sind Lebensmittel dann nicht abgelaufen, sondern der Hersteller garantiert lediglich bis zum Erreichen des Datums gewisse Eigenschaften, wie die Knusprigkeit der Kekse und dergleichen. Manches ist sogar bei sachgemäßer Lagerung nahezu unbegrenzt haltbar, etwa trockene Nudeln, geschälter Reis oder Honig. Selbst Jahrmillionen altes Steinsalz trägt ein Mindesthaltbarkeitsdatum – klingelt da was?

Doch in Fulda regt sich nicht nur kreativer Protest in Form von Schnippeldiscos, die Slow Food Youth bereits mehrfach veranstaltet hat. Zu fetziger Partymusik schälen und schnippeln Gäste gerettetes Gemüse, kochen und genießen anschließend gemeinsam. Darüber hinaus gibt es ein aktives Netzwerk von Lebensmittelrettern (Foodsharing), die bei Herstellern und Händlern Übriggebliebenes abholen und sich vor dem aussichtslos erscheinenden Kampf gegen die massive Verschwendung nicht fürchten. Zwei davon sind Janina Heil und Hans Schubert. Meist mit vielen Taschen ausgerüstet starten sie ihre Touren und verteilen die Lebensmittel anschließend kostenfrei weiter. Dabei können sie auf etwa 70 aktive Mitstreiter zählen.

Ein Schlüsselpunkt für das eigene Umdenken ist es, Lebensmittel wieder als wertvolle Mittler des Lebens zu sehen. Danach richtet sich das eigene Handeln fast wie von selbst neu aus. Anstatt im Supermarkt zur Großpackung im Sonderangebot zu greifen, fragt man sich, ob man die Mengen überhaupt gebrauchen kann. Ein Einkaufszettel und ein Kochplan für die Woche geben den Überblick, was tatsächlich benötigt wird. Bleibt dennoch etwas übrig, bietet sich eine kreative Resteküche an oder man fragt einfach den Nachbarn, ob er mitessen möchte. Wenn man sie im Handel findet, kann man auch mal eine Karotte mit mehreren „Beinen“ mitnehmen. Auch sollte man Kühlschrank und Speisekammer nicht überfrachten, denn schnell geraten Lebensmittel in Vergessenheit. Es kann so einfach sein.

von Jens Brehl

Internettipps

Informationen über Slow Food Youth Fulda:
www.slowfoodyouthfulda.wordpress.com

Wer gerne aktiv Lebensmittel retten möchte,
ist bei Foodsharing richtig: www.foodsharing.de

Wer mehr über die Fuldaer Tafel erfahren möchte,
schaut unter www.fuldaer-tafel.de nach.

www.zugutfuerdietonne.de
Offizielle Internetseite vom Bundesministerium
für Ernährung und Landwirtschaft mit vielen
praktischen Tipps. Auch in Leichter Sprache.

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