Lachen, Weinen, Erdbeersekt

von Arnulf Müller

Geben wir es besser zu: Tiere lachen und weinen auch. Wir wollen die Tierfreunde ja nicht vergraulen. Schimpansen geben beim Kitzeln lachähnliche Laute von sich. Jeder zweite Hundebesitzer schwört, dass sein Hund grinsen kann. Fotos von lachenden Pferden überschwemmen das Netz. Delphine scheinen pausenlos zu lächeln und Elefanten weinen ‒ vielleicht sogar Krokodilstränen

Geben wir es besser zu: Tiere lachen und weinen auch. Wir wollen die Tierfreunde ja nicht vergraulen. Schimpansen geben beim Kitzeln lachähnliche Laute von sich. Jeder zweite Hundebesitzer schwört, dass sein Hund grinsen kann. Fotos von lachenden Pferden überschwemmen das Netz. Delphine scheinen pausenlos zu lächeln und Elefanten weinen ‒ vielleicht sogar Krokodilstränen.

Doch je intensiver sich Verhaltensforscher mit Tiergefühlen beschäftigen, desto vorsichtiger sind sie. Manchmal dreht es sich sogar um: Wir denken, der Affe hat Spaß, weil er das Maul aufreißt und gluckst, doch er reagiert auf Stress. Pferde verziehen ihr Maul ‒ wegen Gerüchen. Krokodilstränen gibt es in der Tat: Bei heftigem Kauen wird ein Drüsensekret aus den Augen gequetscht. Traurig über das blutende Opfer ist das Reptil eher nicht. Und schon damals, als wir die Abenteuer „unseres besten Freundes“ Flipper verfolgten, wurden wir Opfer eines Trugbildes: Die nach oben gebogenen Mundwinkel sind bei Delphinen fest angewachsen. So wird auch die Lachmöwe nicht wirklich was zu lachen haben. Sagen wir es frei heraus: Nur der Mensch und nicht der Wurm kann sich vor Lachen kringeln.


Wer das Lachen studieren will, erinnere sich, wie er Opfer eines Lachanfalls wurde. Gemeint ist nicht das kichernde Hihihi, das spöttische Höhöhö, das trompetenartige Hahaha, sondern das an Erstickung grenzende ... tja, wie soll man es beschreiben?
Lassen wir den Arzt sprechen. Vor 450 Jahren beschrieb Laurent Joubert, Leibarzt des französischen Königs, die „erstaunlichen Wirkungen“ des Lachens. „Jeder weiß, dass der Mund sich öffnet, die Augen strahlen und feucht werden, die Wangen sich röten, die Brust sich hebt, die Atmung in Stößen erfolgt; und wenn das Lachen länger dauert, weiten sich die Adern am Hals, die Arme fangen an zu rudern, die Beine beginnen zu strampeln, der Bauch fängt an zu pulsieren und tut etwas weh; man keucht, schwitzt, pisst und scheißt sich in die Hose vor Lachen und manchmal werden wir sogar ohnmächtig. All das muss nicht erst ausführlich bewiesen werden.“
Auch wenn wir uns heute etwas besser im Griff haben: Wenn das große Lachen über uns kommt, ist es aus mit uns. Unser Ich wird im Bruchteil einer Sekunde beiseitegespült, der Leib führt Regie. Im Nachgang, wenn wir ausgelacht haben und wieder Herr der Lage sind, reiben wir uns verwundert die Augen.
Wieso kann der Mensch so aus der Fassung geraten? Warum lacht er überhaupt? Weil etwas witzig oder komisch ist, sagt man. Stimmt, aber er lacht auch aus Verlegenheit, vor Erleichterung, aus Häme oder gar hysterisch, wenn er in Panik gerät. Es gibt verstörende Lach-Erlebnisse, in denen man sich selbst rätselhaft wird.
Doch schauen wir uns den Normalfall an. Ein Kellner fädelt am Stuhlbein ein, windet sich, um sein Tablett zu retten, doch er stürzt. Gelächter an allen Tischen. Drei Hunde rennen, der erste stolpert über seine Vorderläufe und schlägt Purzelbäume. Kein Hund lacht. Warum der Mensch? Ist es Bosheit? Nein.
Um es zu verstehen, muss man sehen, wie sehr der Mensch im Abstand zu sich selbst existiert. Er lebt, wie der Anthropologe Plessner formuliert, exzentrisch. Während Tiere unmittelbar aus ihrem Zentrum heraus agieren, steht der Mensch zu sich selbst und zur Welt in struktureller Distanz beziehungsweise in einem Verhältnis. Das bewirkt mehr Übersicht, aber es macht das Leben auch schwerer: Der Mensch muss sich permanent ausbalancieren. Während das Tier ziemlich trittsicher und verhaltensstabil vor sich hin lebt, lauert bei ihm überall das Scheiternkönnen. In der Regel halten wir mühelos Balance, doch dann passiert es: Das Model fällt vom Laufsteg, die Sopranistin vergisst den Text, im Vorstellungsgespräch reißt die Hosennaht. Ein Mensch zu sein heißt, jederzeit auf der Kippe zu stehen – und dies ist die Quelle des Komischen wie des Tragischen.
Doch worüber genau lachen wir im Falle des Kellners? Vor allem darüber, wie er versucht, das drohende Scheitern abzuwenden. Noch im Fallen kämpft er darum, Herr der Lage zu bleiben. Je bizarrer seine Bewegungen, je länger der Kampf dauert, desto heftiger unsere Lachattacke.
Aber im Grunde lachen wir gar nicht über ihn. Wir lachen ihn auch nicht aus. Der Punkt ist: In seinem Scheitern blitzt unsere eigene Fallhöhe auf. Sein Sturz setzt uns zu, wir stürzen gleichsam mit und geraten dabei unter Hochspannung, da wir uns zu dem, was wir da sehen, nicht mehr sinnvoll verhalten können. Wir sind blockiert.
Das Lachen ist nun nichts anderes als die Entladung, die unser Körper in dem Augenblick veranlasst, da der Geist kapituliert. Unser Körper löst die Blockade. Kaskadenartig baut er die innere Spannung ab, atmet sie ruckartig aus: ha – ha – ha – ha. Genau genommen lache nicht ich, sondern es in mir. Erst wenn's vorbei ist, ist mein Ich wiederhergestellt.
So gesehen ist das Lachen über Komisches nie böse, es ist ‒ gesund. Dennoch fürchten wir, dass das Lachopfer uns diese Entladung übelnimmt. So signalisieren wir ihm noch währenddessen mit einer Handgeste: „Es ist nicht so gemeint, aber ich kann nicht anders.“

Nicht anders verhält es sich beim Weinen: Auch dies ist eine vom Körper veranlasste Reaktion, die eine Blockade löst, allerdings in entgegengesetzter Richtung: durch kaskadenartiges Einatmen, dem Schluchzen. Doch bleiben wir für heute bei den Lachgeschichten.
Es war vor etwa 45 Jahren, als man Gäste noch in Wohnzimmern empfing, wo alle tief in Couchen versunken um drapierte Tische saßen und, ja, etwas zwanghaft Geselligkeit pflegten. Meine Eltern waren bei Tante Gundula geladen, einer kontrollierten und moralisch überaus gefestigten Person in reiferen Jahren. Wider Willen ging ich mit. Das Miteinander fühlte sich förmlich an, doch die Gastgeberin mühte sich, die Unterhaltung anzukurbeln. In jenen Jahren kam der perlige Erdbeersekt auf, der bevorzugt aus verzierten Sektschalen geschlürft wurde. Die Gläser klangen und alle mühten sich, die bedenklich rotierende Sektscheibe unterhalb des Glasrandes zu halten. So lockerte sich allmählich die Stimmung und als es ans Nachschenken ging, fragte Gundula aufmunternd: „Möchte denn noch jemand etwas von dem leckeren, roten Sex?“
Die kleine Konsonantenpanne zeitigte große Wirkung. Oberkörper schnellten zurück, Trompetenstöße aus allen Kehlen. Der Grund für die Heftigkeit lag auf der Hand. Dass ausgerechnet die Sittenpolizei der Großfamilie auf solchem Parkett ausrutschte! Nicht selten spöttelte mein Halbonkel: „Die heilige Gundula.“ So lachte ich mit, spürte aber auch sogleich die Brisanz: Ins derbe Lachen mischte sich Häme, schließlich hatten nicht wenige aus der Runde schon mal im vertrauten Gespräch über heikle Ehethemen den mahnenden Zeigefinger von Gundula erdulden müssen.
Das Erstaunliche war: Gundula ging erhobenen Hauptes aus der Sache hervor. Die sonst so strenge Person hatte mitgelacht, herzlich und unverkrampft. Ihre Lachtränen verrieten Souveränität. Immer wieder wurde sie danach geneckt, aber sie ertrug gelassen, dass nun alle erfahren hatten, dass auch sie ein Mensch mit innerer Schichtung war, ein Wesen aus Fleisch und Blut.
Auch in diesem Fall gerieten alle Beteiligten unter Hochspannung, auch hier löste das Lachen eine Blockade. Diesmal war es der aufblitzende Widersinn, den niemand sortiert bekam: Allein das Wort „Sex“ aus ihrem Mund! Vor allem: der „leckere“, der „rote“! Dazu die leichte Gezwungenheit, die Art, wie man dasaß mit Tischdeckchen und Sektschalen sowie die leisen Ressentiments zwischen Gundula und ihren Gästen: All das bereitete die Katastrophe vor. Derselbe Versprecher wäre andernorts als müder Kalauer quittiert worden. So aber sprengte er das ganze Gefüge ‒ mit positivem Effekt. Durch den gemeinsam erlittenen Kontrollverlust war das Miteinander danach völlig verwandelt. Aus einem sich reserviert verhaltenden Kreis von Menschen war eine Lachgemeinschaft geworden, gewissermaßen eine Schicksalsgemeinschaft, denn Kontrollverlust ist immer Schicksal. Manch Unausgesprochenes, Belastendes zwischen den Personen wurde binnen einer Minute auf eine Weise versöhnt, wie man es in nächtelangen Gesprächen nicht vermocht hätte. So wurde es ein wunderbarer Nachmittag und vielleicht ist dieser Stimmungsumschwung der eigentliche Grund, warum ich die Szene nie vergessen habe.  
„Wer noch aus ganzem Herzen lachen [...] kann, der ist kein ganz böser Mensch“, schrieb Adolph von Knigge 1788. Sicher, Lachen kann böse sein. Es kann künstlich angeheizt werden, um jemanden gezielt zu verletzen, um ihn in tiefe Scham zu stürzen. Dann aber ist es kein Lachen aus ganzem, sondern eines aus engem Herzen, und wer genau hinhört, merkt den Unterschied sofort: Es klingt anders.
Lachen und Weinen ist ein großes Thema. Eines, bei dem man unwillkürlich den ganzen Menschen vor sich hat. Wer tiefer einsteigen will, dem sei die profunde Studie von Lenz Prütting ans Herz gelegt: „Homo ridens“ (2013), der lachende Mensch. Ein großer Wurf, weil der Autor dem Lachen bis in den Keller nachsteigt. Zu Lachen hat der Leser jedoch wenig: Das Werk umfasst 2000 Seiten.

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