Leben in neun Ländern - Und wo ist die Heimat?

von Anna-Pia Kerber

Wie viele Leben passen in ein einziges Menschenleben? Wo gehört man hin, wenn man die Welt von allen Seiten kennengelernt hat? „I’m working on being at home in the cosmos“, sagt Margo. Versuchen, im Kosmos zu Hause zu sein, wenn man von so vielen verschiedenen Kulturen geprägt wurde. Margo wurde in den USA geboren, wuchs in Mexiko auf, studierte in Spanien und Frankreich und lebte später in Ägypten, Malaysia, auf den Philippinen und auf Zypern. Seit etwa zwanzig Jahren wohnt sie in Deutschland.

 

Sie ist ein stiller, feiner Mensch, der viel gesehen und gelernt hat. Sie hat miterlebt, wie die Rassentrennung die Südstaaten der USA spaltete, wie sich die Bürgerrechtsbewegung formierte und die Welt eine neue Gestalt annahm. Margos Vater war Amerikaner. Er lernte ihre Mutter im Urlaub in Acapulco kennen. Sofort verliebte er sich in die zarte, feminine Mexikanerin mit heller Haut und dunklem Haar. Sie wollte in Texas studieren und folgte ihrem Mann in die Vereinigten Staaten. Hier begann Margos erstes Leben.    

Als Kind wusste sie nicht, dass es einen Unterschied zwischen Schwarz und Weiß gab. Ihr Vater – selbst Weißer – hatte immer ein freundschaftliches Verhältnis zu den Schwarzen. Er war auf einer Farm geboren und von einer schwarzen Nanny großgezogen worden. Dass es im Volk brodelte, war Margo als Kind nur wenig bewusst. 

Wenn man sie fragt, was sie an dem Land, in dem sie geboren wurde, am meisten vermisst, sagt sie: „Die kindliche Sichtweise, die ich auf die Welt hatte. Und die schöne Zeit mit meinem Vater.“ Vielleicht ist es die schöne Kindheit, die die meisten Menschen mit dem Begriff „Heimat“ verbinden.

Irgendwann begannen die Aufstände. Die Zeiten waren unsicher und Margos Mutter wollte zurück in ihre Heimat. Dort begann Margos zweites Leben: - in Mexiko. „Ich erinnere mich, wie ich mit meiner Mutter im Auto fuhr. Nahe der Grenze gab es ein Restaurant. Auf dem Schild stand untereinander in dieser Reihenfolge: ‚Keine Nigger – keine Hunde – keine Mexikaner’. Ich sah gar nicht die Bedeutung des Schilds. Ich sah nur die Anordnung der Worte und dachte, wie symmetrisch die Sätze aussahen.“

In Mexiko lernte sie ihre Tanten kennen, die alle ein wohlhabendes Leben führten. Hier gab es rauschende Partys, gutes Essen – und immer eine Umarmung. Das ist etwas, was Margo an anderen Kulturen besonders vermisst. „Das Miteinander ist inniger. Ständig gibt es Wangenküsse und Umarmungen, die Menschen sind sehr lebendig und die ganze Zeit am Essen und Reden.“

Hier in Deutschland ist man reservierter. Vor allem ist das Leben stärker geordnet. „Es ist eine komplett geregelte, materielle Welt“, empfindet Margo. Rechnungen, Steuer, Straßenverkehr – für jede Regel gibt es eine weitere. Anfangs fiel es ihr schwer, sich mit der deutschen Bürokratie vertraut zu machen. „Inzwischen brauche ich diese Ordnung. Es ist schön, wenn man sich auf Straßenschilder auch verlassen kann.“

 

      Margos Eltern: die Mutter Mexikanerin, der Vater Amerikaner

 

Sich darauf verlassen, an einem Ort wohnen zu bleiben, konnten sie nicht. Die Eltern wechselten von nun an öfter zwischen den USA und Mexiko.m Es war schwer, sich in einm der beiden Ländern zuhause zu fühlen. „In Mexiko war ich die gringa, die kleine Weiße. In den USA dagegegen war ich die Mexikanerin – eine, die angeblich nicht pünktlich sein konnte, nicht zuverlässig.“ Jede Seite hatte ihre Vorurteile.

Mit 17 begann Margos drittes Leben: bei ihrem Studium in Spanien. Eine schöne Zeit für sie – auch wegen ihres ersten festen Freundes, der in den 60er-Jahren schließlich zum Militär ging. Das Studium schloss sie in Amerika ab. Eine Weile lebte sie in Huntsville, Texas – ein Ort, der zu trauriger Berühmtheit gelangte, weil dort zahlreiche Hinrichtungen durchgeführt wurden. Das Gefängnis befand sich unweit von Margos Wohnung. „Sobald die Lampen im Viertel zu flackern begannen, wussten wir, dass gerade jemand auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurde. Manchmal war die gesamte Straße ohne Strom.“  Das politische Geschehen in Amerika verfolgt Margo auch heute wieder mit Bestürzung. Die Pläne für eine Mauer zwischen den USA und Mexiko sind für sie nicht nachvollziehbar.

Als Margo ihren späteren Ehemann kennenlernte, begann ihr viertes Leben. Der deutsche Hotelmanager bereiste die ganze Welt. Gemeinsam zogen sie nach Ägypten, wo er die Leitung eines Hotels übernahm. Dort kam Margos erstes Kind zur Welt. „Hier fühlte ich mich zuhause.“  Das junge Familienglück war ihre Heimat – eine Heimat in der Fremde. „Wir waren ein Teil der Gesellschaft. Und wir haben getan, was von uns erwartet wurde.“ Als Ehefrau des Hotelmanagers führte sie ein exklusives Leben in einer Suite des Hotels – mit allen Vor- und Nachteilen. Ein Leben im Elfenbeinturm, elegant, luxuriös, privilegiert – und separiert.Vielleicht einer der Gründe, warum es ihr manchmal schwerfällt, sich mit den ganz praktischen Dingen des Alltags auseinanderzusetzen. Nach ihrem Studium beschäftigte sie sich mit Sprachen, Literatur, Philosophie und Spiritualität.

In ihrer Beziehung war sie der intellektuelle Part. „Wir waren ein gutes Team und haben uns gegenseitig ergänzt“, sagt sie über jene Jahre. Nach der Zeit in Ägypten folgten Jahre in Malaysia, auf den Philippinen und auf Zypern. Margos Tochter wurde geboren. Es gibt Fotos, auf denen man die Familie am malaysischen Königshof sieht, auf exklusive Einladung der Königsfamilie – während die Kinder weltvergessen miteinander spielen.

Im Hotel aufzuwachsen, bietet Freiheiten – aber im Hotel aufzuwachsen, kann auch wurzellos machen. Als Margos Tochter ins Grundschulalter kam, fällte die Familie eine Entscheidung: Sie wollten in Deutschland leben. Die Kinder sollten ein geordnetes, sicheres Leben führen und eine deutsche Ausbildung machen.   Dieser Schritt fiel Margo nicht leicht. Nach so vielen Jahren in Asien konnte sie sich nicht vorstellen, wieder im Westen zu leben. „Alles war anders. Die Menschen, das Essen. Es war eine Zeit, in der ich mit Panikattacken zu kämpfen hatte.“ Die Familie zog in das Ferienhäuschen der deutschen Schwiegereltern. In ein 250-Seelen-Dorf. Eine krasse Veränderung. Den Kindern fiel es zum Glück leichter, sich in der neuen Umgebung und der neuen Schule zurechtzufinden. 

Im Nachhinein ist Margo sehr froh über diesen Schritt. „Ich könnte mir nicht mehr vorstellen, zurückzugehen. Es ist nicht mehr das Mexiko, das ich kannte.“ Nachdem sie das Land verlassen hatten, nahmen Drogenhandel und Kriminalität immer mehr zu. Dinge, mit denen sie damals nie in Berührung gekommen war.

Was viel näher an ihrer Lebenswirklichkeit liegt, sind Fragen der Medizin- und Altersversorgung. Sie ist froh, in Deutschland zu leben – auch wenn sie wegen ihrer geringen Rente noch immer arbeiten muss. Margo unterrichtet Spanisch. Inzwischen spricht sie drei Sprachen – und hat mehrere Leben gelebt. Heute ist Deutschland ihr Zuhause. Sie erinnert sich genau, wie sie zum allerersten Mal hierher kam. „Alles war so sauber und schön.“ 

Doch eine Heimat, wie sie jemand empfindet, der sein gesamtes Leben in seinem Geburtsland verbracht hat, kennt sie nicht. „Das einzige Zuhause, das man hat, ist das Zuhause, das in dir selbst wohnt.“ Es gehe darum, sich in seinem Körper wohlzufühlen – und eins mit dem Universum zu sein. „Wem es gelingt, ehrlich zu sich selbst zu sein, ist verbunden mit dem großen Ganzen. Nicht versuchen, jemand zu sein – einfach nur sein.“ Ein Satz, der wohl für alle gilt – egal ob mit einem oder mit neun Leben.

 

     Margos Sohn wurde in Ägypen geboren

 

 

   Fest in Malaysia: Margo schickte ihre Wünsche in die Vollmondnacht.

 

 

 

  [ Margo war in vielen Kulturen zuhause

 

 

Heute sieht Margo ganz gelassen auf ihr bewegtes Leben zurück

 

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