Mehr als nur ein voller Kühlschrank...

Eine asiatische Weisheit besagt: „Wenn der Himmel einen Menschen erschaffen hat, muss es für ihn auch eine Aufgabe geben.“ Das klingt schön. 

Es heißt aber auch: Wenn jemand sie aus eigener Kraft nicht finden kann, ist es die Aufgabe der anderen, ihm dabei zu helfen. Denn vollwertige Arbeit bedeutet mehr als nur einen vollen Kühlschrank.

Es bedeutet mitspielen, sich ausprobieren, an Aufgaben wachsen zu dürfen. Eine Frau, die dies verstanden hat, ist Monika Hauß-Schmid. Als Geschäftsführerin der Werner Schmid GmbH, eines metall- und kunststoffverarbeitenden Unternehmens in Fulda, öffnet sie die Türen ihres Betriebs auch für Menschen, die manchmal schnell als „Behinderte“ eingestuft werden.

Dabei geht es ihr nicht um „wohlwollende“, sondern um echte Integration. Eine vollwertige Eingliederung ist das Ziel. Und ein fester Arbeitsvertrag.

Es ist laut in der Fertigung. Jetzt wäre für gewöhnlich der Zeitpunkt, an dem Daniel Rübsam in die Sicherheitsschuhe steigt und seinen Gehörschutz anlegt. Aber heute macht er eine Ausnahme. Heute präsentiert er die Maschine, die er jeden Tag bedient, und erklärt, wie die Teile hier entfettet werden.

Er hält zwei faustgroße Metallringe in die Höhe. „Sehen Sie den Unterschied? Der hier ist noch ganz ölig, der andere ist sauber. So muss er sein, damit ich ihn einpacken und für den Versand vorbereiten kann.“ 
Routiniert sortiert er die Ringe und packt sie fachgerecht in eine Kiste. Dann spannt er einen Gurt darum, hebt die Kiste mit der Winde an und lässt sie im Gang wieder herunter, wo sie später abgeholt wird.

Eine digitale Anzeige gibt Auskunft darüber, welche Stückzahl gerade durch die Maschine läuft – und Daniel Rübsam muss aufpassen, dass alles seine Richtigkeit hat. „Das ist nicht so einfach“, bestätigt der Schichtleiter Norbert Hillenbrand. „Man muss schon ein gutes Auge auf die Maschine und das Display haben.“ „Und wenn die Maschine mal zickt, rufe ich den Techniker“, erkärt Rübsam, „aber das kommt nicht oft vor.“ Er hebt die Schultern. Für ihn ist das Routine.

Daniel Rübsam arbeitet bereits seit zwölf Jahren hier. Der junge Mann wurde mit einem Herzfehler geboren, der es ihm nicht erlaubt, schwer zu heben oder sich außergewöhnlich stark anzustrengen. Durch den Job bei der Werner Schmid GmbH in Fulda hat sich sein Leben grundlegend verändert. Er hat nun eine eigene Wohnung in der Nähe seines Arbeitsplatzes, die er sich ganz allein finanziert. Unter den Kollegen in der Fabrik hat er neue Freunde gefunden, mit denen er gerne einmal ein Bier trinken geht oder zum Fußballspiel nach Frankfurt fährt.

Er weiß, wie wichtig es für einen Menschen ist, einer täglichen Beschäftigung nachzugehen. Aber genauso wie bei vielen Jugendlichen hat es in seinem Leben einmal eine Zeit gegeben, in der er „null Bock“ gehabt hatte. „Man musste mir erst in den Hintern treten, damit es da oben ‚Klick’ macht.“ Grinsend deutet er auf seinen Kopf.

Heute ist das anders. Es fällt ihm nicht schwer, morgens aufzustehen – auch wenn er zur Frühschicht am Arbeitsplatz erscheinen muss. „Ich mache meinen Job sehr gerne. Ich will nicht mehr woanders hin.“

„Man muss eine Aufgabe vor sich sehen und nicht ein geruhsames Leben.“ Leo Tolstoi

Auch Heike Heumüller fühlt sich hier wohl. Seit sieben Jahren arbeitet sie nun schon in der Fabrik und hat inzwischen „ein Adlerauge“, was die Bühler-9-Teile angeht – bestimmte technische Teile, die in Autos eingesetzt werden. „Als ich nach den ersten zwei Jahren meinen festen Vertrag bekommen habe, habe ich nur noch gejubelt“, erzählt sie. Denn so offen wie hier ist sie nicht überall aufgenommen worden.

Ursprünglich wollte die junge Frau Gärtnerin oder Floristin werden. „Ich war vorher in verschiedenen Gärtnereien, und einmal hat man mir ohne Begründung gekündigt“, erinnert sie sich. Das war ein harter Schlag. Denn auch wenn sie ein bisschen Zeit braucht, um sich einzugewöhnen, kann Heike Heumüller sehr ausdauernd und akkurat arbeiten. Der Job hier im metallverarbeitenden Betrieb
hat ihr Selbstbewusstsein gestärkt. „Ich habe am Anfang viel gefragt. Aber besser, einmal zu viel fragen als einmal zu wenig.“

Die Aufgaben, die Heike Heumüller und Daniel Rübsam an den Maschinen übernehmen, können allerdings nicht alle, die von der Perspektiva GmbH hierher vermittelt werden. Manche, die von dieser sozialen Einrichtung aufgebaut und vermittelt werden, sind dann doch überfordert und scheiden wieder aus. Manchmal auch von sich aus. Andere wiederum lassen sich anders als ursprünglich geplant eingliedern: „Markus Helmer zum Beispiel war nicht für die Produktion geeignet, übernimmt nun aber verschiedene Hausmeistertätigkeiten“, berichtet Schichtleiter Hillenbrand. „Er putzt, räumt auf und kümmert sich um die Außenanlage. Das ist für uns ebenso wichtig.” Hillenbrand ist derjenige, der sich der jungen Kollegen annimmt, gleichsam die Problemanlaufstelle. „Ein paar der Perspektiva-Kollegen brauchten anfangs ganz klar eine Bezugsperson. Aber sie haben sich sehr gut eingefügt. Und vor allem werden sie nicht bevorzugt.“

„Es ist sehr wichtig, dass die gesamte Mitarbeiterschaft in der Firma hinter dem Konzept steht“, betont Geschäftsführerin Hauß-Schmid, der das Projekt sehr am Herzen liegt. „Und uns gefiel die Idee ‚Jeder hat Talente’. Ein neues Umfeld ist wichtig für die jungen Leute. Es schafft viele Veränderungen.“ So sehen das auch Heike Heumüller und Daniel Rübsam, die keinen Job im geschützten Umfeld der Werkstätten annehmen wollten. Sie haben den Sprung in die (Arbeits-) Welt gewagt – und sind gut gelandet.

„Als Nächstes plane ich meinen Führerschein“, schwärmt Rübsam. „Dafür muss ich noch ein bisschen sparen.“ Denn wer sein eigenes Geld verdient, kann ein selbstbestimmtes Leben führen. Und bis es so weit ist, geht er eben zu Fuß..

Anna-Pia Kerber

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