Mehr Selbstbestimmung dank Technik

Moderne Technik kann Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen dabei helfen, sich in ihren eigenen vier Wänden sicher und geborgen zu fühlen.

Aus dem Lautsprecher tönt der Song „Move in the Right Direction“ von Gossip. Felix wippt mit dem Kopf zur Musik. Der Zeigefinger seiner rechten Hand trommelt den Rhythmus auf die Lehne seines Rollstuhls. Felix liebt Musik mit Beat, der direkt in den Bauch geht. Seit einem Motorradunfall vor fünf Jahren ist der 36-Jährige von der Hüfte abwärts gelähmt. In seiner barrierefreien Wohnung überlässt der Technikfreak nichts dem Zufall. Soweit es möglich ist, macht er sich den Alltag mit Hilfe moderner Technologie leichter – individuell programmierte Funktionen steuert Felix mit dem Smartphone. Das Morgenszenario in der Wohnung ist so programmiert, dass um sieben die Jalousien automatisch nach oben fahren. Im Winter, wenn es zu dieser Zeit draußen noch dunkel ist, schaltet sich im Schlafzimmer ein angenehmes Licht ein. Parallel dazu lässt sich Felix von seinen Lieblingssongs wecken. Wenig später nimmt die Kaffeemaschine per Zeitschaltuhr in der Küche den Dienst auf.

Es klingelt an der Tür. Schnell hat Felix mit einem Handstreich über den Touchscreen des Handys wieder Zimmerlautstärke hergestellt und den Bildschirm des Fernsehers eingeschaltet. Er zeigt das Bild eines jungen Mannes, der vor der Tür steht: Robert, der Physiotherapeut. Er kommt dreimal die Woche. Per Handy öffnet ihm Felix die Tür.

Abends kocht der 36-Jährige meist etwas Leckeres, manchmal backt er sich aber auch einfach nur eine Pizza aus dem Tiefkühlfach auf, das ihm anzeigt, wann er wieder einkaufen muss. Ist die Pizza im Ofen, kann schon mal ein Telefonat dazwischenkommen. Kein Problem – Herd und Ofen sind so programmiert, dass sie sich nach 20 Minuten automatisch abschalten. Sicher ist sicher!

Mehr Sicherheit für Patient und Angehörige

Wie für Felix ist es für viele Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen von unschätzbarem Wert, in den eigenen vier Wänden leben zu können. Denn das gewohnte Umfeld und die Kontakte mit Nachbarn vermitteln Geborgenheit. Je nach individueller Situation können ärztliche Betreuung, mobile Pflegedienste, engagierte Angegehörige, aber auch moderne Technik dabei helfen, die Selbstständigkeit des Einzelnen so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Das weiß auch Hans-Jürgen Müller aus langjähriger Erfahrung. Als einer der beiden Inhaber des EFM-Elektro- Fachmarkts Müller KG in Fulda entwickelt er Systeme für das vernetzte Haus. Diese funktionieren über den „Butler“ – eine Steuerung mit Bedienungspanel und Touchscreen oder das Handy. Darüber lassen sich die unterschiedlichsten Funktionen im Haus bequem steuern. „Die Lösungen, die wir entwickeln, sind immer individuell abgestimmt“, sagt Müller, der sich seit acht Jahren intensiv mit Wohntechnologie beschäftigt. Architekten tragen seither immer wieder neue Herausforderungen an ihn heran, für die er Konzepte entwickelt und umsetzt.

Auch aus dem privaten Bereich flossen Erfahrungen in diese Arbeit ein. Mit einem guten Freund, der im Rollstuhl sitzt, führte er intensive Gespräche, wie man das Leben von Menschen mit Behinderung in der eigenen Wohnung einfacher gestalten könnte. Die Demenzerkrankung seines mittlerweile verstorbenen Vaters ließ ihn nach Möglichkeiten suchen, moderne Wohntechnologie zu nutzen, um die Lebensqualität des Erkrankten zu verbessern und die Familie zu entlasten. An Demenz Erkranke verlieren das Zeitgefühl und leiden unter zunehmender Vergesslichkeit. „Da kann der Einsatz von optischen und akustischen Signalen sehr sinnvoll sein“, sagt Müller. Passende Lichtszenarien und eingespielte Geräusche vermitteln dem Patienten Tag- und Nachtsituationen. Dadurch erhält er Impulse, die ihn regelmäßig daran erinnern, seine Medikamente und Mahlzeiten einzunehmen. Herd, Backofen, Bügeleisen und andere Haushaltsgeräte können mit Sicherheitsfunktionen ausgestattet werden, ebenso wie der Wasserzulauf der Wanne. Vernetzte Brandmelder, Bewegungsmelder und installierte Kameras geben Angehörigen eine gewisse Sicherheit. 

Notrufsysteme, Kameras & Co. 

Kamerasysteme, die vom ärztlichen Notdienst eingeschaltet werden, wurden eigentlich für Herzinfarktpatienten entwickelt, eröffnen aber auch hier neue Möglichkeiten, ebenso wie Notrufsysteme, die Hilfe von außen aktivieren, wenn der Kranke nicht mehr selbst dazu in der Lage ist. So kann der Teppich mit Kontakten ausgestattet werden, die automatisch den Notruf auslösen, wenn jemand länger als 20 Minuten auf dem Boden liegt. Keine Seltenheit mehr sind sprachgesteuerte Wohnungen, in denen Querschnittsgelähmte durch fest definierte Wörter Funktionen in Gang bringen können – vergleichbar mit Makros auf der Tastatur eines PC. Innovativ ist auch die biometrische Zugangstür, bei der die Fingerabdrücke von Angehörigen, Notdienst- und Pflegedienstpersonal zuvor eingelesen werden und dann nur von diesen ausgewählten Personen geöffnet werden können.

Vorsicht: Vereinsamung!

Messen in aller Welt zeigen immer neue zukunftsweisende Trends, die durch technische Innovation Barrieren abbauen können. Doch bei aller Begeisterung empfiehlt es sich, nicht nur nach der Grenze des Möglichen, sondern auch der des Notwendigen zu fragen. Wo verläuft sie? Vielleicht da, wo ein Roboter die Körperpflege übernehmen soll? Technik kann nicht die Hilfe von Mensch zu Mensch ersetzen, denn das würde einer Entwicklung hin zu noch mehr Isolation Vorschub leisten! Auch sind gerade alte Menschen zwar hilfsbedürftig, aber moderner Technik gegenüber weniger aufgeschlossen. Dass jeder bis zum Schluss zu Hause – eingebettet in ein Technik-Netz – leben kann, aber menschlich vom Leben draußen isoliert ist, eignet sich nicht als hoffnungsvoller Ausblick.

Gleichwohl macht es schon der demografische Wandel notwendig, nach gangbaren Wegen zu suchen. Unsere Gesellschaft wird immer älter. Viele können sich einen teuren Platz im Pflegeheim nicht leisten oder wollen so lange wie möglich zu Hause leben. Ein Ziel ist, dass sie sich trotz gesundheitlicher Einschränkungen in ihren eigenen vier Wänden wohl und sicher fühlen – so wie Felix.

Klaus Orth

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