Mein Besonderes Reiseerlebnis

Von Anna-Pia Kerber

Reisen, das bedeutet absurde Begebenheiten, spannende Erfahrungen, skurrile Begegnungen. Wir haben uns auf die Suche gemacht und Weltenbummler gefunden, die ganz Außergewöhnliches zu berichten wissen.

 

 

 

Jürgen: 

Sittenpolizei im prüden Amerika

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In den Siebzigern waren wir mit einer Jugendreisegruppe in Amerika unterwegs. Von New York aus fuhren wir mit dem Greyhound-Bus die gesamte Ostküste hinunter bis nach Florida. In Miami wohnten wir in einem Hotel mit Pool, an dem wir abends den Abschluss unserer Reise feiern wollten. Das Problem war allerdings nicht die wilde Party oder der Alkohol, sondern ein Bikini-Wettbewerb, den wir veranstalteten und wegen dem irgendwer die Polizei rief. Neben all dem Spaß, den wir hatten, haben wir so gelernt: In Amerika darfst du zwar eine Waffe tragen, aber mit nackter Haut musst du sehr vorsichtig sein – denn wir Männer waren es, die die Bikinis am Pool trugen, und das kam im prüden Amerika überhaupt nicht gut an!

 

 

Andreas: 

Aus Trotz schwimmen gelernt

Andreas lernt Schwimmen 

 

Ich habe im Portugalurlaub schwimmen gelernt. Aber nur, weil ich damals ziemlich frech war. Im Jahr 1995 war ich 6 Jahre alt und wir machten Urlaub in einer Pension. Ich war mit meiner Familie am Pool und ich bin meiner Mutter wohl ziemlich auf die Nerven gegangen. Ich konnte ziemlich frech sein und habe die ganze Zeit über gestichelt. Da hat sie schließlich die Luft aus meinen Schwimmflügeln gelassen. Zuerst bin ich nur hilflos rumgeplanscht. Aber ich hab natürlich nicht aufgegeben, sondern einfach weitergemacht. Ich hab’s mit Humor genommen. Und am Ende des Tages konnte ich schwimmen! Später habe ich in Fulda im Rosenbad weiter trainiert. Heute mache ich bei den Special Olympics mit. In Kiel habe ich 2018 sogar Silber geholt.

 

Martin:

Reisebegegnung mit Müßiggang

Ich war dieses Jahr mit meiner Frau auf den Seychellen – 21 Jahre, nachdem wir dort auch unsere Flitterwochen verbracht hatten. Sie hatte eine Ausgabe vom SeitenWechsel eingepackt, und zwar die mit dem Titelthema Langeweile – uns hätte es ja auch langweilig werden können. Wurde es natürlich nie in den zwei Wochen.

Auf der kleinen Denise Island wohnten wir in direkter Nachbarschaft zu etwa siebzig Riesenschildkröten, die dort frei am Strand lebten und uns immer besuchten. Ich hatte das Seiten-Wechsel-Magazin so weit durch, da kam Toby, der Chef und mit 120 Jahren Dienstälteste der Truppe, des Weges. Vielleicht hatte er ja Langeweile.

Nein, hatte er nicht – und wie er mir körpersprachlich vermittelte, war ihm Langeweile in seinen 120 Jahren auch noch nicht untergekommen. Toby ließ sich von mir ein frisches, grünes Blatt vom Takamaka-Baum pflücken, von meiner Frau liebevoll am Hals kraulen und schaute anschließend neugierig und fragend auf den Langeweile-SeitenWechsel. Komisch, diese Menschen, mag er sich wohl gedacht haben. Nach gut einer Stunde – in der Schildkröten-Zeitrechnung also nach einem Augenblick – zog er weiter. Es war in der großen Mittagshitze auch längs Zeit, für ein Schläfchen, sicher nicht aus Langeweile, sondern weil es gut tut und man sich als Schildkröte ausruhen muss für die vielen alltäglichen Abenteuer.

 

 

Antonia:

Reisebegleitung Cognacflasche 

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Am Tag des Reisebeginns nach Vancouver, dem 27.07.1977, wurde ich 27 Jahre alt. Zu Ehren dieser Schnappszahl hatte ich mir eine Flasche Cognac eingepackt, gut verstaut zwischen all meinen Kleidern in einem Hartschalenkoffer. Es nützte nichts. Als wir das Hotel in Vancouver betraten, bemerkte ich diesen besonderen Geruch. Ich öffnete den Koffer, die Flasche war zerbrochen. Unglücklicherweise befand sich im Koffer auch eine schicke, leuchtend-rote Latzhose. Sie hatte auf all meine anderen Kleider abgefärbt, vor allem auf eine weiße Jeans – die einzige Jeans, die ich mitgenommen hatte. Mir blieb also nichts anderes übrig, als die Latzhose zu trocknen und anzuziehen. Gleich am ersten Campingplatz steckte ich alle Kleider in die Waschmaschine. Abgesehen davon, dass sich die roten Flecken nicht mehr entfernen ließen, begleitete mich die gesamte Reise über ein durchdringender Duft nach Cognac. So habe ich drei Dinge gelernt. Erstens: Auch ein Hartschalenkoffer ist nicht sicher. Zweitens: Man kann mit einer einzigen Hose vier Wochen Urlaub überstehen. Und drittens: Wer nach Cognac duftet, findet schnell neue Freunde!

Janine:

Wo isses denn?

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In den Neunzigerjahren hatten wir eine lange Reise mit unserem eigenen Wohnmobil durch Italien geplant. Kurz vor Rom stellten wir das Wohnmobil auf einem öffentlichen Parkplatz ab. Wir wollten nur für einige Minuten Eis essen gehen, daher ließen wir alles zurück im Camper. Doch als wir wenig später zum Parkplatz zurückkamen, war er weg. Sämtliche Papiere, Unterlagen, Geld, Kleidung … wir hatten nichts mehr. Niemand wollte etwas gesehen haben. Auch die Polizei erwies sich als nicht besonders hilfreich. Wir mussten stundenlang warten, bis man uns neue Papiere ausstellte. Da wir kein Geld hatten, musste unser Großvater etwas aus Deutschland überweisen. In kurzen Hosen und T-Shirts mussten wir schließlich die Heimreise antreten – im Zug. Mein gesamter Kleiderschrank zu Hause war leer, da ich alles mit auf die Reise genommen hatte. Das Wohnmobil ist nie wieder aufgetaucht.

 

 

Jutta:

„Picknick“ auf der Grenze

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Wir fuhren mit dem Auto in den 80er Jahren durch Rumänien, die Reiseroute war vom ADAC vorgegeben. Als wir in die Nähe der Grenze kamen, sahen wir eine Familie, die den gesamten Inhalt ihres Autos auf einer Wiese verteilt hatte. Wir fragten uns, warum sie ausgerechnet dort ein so aufwändiges Picknick veranstalteten – bis uns klar wurde, dass die Zollbeamten den gesamten Wagen auseinandergenommen hatten. Daraufhin waren die Nerven gespannt – aber diese Prozedur ist uns zum Glück erspart geblieben. Die Beamten wollten weder die Autositze ausbauen noch den Kofferraum filzen. Sie fragten uns lediglich, ob wir Pornohefte dabei hätten – und waren sehr enttäuscht, dass dies nicht der Fall war.

 

 

Julia:

Ein verrückter Trip

 

 2014 wollte ich Kanada komplett durchqueren – von Toronto an der Ostküste bis nach Vancouver an der Westküste, etwa 4.400 km. Für dieses Unternehmen suchte ich im Internet nach einer Fahrgemeinschaft. Ich fand Alex, einen sympathischen, älteren Hippie, der einen klapprigen Volvo überführen wollte. Zwei weitere Passagiere waren im letzten Moment abgesprungen, sodass ich notgedrungen allein mit einem völlig Fremden fahren musste. Zum Glück kamen Alex und ich gut miteinander aus. Er übernahm morgens das Fahren, ich setzte mich nachmittags ans Steuer. Gegen Abend rauchte Alex auf der Rückbank seinen Joint und erzählte mir aus seinem Leben. Er kannte viele Leute entlang unserer Route und hatte arrangiert, dass wir jeweils bei seinen Bekannten übernachten konnten. Diese waren etwas schräg, doch sehr gastfreundlich. Bei einem Biker campierten wir im Motorradschuppen neben dem Schlangenterrarium. Ein weiterer teilte sein bescheidenes Zuhause mit vier älteren Menschen mit geistigen Behinderungen, die er „von seinen Eltern übernommen“ hatte. Unterwegs hatte Alex stets seine kleine Sporttasche dabei und jede Menge Bargeld, wie ich voll Erstaunen feststellte, als wir einmal wegen zu hoher Geschwindigkeit von der Polizei angehalten wurden, und er die Strafgebühr von über 300 Dollar in bar bezahlen konnte.  Angst hatte ich auf dieser abenteuerlichen Reise nie, aber am Ende war ich froh, als wir in Vancouver ankamen und sich unsere Wege trennten. Im Nachhinein wurde mir klar, dass seine „Freunde“ vielmehr Kunden waren: Er hatte während der gesamten Fahrt Gras verkauft.

 

 

Anna-Pia:

Wie eine Fata Morgana

Foto: Anna-Pia Kerber

Im Jahr 2005 wollte ich eine Freundin besuchen, die für einige Monate einen Spanisch-Sprachkurs in Kuba machte. Da sie in Santiago kaum Gelegenheit hatte, ins Internet zu gehen, konnte ich sie vor Reisebeginn nicht mehr erreichen und flog ohne ihre Adresse los. Zuerst verbrachte ich einige Zeit in Havanna, dann flog ich nach Santiago. Dort begann die Odyssee in der extrem schwülen Augusthitze: Ein freundlicher Taxifahrer brachte mich zu der Sprachschule, wo der Unterricht angeblich stattfinden sollte. Doch die Schule war umgezogen. Da ich kein Spanisch sprach, begann der Taxifahrer für mich zu recherchieren. Er befragte ältere Damen mit Sonnenschirmen in den Straßen, wer zurzeit Sprachschüler beherbergte. Eine glaubte zu wissen, dass ein weißes Mädchen bei einer Frau ganz in der Nähe lebte. Wir fuhren durch ein Gewirr aus Gassen, in denen heruntergekommene Häuschen mit Wellblechdächern standen.  Und plötzlich stand sie da auf einem kleinen Balkon vor der Wellblechhütte.  Ich glaubte ich, sie sei eine Fata Morgana.

 

 

Renate:

Buspanne auf dem Land

© Andrey Shevchenko - Fotolia.com 

 

Bei einer Reise durch Russland Mitte der Siebzigerjahre durften wir uns kaum frei bewegen. Alles war sehr streng getaktet, wir durften nicht vom Weg abweichen und es standen einige Pflichtpunkte auf dem Programm. Dazu zählte zum Beispiel der Besuch des aufgebahrten Lenins. Auf dem Weg von St. Petersburg nach Novgorod hatten wir dann eine Buspanne. Da der Bus erst repariert werden musste, nutzten wir die Wartezeit und liefen zu einem kleinen Dorf in der Nähe – was uns eigentlich verboten war. Die Dorfbewohner nahmen uns sehr herzlich auf, sie waren unglaublich gastfreundlich, obwohl sie kaum etwas besaßen. In den einfachen Häusern sah es aus wie vor hundert Jahren: Sogar eine Kinderkrippe hing von einem Haken in der Decke. Das waren Dinge, die wir eigentlich gar nicht hätten sehen sollen. Wir sollten glänzende Straßen sehen und die unglaublich prachtvollen U-Bahnschächte in Moskau – aber nicht die Armut. Wenn wir keine Buspanne gehabt hätten, wäre uns das wirkliche Leben vorenthalten geblieben. Daher war es Glück im Unglück.

 

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