Meine lauten Nachbarn

von Anna-Pia Kerber

Und wir wollen doch Freunde bleiben.

Liebe Nachbarn!

Ich darf mit Recht sagen: Ihr seid die besten Nachbarn der Welt! Hilfsbereit, freundlich, angenehm und im Notfall immer zur Stelle. Genauso darf ich sagen: Ihr seid die lautesten Nachbarn der Welt! Mit euren Heckenscheren, Kreissägen und Motorsensen sorgt ihr für einen gleichbleibend hohen Geräuschpegel. Stolze 15 Stunden am Tag. Versteht mich nicht falsch: Das hier ist immerhin das Landleben. Auf dem Land hat jeder ein Grundstück, einen Garten oder zumindest eine Hecke am Straßenrand, um die er sich kümmern muss. Mit Hingabe.

Vielleicht ist das hier in unserem Rhöndorf aber auch eine Ausnahme. Vielleicht sind wir eine besonders fleißige und reinliche Nachbarschaft. Der Herr, der mit Inbrunst und elegantem Schwung aus dem Handgelenk die Hecke stutzt, bis sie aussieht wie ein Bürstenhaarschnitt, ist immerhin ein ehemaliger Friseur. Man muss sich fragen, ob es da einen Zusammenhang gibt …

Aber muss es immer so viel Hingabe sein? Die Fleißigsten unter euch sind bereits morgens um sieben auf den Beinen. Nach dem ersten Kontrollgang wird die Heckenschere angeschlossen.

Die Heckenschere vor allem die älteren Modelle machen ein hochfrequentes, durchdringendes Geräusch, das ähnlich eines ärgerlich-lauten Insektes irgendwo zwischen Schädeldecke und Augapfel eindringt und sich dort einnistet.

Für Menschen, die im heimischen Büro arbeiten, ist das eine echte Herausforderung. Ich bin sicher, liebe Nachbarn, ihr wisst es nicht einmal, aber ich habe in den vergangenen Sommern zum Arbeiten ein Dutzend Ohrstöpsel verbraucht.

Nicht, dass das jemand glauben würde. Wenn ich meiner Redakteurin in Hamburg erzähle, dass ich auf dem Land lebe, findet sie das „ja soo romantisch!“ Sie denkt, dass ich mit einem Glas Zitronenwasser draußen auf der Veranda sitze, ins Grüne blicke, mich der Stille hingebe und romantische Geschichten spinne. Weit gefehlt. Sie ahnt ja nicht, dass ich mit Ohrstöpseln im abgedunkelten Haus hocke und versuche, Heckenscheren, Motorsensen und Kreissägen auszublenden. Konzentration! An einer sehr belebten Hauptstraße zu wohnen, ist natürlich auch nicht förderlich. Vor allem am Wochenende. Denn: Alle wollen ja aufs Land! Wo es so ruhig ist und still! Die Autokolonnen der erholungsbedürftigen Städter sind inzwischen so lang und dicht, dass ich zehn Minuten brauche, um aus meiner eigenen Einfahrt auf die Straße zu biegen. Neben Harley-Schlangen, Porsche-Karawanen und Campingwagen-Konvois gibt es eine Sorte von Fahrzeuggruppen, die besonders schwer zu ertragen sind: Wenn die nostalgischen Traktoren anrücken, bebt nicht nur die Erde, sondern auch das Nervenkostüm. Die bestimmt mit sehr viel Liebe hergerichteten Oldtimer-Traktoren erschüttern das gesamte Dorf und sind so laut, dass einem die Zähne klappern. Das monotone Brummen eines Rasenmähers kann dagegen beinahe beruhigend sein, wenn man sich einmal daran gewöhnt hat. Bei den hiesigen Grundstücksgrößen brummt der Rasenmäher dann auch verlässlich drei bis vier Stunden.

Denn, liebe Nachbarn, ihr seid nicht nur fleißig ihr seid auch sehr sportlich!

Ist der linksseitige Nachbar fertig, steht der rechtsseitige Nachbar schon in den Startlöchern. Aber alles, was jenseits der hohen Töne stattfindet, ist zumindest beruhigender als Kreissägen und Schleifmaschinen. Demnach kein Problem für mich, wenn die jüngere Generation Nachbarn am Wochenende basslastige Partys feiert. Tiefe Basstöne sollen ja vielmehr beruhigen als die Schädeldecken-Scheren. Leider gehen auch in diesem Punkt die Meinungen auseinander. Während ich mich erschöpft vom Kreischen der Steinplatten-Schneider und Kärcher-Orgien mit dem wohligen Bass-Wummern von draußen ins Bett kuschele, steht plötzlich die ältere Generation Nachbarn auf dem Plan, die vom Bass-Stampfen Herzrasen bekommt. Verständlich, dass irgendeinem morgens um vier Uhr dann einmal der Kragen platzt und die Polizei anrückt. In jeder Nachbar-Liebesgeschichte gibt es immer auch ein paar dunkle Seiten.Die Polizei habe ich noch nie zu Hilfe gerufen. Das würde auch gar nichts nutzen, denn hier tut ja niemand etwas Verbotenes. Wenn der Hof gepflastert werden muss, müssen eben Steine geschnitten werden. Logisch und nachvollziehbar. Und unglaublich laut.Mein Mitgefühl endet erst in dem Augenblick, wenn der Perfektionswahnsinn überhandnimmt. Wenn nach einer dreistündigen Rasenmäher-Orgie auch noch die Motorsense ausgepackt wird, um jedes Hälmchen am Grundstücksrand einzeln (!) und schnurgerade auszumerzen. Auch hier kann man einen Zusammenhang beobachten zwischen dem Erscheinungsbild des Grundstücks und dem des Besitzers: Je exakter die Frisur, desto exakter der Rasen. Ärgerlich nur, dass die Motorsense so viel lauter ist als die Haarschneidemaschine und man sich mit seinen Gästen abends um acht Uhr im eigenen Garten anschreien muss, um sich zu verständigen. Ich habe das Problem gelöst, indem ich mehr Drinks angeboten habe. Dann klappt die Verständigung auch ohne Worte.Zum Glück bin ich viel unterwegs und kann mir meine Ruhepausen woanders gönnen. Als Landei tut man das in der Großstadt. Besuche ich meine Cousine in Berlin, herrscht in ihrer Wohnung im Hinterhaus immer eine so umfassende Stille, dass ich plötzlich mein eigenes Herz schlagen hören kann. In den Apartments zum Hinterhof ist es so leise wie in einer Kirche. Mich überkommt beinahe eine seltsame Unruhe im Angesicht von so viel Stille. Aber möchte ich hier wohnen? Möchte ich den Rasen eintauschen gegen die Straßenbahn, die Hecken gegen Asphalt, Bäume gegen Beton? Manchmal. Aber nicht für immer.

Denn, liebe Nachbarn, lieber höre ich euer Schlager-Radio mit, eure Bass-Partys und eure Heckenscheren, als in einem anonymen Hochhaus zu sitzen, in dem ich meine Nachbarn nicht einmal kenne. Ihr passt auf den Bonsai-Baum auf, wenn ich verreise. Ihr tragt die Post herein, wenn ich nicht da bin. Ihr fragt, wie es mir geht. Und ihr greift beherzt zum Hörer und ruft auch noch abends um zehn Uhr an, um mir zu sagen, dass ich mal wieder die falsche Mülltonne rausgestellt habe. Ihr seid die besten Nachbarn der Welt. Und die lautesten.

Dank unseres mediterranen Klimas habt ihr auch immer etwas zu tun. Jede Jahreszeit hat ihre ganz eigenen Instrumente. Im Sommer gibt es die lautesten. Im Winter dagegen ist es herrlich still. Meistens. Denn jetzt muss Schnee geschippt werden. Man sollte meinen: eine meditative, beinahe geräuschlose Angelegenheit. Und wieder: weit gefehlt. Denn hierzulande begnügt man sich nicht damit, Schnee zu netten kleinen Bergen zusammen zu schieben. Nein: Beginnt der Schnee zu frieren, wird er energisch zerhackt und in eiswürfelgroßen Portionen auf die Straße katapultiert. Ich habe beobachtet, wie mit der scharfen Kante der Schneeschippe der Asphalt bearbeitet wurde, um Eisberge kleinzukriegen. Warum ich das beobachtet habe? Weil ich davon geweckt wurde. Morgens um sieben Uhr. Dafür kann man in unserer Straße stets gefahrlos und unbeschwert den Bürgersteig benutzen. Außer auf den zehn Metern vor meinem eigenen Haus. Ich habe beobachtet, wie Passanten die Straßenseite wechselten, weil meine Schneedecke sehr uneben bearbeitet war. Sie taten es mit einem so mitleidigen und zugleich verzeihenden Gesichtsausdruck, dass es mich dazu brachte, meine Technik noch einmal zu überdenken. In einer Zeit, in der Kinderspielzeug motorisiert ist, alle Gartengeräte elektrisch und tragbare Bass-Boxen für jeden erschwinglich, wird es wohl nie mehr leise sein. Dieser Sommer war allerdings anders: Aufgrund der enormen Trockenheit kamen die Rasenmäher viel weniger zum Einsatz als sonst. An manchen Tagen war es so ungewohnt still, dass ich mir Sorgen machte: Leben die Nachbarn noch?! Alle hatten sich vor der Hitze in ihre Häuser verkrochen. Aber der Herbst naht, und ich ahne Schreckliches. Denn der verpasste Aktionismus vom Sommer muss aufgeholt werden, und es gibt da diese grässliche Erfindung, die vielerorts bereits den guten alten Besen ersetzt.

Also, liebe Nachbarn, einen Gefallen müsst ihr mir tun: Verzichtet auf die Laubgebläse. Sie sind die überflüssigste Erfindung der Menschheit. Und wir wollen doch Freunde bleiben.

Denn, liebe Nachbarn, lieber höre ich euer Schlager-Radio mit, eure Bass-Partys und eure Heckenscheren, als in einem anonymen Hochhaus zu sitzen, in dem ich meine Nachbarn nicht einmal kenne. Ihr passt auf den Bonsai-Baum auf, wenn ich verreise. Ihr tragt die Post herein, wenn ich nicht da bin. Ihr fragt, wie es mir geht. Und ihr greift beherzt zum Hörer und ruft auch noch abends um zehn Uhr an, um mir zu sagen, dass ich mal wieder die falsche Mülltonne rausgestellt habe. Ihr seid die besten Nachbarn der Welt. Und die lautesten.

Dank unseres mediterranen Klimas habt ihr auch immer etwas zu tun. Jede Jahreszeit hat  ihre ganz eigenen Instrumente. Im Sommer gibt es die lautesten. Im Winter dagegen ist es herrlich still. Meistens. Denn jetzt muss Schnee geschippt werden. Man sollte meinen: eine meditative, beinahe geräuschlose Angelegenheit. Und wieder: weit gefehlt. Denn hierzulande begnügt man sich nicht damit, Schnee zu netten kleinen Bergen zusammen zu schieben. Nein: Beginnt der Schnee zu frieren, wird er energisch zerhackt und in eiswürfelgroßen Portionen auf die Straße katapultiert. Ich habe beobachtet, wie mit der scharfen Kante der Schneeschippe der Asphalt bearbeitet wurde, um Eisberge kleinzukriegen. Warum ich das beobachtet habe? Weil ich davon geweckt wurde. Morgens um sieben Uhr. Dafür kann man in unserer Straße stets gefahrlos und unbeschwert den Bürgersteig benutzen. Außer auf den zehn Metern vor meinem eigenen Haus. Ich habe beobachtet, wie Passanten die Straßenseite wechselten, weil meine Schneedecke sehr uneben bearbeitet war. Sie taten es mit einem so mitleidigen und zugleich verzeihenden Gesichtsausdruck, dass es mich dazu brachte, meine Technik noch einmal zu überdenken. In einer Zeit, in der Kinderspielzeug motorisiert ist, alle Gartengeräte elektrisch und tragbare Bass-Boxen für jeden erschwinglich, wird es wohl nie mehr leise sein. Dieser Sommer war allerdings anders: Aufgrund der enormen Trockenheit kamen die Rasenmäher viel weniger zum Einsatz als sonst. An manchen Tagen war es so ungewohnt still, dass ich mir Sorgen machte: Leben die Nachbarn noch?! Alle hatten sich vor der Hitze in ihre Häuser verkrochen. Aber der Herbst naht, und ich ahne Schreckliches. Denn der verpasste Aktionismus vom Sommer muss aufgeholt werden, und es gibt da diese grässliche Erfindung, die vielerorts bereits den guten alten Besen ersetzt.

Also, liebe Nachbarn, einen Gefallen müsst ihr mir tun: Verzichtet auf die Laubgebläse. Sie sind die überflüssigste Erfindung der Menschheit. Und wir wollen doch Freunde bleiben.

 

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