„Meine Schuhe sind ja nie ausgetragen – aber dafür meine Hosen…“

„Horizont – unendlich viele Möglichkeiten.“ So heißt der Mode-Blog der 24-jährigen Saskia Most. Der Titel deutet schon an, dass es hier um mehr als nur um Mode, Makeup und Trends geht.

Genaugenommen geht es darum, wie einem Menschen Flügel wachsen können, um den Horizont zu erreichen.

Der Horizont – das ist etwas, das manchmal sehr weit weg erscheint, und doch zum Greifen nahe. 

Zuweilen muss man nur den Blickwinkel ändern, um ihn zu sehen. Und manchmal muss man hart kämpfen, um in einem weiten, offenen Horizont zu existieren. Saskia ringt um beides. 

Saskia ist eine schöne Frau. Sie hat langes, glänzendes Haar, volle Lippen und zarte, ebenmäßige Haut. Wer ihr in die Augen sieht, findet einen Funken, der von Lebensfreude und Fröhlichkeit erzählt. Sie arbeitet im Antoniusheim am Empfang, nimmt Anrufe entgegen und führt Besuchergruppen durch die Einrichtung.

Seit ihrem vierten Lebensjahr sitzt sie im Rollstuhl. Sie hat Tetraspastik, bedingt durch einen Sauerstoffmangel bei der Geburt. Dadurch sind ihre Arme und Beine teilweise gelähmt.

Die 24-Jährige hat bereits unzählige Operationen und Therapien hinter sich. Trotzdem lässt sie sich nicht aufhalten. Im Gegenteil. Auf ihrem Blog lässt sie sich oft vor einer Wand mit dem Schriftzug „Carpe Diem“ ablichten: „Nutze den Tag“. Und dass sie versucht, sich danach zu richten, glaubt man der jungen Frau sofort.

Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet. Je mehr jemand die Welt liebt, desto schöner wird er sie finden. Christian Morgenstern

Um ihre Interessen mit Gleichgesinnten zu teilen, hat Saskia den Blog „Horizont“ ins Leben gerufen. Mit einer Digitalkamera hält sie Erinnerungen fest. Ausgewählte Fotos zeigt sie auf ihrer Internetseite, wo sie auch Schmink-Tipps gibt. Außerdem verrät sie hier ihre Lieblingsmarken und -rezepte.

„Make-up und Fashion finde ich spannend“, erzählt Saskia. „Auf meine Blogeinträge bekomme ich ausschließlich positive Resonanz, und dass ich im Rollstuhl sitze, ist hier überhaupt nicht von Interesse.“

In Ihrem Rollstuhl präsentiert Saskia selbstbewusst ihr neues Outfit, ihr Tages-Make-up bis hin zu ihren neuen Schuhen.

„Meine Schuhe sind ja nie ausgetragen, aber dafür meine Hosen“, erwähnt sie schmunzelnd.

Das Aussehen ist der öffentlichste Teil des Selbst. Alles andere bleibt für die meisten Menschen
verborgen.

Saskia weiß sehr genau, was sie von sich preisgeben will und was nicht.

„Ich versuche die Gratwanderung zwischen Privatem und dem Blog“, erklärt sie. „Das ist nicht immer leicht, aber bisher ist es mir gelungen.“

Und wenn man Saskia kennenlernt, könnte man meinen, dass der jungen Frau alles leicht von der Hand geht. Doch das täuscht:

Hinter jedem Blog-Eintrag stecken viele Stunden Arbeit. Oft hat Saskia Schmerzen, und in vielen Dingen ist sie auf fremde Hilfe angewiesen.

Sie möchte nicht, dass man sie anders behandelt, nur weil sie im Rollstuhl sitzt. Doch im „richtigen Leben“ sieht es leider oft anders aus. 

Blogger schätzen ihre Ideen und ihre Kreativität und fragen sie gerne um Rat.

Aber in Geschäften wird sie manchmal übergangen. Allerdings ist Saskia niemand, der darüber in Wut gerät oder sich beschwert. „Die anderen haben ein Problem damit, dass ich im Rollstuhl sitze. Nicht ich.“

Und mit dieser Einstellung ist sie zum Glück nicht alleine. Ihre Freunde und ihre Familie stehen buchstäblich hinter ihr. Das gibt Kraft.

„Ich liebe Musik und gehe gerne zu Konzerten. Meine Freunde sind immer bereit, mir dort mit dem Rollstuhl zu helfen.“

Gute Erfahrungen hat sie auch im Kulturzentrum Kreuz gemacht. „Die Mitarbeiter sind dort aufmerksamer und freundlicher als in anderen Läden.“

All das heißt nicht, dass sie nicht auch einmal einen schlechten Tag hat. Saskia nennt das scherzhaft „Bad Hair Day“. So etwas haben alle Mädchen mal.„Spastik ist eine Laune. Sie kommt und geht. Manchmal fällt mir dann ein Glas oder ein Messer herunter. Aber das ist eben auch ein Teil von mir.“

Es gibt überall Blumen für den, der sie sehen will. Henri Matisse

„Für Saskia ist das Glas halb voll, nicht halb leer“, bestätigt ihre Mutter, die sie bei allen täglichen Erledigungen unterstützt. „Und sie ist jemand, der auch die kleinen Dinge im Leben würdigt wie ein Gänseblümchen am Straßenrand.“

In der Tat hat Saskia ein Gespür für Ästhetik. Nicht nur in Bezug auf das Aussehen von Menschen, sondern auch in Bezug auf die Natur. Sie liebt Orchideen und versucht ganz allgemein, Dinge schön und interessant zu gestalten.

„Aber wahre Schönheit kommt immer von innen“, weiß sie. „Wenn man mit sich zufrieden ist und die Welt annimmt, wie sie ist, strahlt man das aus. Dann ist man schön.“

Mädchen, die starren Trends hinterherlaufen oder an ihrer Figur herumnörgeln, mag sie nicht. „Die wissen das Leben nicht zu schätzen. Wenn sie nur einen Tag im Rollstuhl verbringen müssten, würden sie weniger jammern.“ Deswegen kommt sie aber nie auf den Gedanken, andere belehren oder verändern zu wollen. Sie lässt jeden, wie er ist.

Gerade Schönheit darf man nicht mit Perfektion gleichsetzen. Perfektion bedeutet Stillstand. Und Stillstand ist eine Illusion. 

Bei Saskia bewegt sich immer etwas. Ständig kommen ihr neue Ideen für Blogeinträge.

Und mit jeder neuen Idee erweitert sich der Horizont…

Denn Saskia ist eben viel mehr, als eine junge Frau im Rollstuhl – so wie Schönheit viel mehr ist, als Mode.

Anna-Pia Kerber

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