Partnerbetriebe von antonius

Inzwischen geht es locker von den Lippen. Vor zwei Jahren, als das Antoniusheim seine hintere Silbe verlor, war es gewöhnungsbedürftig, einfach nur „antonius“ zu sagen.

Partnerschaften

Partnerbetriebe von antonius

 

 

Doch es musste sein. Heim – das klang nach einem Ort, an dem Menschen abgeschottet von der Gesellschaft dahinleben, weil sie zu schwach sind, um im „richtigen“ Leben mitzumachen. Gegen solche Bilder kämpfen die Angestellten der Stiftung schon lange an. Unermüdlich suchen sie Partner, die Menschen mit Behinderung ebenfalls etwas zutrauen und ihnen eine Chance auf ein Leben mittendrin bieten können. So entstand ein starkes Netzwerk. antonius – das sind heute nicht nur „die da oben am Neuenberg“, das sind viele Akteure in Stadt und Land. Ab sofort wollen wir an dieser Stelle einige von ihnen vorstellen: kleine und große Betriebe, die ihre soziale Verantwortung nicht an andere delegieren.

 

WernerGUT

Ein Pionier in Sachen Partnerschaft

Manchmal führt der Zufall Regie und es passt, als wäre es geplant. Sommer 1990, Hessentag in Fulda: Der junge Landwirt Norbert Werner aus Mittelkalbach hat einen Stand im Ausstellungszelt Der Natur auf der Spur. Er bewirbt seine Produkte vom Hof, handwerklich und umweltbewusst hergestellt. Neben ihm steht der damalige angestellte Metzger Reinhard Sommer auf dem Stand vom Antoniusheim. Auch er wirbt für solche Produkte, hergestellt von Menschen mit Behinderung und vertrieben in einem kleinen Verkaufswagen.

Es ist die Zeit der Idealisten, die neue Vertriebswege ausprobieren, denn kleine Erzeuger geraten durch die industrielle Lebensmittelproduktion immer stärker unter Druck: Die Preise purzeln, das Qualitätsbewusstsein leidet. In dieser Situation marschieren beide in der gleichen Richtung, setzen auf Direktvermarktung und zertifizierte ökologische Landwirtschaft. Folgerichtig erwächst aus dieser Begegnung eine kleine Handelsbeziehung. Rind- und Lammfleisch geht von WernerGUT an antonius, umgekehrt liefert antonius gelegentlich Schweine an den Betrieb. So geht das viele Jahre.

In 2006 wird die Arbeit für Norbert Werner zu viel. Der Biobetrieb WernerGUT ist gewachsen und beliefert inzwischen die Landmarktabteilung der Rewe-Märkte, den Bauernladen auf der Wasserkuppe und andere spezialisierte Geschäfte. Erzeugung, Schlachtung und Zerlegung liegen in seiner Hand und seine Kinder sind noch zu klein, um im Betrieb zu helfen. Für die Einstellung eines weiteren Landwirtes fehlt das Geld.

Im Gespräch mit Peter Linz von antonius Hof erfährt Werner, wie leistungsfähig Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft sind, wenn der Rahmen entsprechend gestaltet ist. Schnell fällt der Name Erwin Bäuml, dem man einen solchen Arbeitseinsatz in Mittelkalbach zutrauen würde. Doch die Übernahme eines Menschen vom Heim in einen regulären Betrieb ist unüblich. Menschen, die in Heimen sozialisiert wurden, arbeiten in den dazugehörigen Werkstätten – und zwar ihr Leben lang.

 

Fand seine Berufung im Schafstall: Erwin Bäuml (links) mit Chef Norbert Werner

Fand seine Berufung im Schafstall: Erwin Bäuml (links) mit Chef Norbert Werner

 

 

Das war nicht immer so. Bis in die 70er-Jahre kamen viele Jugendliche, welche die Antonius von Padua Schule durchlaufen hatten, ganz selbstverständlich in Fuldaer Betrieben unter. Die Menschen vom Antoniusheim gehörten auf diese Weise immer dazu. Im Zuge sozialer Reformen entstand dann aber ein bundesweites Werkstättennetz, um auch „erwerbsunfähigen“ Menschen die Möglichkeit zu bieten, zu arbeiten. Alsbald gingen aber alle, die in irgendeiner Form als „behindert“ abgestempelt wurden, in diese neuen Werkstätten (WfbM).

Neben einigen Vorteilen brachte dies den großen Nachteil mit sich, dass der Anschluss an das regionale Erwerbsleben und damit das gesellschaftliche Miteinander gekappt wurde: Die „Behinderten“ waren nun unter sich, und die „Nichbehinderten“ lebten in dem Gefühl: „Die vom Heim, die machen das schon!“

Zugleich wuchs in den Einrichtungen die Überzeugung, Menschen mit Behinderung vor der rauen Arbeitswelt beschützen zu müssen. So wurden in den Werkstätten kaum Leistungsansprüche gestellt, Arbeit wurde zur Beschäftigungstherapie. Es fehlten Anreize, sich anzustrengen, und Anforderungen, an denen man wachsen konnte. Entsprechend herrschte eine spezielle, künstlich beruhigte Atmosphäre.

Mit der Gründung der Initiative Perspektiva, welche seit 1999 erfolgreich Sonderschulabgänger und schwache Hauptschüler erfolgreich an Fuldaer Betriebe vermittelte, knüpfte man deshalb wieder gezielt an das alte Modell an. Schnell zeigte sich, dass sich viele dieser Jugendlichen im externen Betrieb weitaus besser entwickelten als in solch einer Sonderwelt. In echter, gemeinsam verrichteter Arbeit ließen sich die Stärken einer Person viel eher entdecken, und Behinderungen oder Lernschwierigkeiten spielten auf einmal keine Rolle mehr.

Vor diesem Hintergrund lassen sich auch alle Beteiligten im Fall von Erwin Bäuml auf den Versuch eines Wechsels ein. Es ist das erste Mal seit Jahrzehnten, dass ein Mensch, der lange im Antoniusheim beschäftigt war, gleichsam ins normale Leben „entlassen“ wird. Um das Risiko gering zu halten, inspiziert Michael Becker von Perspektiva den künftigen Arbeitsplatz bei WernerGUT: Bietet er genügend Kontinuität und regelmäßig wiederkehrende Aufgaben? Findet Bäuml dort sozialen Anschluss? Wie muss der Fahrdienst umorganisiert werden, damit er rechtzeitig zum Betrieb kommt?

Es wird verabredet, dass das Praktikum von einem auf den anderen Tag abgebrochen werden kann. Doch dazu kommt es nicht. Bäuml erweist sich vom ersten Tag an als voll einsatzfähig. Sein neuer Arbeitgeber spürt zwar rasch die Grenzen im Beschäftigungsverhältnis, manche Aufgaben erweisen sich als zu komplex, aber die enorme Zuverlässigkeit des Mitarbeiters, dessen Pünktlichkeit und Eifer machen vieles wett. Zudem erweist er sich als extrem wetterfest.

Der Schafstall ist von nun an Bäumls Reich: Ablammboxen ausmisten, Schafe einfangen, wenn sie geschoren werden sollen, Klauen ausschneiden mit der Klauenschere. Auf den Weiden baut er Elektronetze auf und ab. Weil es nicht klappt, ihm abstrakt zu erklären, wo er jeweils hin muss, fährt sein Chef ihn morgens dorthin. Bäumls Fahrrad wird mit aufgeladen, sodass er allein zum Hof zurückkehren kann.

Becker ist beruhigt, dass auch das Zwischenmenschliche funktioniert: Einmal sieht er, wie Bäuml die Kinder des Hofbesitzers auf den Schultern trägt, ein andermal trifft er ihn mit dem Opa beim Kaffeetrinken an. Und als er bei der Arbeit mal ein Messer kaputt gemacht hat, erlebt er, wie sein Arbeitgeber das Missgeschick gelassen nimmt. Erwin Bäuml ist angekommen, Experiment geglückt. Es wird das Muster für zahlreiche Versuche in den Folgejahren, Menschen in Partnerbetriebe zu vermitteln.

Elf Jahre arbeitet Bäuml nun auf dem Werner-GUT. Wie sieht er selbst die Sache? „Am Anfang hab ich geguckt erst mal. Davor 13 Jahre Kartoffeln geschält auf dem Antoniushof. Hier draußen ist es besser. Füttern morgens. Netze Aufbauen, abbauen. Mit dem Fahrrad fahren. Ich bin nie krank geworden hier. Nur einmal was am Fuß gehabt. Noch nie Grippe gehabt. Noch nie.“ Den Arbeitsplatz wechseln will er nicht mehr. „Ich arbeite hier, bis es nicht mehr geht. Normal kann ich aufhören eigentlich. Bin ja Rentner. Mach ich nicht. Was will ich den ganzen Tag zuhause?“

In der Tat fiel Bäuml in elf Jahren nur zweimal aus, einmal davon als Folge eines kleinen Arbeitsunfalls, da war er zwei Tage nicht da. Norbert Werner schaut entsprechend zufrieden zurück. Die Geduld und das Vertrauen in die Partnerschaft mit antonius haben sich gelohnt. Inzwischen sind seine Kinder groß und übernehmen im Betrieb Verantwortung. Bäuml wiederum möchte nur noch vier Tage arbeiten. So fügt sich alles perfekt. „Es ist nicht alles Gloria“, resümiert Werner, „aber im Nachhinein war das alles ein großes Glück.“

von Arnulf Müller

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