„Pilgern ist das perfekte Spiegelbild des Lebens“

Von Jens Brehl, Fotos: Swantje Dankert

Deutschlandweit ist Bruder Pascal aus dem Franziskanerkloster am Frauenberg Ansprechpartner für Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes neue Wege gehen möchten. Regelmäßig pilgert er mit einigen von ihnen quer durch Europa. Was mit einer Wanderung beginnt, endet oft in einschneidenden Erlebnissen.

 

SeitenWechsel: Seit der Antike pilgern Gläubige aus etlichen Kulturen zu heiligen Stätten. Was gibt es heute darüber hinaus noch für Motivationen, sich auf eine Pilgerreise zu begeben?

Br. Pascal: Zu allen Zeiten wollten Menschen neben religiösen Ritualen auch aus ihrem gewohnten Umfeld ausbrechen und neue Eindrücke sammeln. Wandern und Pilgern sind heute hip ohne Ende. Die Zwänge des Alltags ablegen, Freiheit und Gemeinschaft erleben, aber auch zur Ruhe und zu sich selbst zu finden sind treibende Kräfte. 

 

SeitenWechsel: Was fasziniert Sie persönlich?

Br. Pascal: Pilgern ist ein perfektes Spiegelbild des Lebens: Ich breche auf, muss meinen Weg finden, teilweise gibt es schwierige Etappen zu bewältigen bevor ich mein Ziel erreiche. Als absoluter Bewegungs-Mensch brauche ich außerdem regelmäßig meinen Sport. Wenn ich eine halbe Stunde durch den Wald jogge, ist das für mich wie beten. 

 

Zudem stamme ich aus Niederbayern, wo es zu den Mannbarkeitsritualen gehört nach Altötting zu pilgern. Das erste Mal habe ich im Alter von 16 Jahren daran teilgenommen – um 3 Uhr morgens ging es los und am Vormittag sind wir angekommen. In einer zweiten Tour habe ich meine körperlichen Grenzen getestet, als ich in zwei Tagen 90 Kilometer gewandert bin.  

 

Nach langer Pause bin ich erst wieder 2001 gepilgert. Damals auf dem Jakobsweg und zum Glück bevor Harpe Kerkeling sein Buch „Ich bin dann mal weg“ veröffentlicht hat. Seitdem ist der Jakobsweg völlig überlaufen, was schon an Massentourismus grenzt. Heute zieht mich da nichts mehr hin.

 

Als Franziskaner habe ich schließlich meine Leidenschaft auch zum Beruf gemacht. Regelmäßig organisiere ich Pilgerreisen, leite die Gruppe und begleite sie als Seelsorger. 

 

SeitenWechsel: Wozu brauche ich denn unterwegs seelischen Beistand?

Br. Pascal: Wenn ab einem gewissen Punkt die Kräfte beginnen zu schwinden und die Teilnehmer ihre erste körperliche Krise durchschritten haben, bricht auch im Innern etwas auf. Bröckelt die körperliche Stabilität, wird der Mensch plötzlich durchsichtig. Alles was im Leben schief gehen kann und unter den Teppich gekehrt wird, um im Alltag zu funktionieren, kommt dann ans Tageslicht. Das reicht von Burnout, zerbrochenen Beziehungen bis hin zu Missbrauch in der Familie und anderen Traumata. 

 

Mit dem Betroffenen seile ich mich während des Gehens von der Gruppe ab, um unter vier Augen zu reden. Ist die Sprechstunde erst einmal eröffnet, kommen nach und nach auch die anderen Teilnehmer zu mir.

 

Die Gespräche haben es dann oft in sich und fordern die ganze Bandbreite meiner therapeutischen und seelsorgerischen Ausbildungen. Man könnte sagen, ich leiste seelische Ersthilfe. Mir macht es aber Spaß, Menschen durch diese Prozesse zu begleiten und zu spüren, dass ich helfen kann. 

 

Allerdings muss ich auch auf mich aufpassen, denn zusätzlich zu den körperlichen Strapazen des Pilgerns kommt meine fordernde Arbeit als Seelsorger. Kehre ich in das Kloster zurück, bin ich die ersten Tage regelrecht platt.

 

SeitenWechsel: Puh, sind Sie immer gleich mit solchen Krisen konfrontiert?

Br. Pascal: Bei fast allen Menschen stellt sich irgendwann die Frage, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen.  Mit um die 30 Jahren haben sie Ausbildungen abgeschlossen und sind erste Karrierewege gegangen. Viele merken allerdings, dass ihr Umfeld etwas von ihnen erwartet, was sie gar nicht erfüllen wollen. Manche fragen sich dann zum ersten Mal, was sie sich vom Leben wünschen. Jemand hat Maschinenbau studiert und spürt plötzlich, dass er lieber mit Menschen arbeiten möchte ist ein solcher Klassiker.

 

So banal die Fragen manchmal klingen mögen, sind sie doch existenziell. Wenn ich an meinem wahren Selbst vorbeilebe, kann das zu tiefen Depressionen führen.

 

SeitenWechsel: Ist eine Pilgerreise immer eine Art Therapie oder kann sie auch nur Urlaub sein?

Br. Pascal: Für manch einen ist es ein Alternativ-
urlaub, weil er schon alles gesehen und erlebt zu haben glaubt. Wandern ist dann das Verrückteste, was ihm noch einfällt. Und natürlich möchten sich viele mit einer großen Tour nur sportlich herausfordern und ihre körperlichen Grenzen erfahren.

 

Pilgern an sich hat aber immer einen therapeutischen Effekt. Spirituelle Erfahrungen sind ebenso eng damit verbunden – auch wenn es nicht jeder zugeben mag. Wenn wir uns körperlich bewegen, dann tut sich auch etwas in unserem Inneren. Besonders Wege und Orte, wo etliche Jahrhunderte lang Menschen gepilgert sind und gebetet haben, verfügen über eine ganz besondere Ausstrahlung. Wissenschaftlich bekomme ich das nicht zu fassen, aber solche Kraftorte tun der Seele gut.

 

SeitenWechsel: Haben Sie durch das Pilgern Einsichten gewonnen, die Ihren Lebensweg entscheidend geprägt haben? 

Br. Pascal: Sicherlich wäre mein Leben in völlig anderen Bahnen verlaufen. Als Jugendlicher bin ich nach BenidiktbeurenBenediktbeuern gefahren, um an einer Tour durch die bayerischen Berge teilzunehmen. Ein Bruder des Salesianer-Ordens leitete die Gruppe und nahm mich beiseite. Er fragte gezielt was mich bewegt und was ich von meinem Leben erwarte. Ab einem gewissen Punkt erkannte ich, Priester werden zu wollen. So verläuft der Idealfall, wenn jemand im Gespräch die bereits vorhandene innere Wahrheit erkennt.

 

Ein anderes einschneidendes Erlebnis hatte ich als Franziskaner auf dem Jakobsweg. Gemeinsam mit einer Gruppe waren wir auf einer besonders körperlich anstrengenden Etappe unterwegs und seit Tagen regnete es in Strömen. Die Teilnehmer wurden zusehends depressiver und schimpften vor sich hin. Ich lief ein Stück voraus, da ich mich nicht durch die miese Stimmung runterziehen lassen wollte. An einem Sonntagvormittag mussten wir durch ein Dorf, in das man wohl etliche Schafe gebracht hatte, denn der ganze Boden war überall zentimeterhoch mit Schafsscheiße bedeckt. Zur gleichen Zeit wurde im Dom meiner Heimat Passau der Gottesdienst gefeiert. Da stand ich nun mitten in Spanien völlig durchnässt im strömenden Regen in der aufgeweichten Schafsscheiße und erkannte, dass auch in diesem Moment Gott bei mir ist. Das hat mich unendlich glücklich gemacht.

 

SeitenWechsel: Sind Sie eher der einsame in sich gekehrte Pilger oder suchen Sie immer die Gemeinschaft?

Br. Pascal: Nur in Ausnahmesituationen brauche ich etwas Abstand, aber ich möchte lieber Menschen um mich herum haben. Alleine würde nie pilgern, weil mir dann das Alleinesein auf die Füße fallen würde.

 

Wenn wir in der Gruppe unterwegs sind, gehen wir aber auch bewusst eine zeitlang schweigend nebeneinander her. Jeder kommt dann besser zu sich und nimmt die Natur um ihn herum viel intensiver wahr. Man ist ganz bei sich und dennoch nicht alleine. Mit anderen Menschen in Stille zusammen zu sein, ist unglaublich intim. Ohne zu sprechen können wir unsere Verbundenheit spüren – das ist eine starke Erfahrung.

 

SeitenWechsel: Per Pedes unterwegs zu sein ist ja die langsamste Form des Reisens. Nimmt man dann Land und Leute ganz anders wahr?

Br. Pascal: Die wenigsten Pilger wollen sich nur von A nach B bewegen, sondern neue Menschen kennen lernen, in Kultur und Natur eintauchen. Besonders in kleinen Dörfern in Italien erfährt man eine  herzliche Gastfreundschaft, die man in Deutschland in der Form nicht kennt. 

 

Die Menschen freuen sich über deinen Besuch. Du selbst weißt noch gar nicht, woher du etwas zu essen bekommst, da setzen fremde Menschen alle Hebel in Bewegung, damit eine Viertelstunde später die dampfende Pasta vor dir steht.

 

Auf der anderen Seite sind da aber auch die Strapazen. Gefühlt nimmt der Weg kein Ende, es ist wahnsinnig heiß, du hast Blasen an den Füßen und willst nur noch irgendwo ankommen. Manchmal machen auch Teilnehmer zwischendurch schlapp, sodass ich mich um sie kümmern muss.

Foto: Guenther Freff

 

SeitenWechsel: Zum Glück sind Sie ja ein
sportlicher Typ.

Br. Pascal: Eigentlich erstelle ich für jede Reise einen detaillierten Masterplan, aber es kommt oft anders, als gedacht. Letztes Jahr in Italien konnte ich plötzlich meinen Rucksack keine 20 Meter mehr weit tragen. Durch die Hitze hatte ich mein hohes Fieber nicht bemerkt. Gott sei Dank war auch Bruder Bernhard dabei, der sich aber nicht zutraute, die Gruppe ganz alleine zu leiten.

 

Zunächst wollte ich mich nur für zwei Tage bei Ordensschwestern einquartieren, Kräfte tanken, während die anderen schon einmal vorlaufen. Leider war die Reise ab diesem Punkt für mich ganz zu Ende, weil ich richtig krank wurde.

 

Nun musste sich die Gruppe zusammenraufen, in der es zuvor auch Konflikte gab. Ein paar Teilnehmer hatten zum Ärger der anderen abends ein paar Gläser Rotwein zu viel getrunken. Durch die gemeinsame Krise mussten alle an einem Strang ziehen und sind dabei über sich hinaus gewachsen. Im Nachhinein habe ich gehört, dass es für alle eine wertvolle Lektion war. Die Reise ist unter dem Strich ohne mich sogar besser gelaufen. Manchmal gibt es eben solche göttliche Fügungen.

 

Kontakt:

Br. Pascal Sommerstorfer ofm
Franziskanerkloster Fulda
Am Frauenberg 1, 36039 Fulda

Tel.: 0661/ 10 95 41
mobil: 0151/ 40 25 79 09

www.projekt.sandamiano.de

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