Quo Vadis, Frauenberg?

Ortsbestimmung beim Inklusionsprojekt

Nicht für alle, aber für viele Fuldaer ist der Frauenberg ein besonderer Ort. Schon der Weg dorthin lässt einen nicht unberührt. Vom Domviertel durchs Paulustor führt er zur grünen Lunge des Gründerzeitviertels. Unter den Schirmen mächtiger Kastanien steigt er langsam an bis zum Fußpunkt des barocken Promenadenwegs. Das schönste Stück geht steil hinauf, leicht außer Atem erreicht man den Vorplatz der Klosterkirche.

Nicht für alle, aber für viele Fuldaer ist der Frauenberg ein besonderer Ort. Schon der Weg dorthin lässt einen nicht unberührt. Vom Domviertel durchs Paulustor führt er zur grünen Lunge des Gründerzeitviertels. Unter den Schirmen mächtiger Kastanien steigt er langsam an bis zum Fußpunkt des barocken Promenadenwegs. Das schönste Stück geht steil hinauf, leicht außer Atem erreicht man den Vorplatz der Klosterkirche. Als Bonifatius vor 1270 Jahren denselben Weg ging, wird er sich durch Büsche und Hecken geschlagen haben. Vielleicht gab es Trampelpfade. Weil ihm das Gehämmer der Steinmetze unten am Kloster auf die Nerven ging, soll er recht oft hinaufgestiegen sein. Man sieht ihn da, dem Himmel ein Stück näher, auf einem Baumstumpf sitzen und über den ausgedehnten Eichenwald Eihloha blicken. Als Mann der Tat ließ er am Gipfel eine Kapelle zimmern. So wurde der Hügel, den die Leute bald den Bischofsberg nannten, zu einem der frühesten Versammlungsorte der germanischen Christenheit. Große Traditionen beginnen klein.

Aus heutiger Sicht ist der Frauenberg vor allem durch die Franziskaner geprägt, die seit 400 Jahren die Stellung halten und geistliche Anlaufstelle auch für solche sind, die sich andernorts mit ihrer Kirche schwertun. Zu den Blütezeiten des Katholizismus lud eine ganze Stadt hier oben ihre seelische Last ab. Nicht nur wegen des geographischen Gefälles fiel den Fuldaern der Abstieg leichter als der Aufstieg. Besinnung, Buße, Gebet, soziale Tat – all das verbinden die Menschen noch heute mit dem Frauenberg. Doch stimmt das überhaupt?
Wer ehrlich ist, muss zugeben, dass die spirituelle Bindekraft des Ortes schwächer geworden ist. Immer weniger Menschen finden Zugang zur überlieferten Religion, immer weniger kennen und erleben Kirche von innen, nicht erst wegen der letzten Skandale. Seit Jahrzehnten schon kann sich kaum ein junger Mensch ein Leben als Ordensmitglied vorstellen. Der Konvent ist entsprechend auf eine Handvoll Brüder geschrumpft, eine Tatsache, die im scharfen Kontrast zum mächtigen Konventsgebäude steht, das ab stellen müssen – und wollen. Nach wie vor gibt es 1757 errichtet wurde und prominent zur Stadtkulisse zählt. Dieses Missverhältnis erzeugt auch enorme wirtschaftliche Probleme. Endet bald die christliche Tradition hier oben?

EIN STÜCK WEIT VERWELTLICHT

2014 begannen Pater Cornelius, Provinzialminister der Franziskaner in Deutschland, und Rainer Sippel, damaliger Geschäftsführer von antonius, Pläne zu schmieden, wie durch eine Kooperation der Ort erhalten werden könnte. Dazu muss man wissen, dass die Franziskaner seit der Gründung des Antoniusheims vor 120 Jahren in der Institution präsent sind und sie geistlich begleiten. Auch für den dort lebenden und wirkenden Schwesternkonvent ist die Verbindung wichtig. So führte der geistige Gleichklang schnell zu folgendem Gedankenspiel: Menschen mit und ohne Behinderungen sollten auf dem Frauenberg zusammen leben und arbeiten, die leerstehenden Räume vielfältig genutzt werden, der Brüderkonvent am Ort bleiben. Durch die Öffnung für die Öffentlichkeit würde die Attraktivität gesteigert, der Ort auch wirtschaftlich belebt, aber so, dass sein besonderer Charakter erhalten bliebe. Anfang 2017 wurde die Sache real. Viel Kraft, viele Ideen und auch viel Geld sind seitdem in das Projekt geflossen. Das Klostercafé FLORA mit seiner schönen Terrasse wurde sehr gut angenommen, das Tagungshaus florierte, etwa einhundert Arbeitsplätze in mehreren Bereichen wurden geschaffen, vierzig davon für Menschen mit Behinderungen. Der Plan ging auf. Viel mehr Menschen als früher zog es nun auf den Bischofsberg, aber auch immer öfter aus ganz anderen Gründen als zuvor. Das religiöse Empfinden trat trotz neuer und gut angenommener Gottesdienstformate in den Hintergrund, der Ort verweltlichte ein Stück weit. Sehr viel Positives ist im sozialen Bereich entstanden, aber viel Gegensätzliches, gerade den Alltag betreffend, muss harmonisiert werden. Leicht ist das nicht immer.


Unterzeichnung des Kooperationsvertrags in 2016


WENIG RESPEKT DEM ORT GEGENÜBER

Wenn Pater Thomas Robelt, der derzeitige franziskanische Seelsorger bei antonius, und Christian Bayer, der zuständige Geschäftsführer, die Zukunft skizzieren, wird klar, dass sie manche Weiche anders stellen müssen – und wollen. Nach wie vor gibt es ungelöste wirtschaftliche Probleme und auch die Balance zwischen Tradition und Öffnung gelingt nicht immer. Ganz offen sprechen sie die heiklen Themen an. Pater Thomas berichtet von extrem wuseligen Wochenenden im Sommer: High Life auf der Terrasse des Klostercafés, in jedem Winkel der Anlage lärmende Besucher, manche mit wenig Respekt dem Ort gegenüber. Der Umsatz wird einerseits gebraucht, weil nur so die sozial geförderten Arbeitsplätze mitfinanziert werden können. Das Konzept will ja realitätsnahe Arbeitsplätze mit vielen Anlässen zur Begegnung schaffen. Gerade weil hier keine abgeschottete Sonderwelt entstanden ist, können junge Menschen mit Behinderung bei ihren Tätigkeiten im Service, in der Küche oder im Housekeeping beruflich und persönlich wachsen. So steigen ihre Chancen auf ein reguläres Beschäftigungsverhältnis und auf die Übernahme in einen Partnerbetrieb von antonius.


Ganz gleich was stattfindet, der Frauenberg soll

 


ein Ort der Begegnung,

Auf der anderen Seite ist zu viel Rummel der Atmosphäre abträglich, derentwegen ja auch viele Menschen hier hochkommen. So stellt sich zum Beispiel die Frage, ob es klug ist, im Sommer eine Vielzahl an Familienfeiern für Leute auszurichten, die vielleicht nur die Kulisse und den tollen Blick über Fulda schätzen, aber mit der christlichen Tradition gar nichts am Hut haben. Nicht alles, was sich wirtschaftlich lohnt, passt zum Konzept und zum Ort. Eine austauschbare Ausflugsgastronomie ist nicht das Ziel. An solchen Punkten taucht bei den Verantwortlichen oft die Frage auf: Was heißt eigentlich „franziskanisch“? „Die Themen von Franziskus sind die gleichen wie heute“, sagt Bayer. “Nachhaltigkeit, Achtsamkeit, Umgang mit Mensch und Natur und den Tieren vor allem. Ist es gut, so viele Tiere zur Fleischerzeugung zu produzieren? Viele junge Menschen denken sehr reflektiert darüber nach und könnten sich gut mit Franziskus identifizieren.“ Pater Thomas stimmt zu, gibt aber selbstkritisch zu bedenken: „Es ist schön, sich mit Franz von Assisi und seinem einfachen Lebensstil zu schmücken, aber viel wichtiger ist es, dass man es an uns selbst sieht.“ Dabei denkt er etwa daran, wie viele Lebensmittel am Frauenberg manchmal weggeworfen werden mussten. Weil so etwas nicht passieren darf, wurde das Mittagessen kürzlich so umstrukturiert, dass sich alle Mitarbeiter aus den verschiedenen Arbeitsbereichen am selben Buffet bedienen. Wird es nur an einem Ort angeboten, bleibt automatisch weniger übrig. So hat sich die Situation deutlich verbessert. Oft sind es kleine Korrekturen, die einen Ort authentisch machen.

WICHTIG IST, DASS ES SICH ECHT ANFÜHLT

Christian Bayer und Pater Thomas versuchen, auch für Veranstaltungen und andere Angebote Prüfkriterien zu etablieren, die bei der Entscheidung helfen sollen, ob etwas zum Frauenberg passt. Idealerweise sollten drei Kriterien erfüllt sein: Gastlichkeit, Geistlichkeit und Inklusion. Oder franziskanisch ausgedrückt – und weil alle Welt derzeit von 3G spricht: Alles, was hier stattfindet, sollte einen gastlichen, geistlichen und geschwisterlichen Charakter haben. Oft gelingt das sehr gut, vor allem bei den beliebten Hoch-oben-Gottesdiensten, wo es im Anschluss zu zwanglosen Begegnungen bei einer Bratwurst und einer Flasche Frohnatur kommt. Da stehen die Besucher, die Mitarbeiter von antonius und die Franziskaner bunt gemischt zusammen, da lebt der Frauenberg. Natürlich lassen sich nie hundert Prozent erreichen, aber die Messlatte soll fortan höher gelegt werden. Wenn zum Beispiel ein großes Unternehmen über längere Zeit die Tagungsräume mietet, könnte man eine gemeinsame Vesper anbieten. Andererseits wollen das die Tagungsgäste vielleicht gar nicht. Dann wäre es aber zumindest gut, Ihnen zu Beginn für eine halbe Stunde die Anlage zu zeigen und ihnen ein Gefühl für den Ort zu vermitteln.

 

                   
Pater Thomas Robelt, Hausgeistlicher bei antonius        Christian Bayer, zuständiger Geschäftsführer


Auch die anstehende Gartenumgestaltung ist Thema: Müssen es so spektakuläre Entwürfe sein, die auf Wirkung zielen? Muss wirklich so vielerlei dort untergebracht werden, um alle Möglichkeiten zu haben? Oder kommt man dem Ziel näher, wenn man einfache Rückzugsmöglichkeiten schafft und am Ende des Gartens vielleicht ein Kräuterbeet anlegt, das für die Selbstversorgung genutzt wird, so wie es im Kloster immer war? Wichtig bei allem ist, dass es sich echt anfühlt. Dass die Haltung stimmt und alles in seiner Funktion einfach und natürlich gestaltet ist. Der Frauenberg muss gleichsam von innen entwickelt werden – aus seiner eigenen Tradition heraus. Nur dann bleibt er ein Ort, der für sich selbst spricht und keine großen Worte nötig hat. Das gilt auch für spirituelle Angebote, die nicht aufgesetzt oder überzogen sein dürfen. Man darf den Menschen nichts vorspielen und nichts künstlich inszenieren. „Es sollte nicht so sein, dass ein Pater im Halbstundenrhythmus über die Terrasse läuft und den Grüßonkel macht, damit alle merken: Ach, hier gibt es ja noch welche!“, spitzt Bayer den Gedanken zu.

INNEHALTEN BEIM GLOCKENLÄUTEN

Ein entscheidender Gewinn ist es, dass im Moment die Kooperationspartner näher zusammenrücken und die nächsten Schritte gemeinsam entwickeln wollen. Das war nicht immer so, denn einige Brüder zogen sich eher zurück, weil ja antonius jetzt dafür zuständig sei. Inzwischen ist Einsicht gewachsen, dass Entscheidungen besser sind, wenn sie partnerschaftlich getroffen werden. Auch die Förderer und Freunde des Frauenbergs müssen eingebunden und mitgenommen werden. Ihre Begeisterung ist enorm wichtig, nur gilt es aufzupassen, dass bei aller Kreativität und bei allem Gestaltungswillen der Kern nicht übersprungen wird. Bei offiziellen, aber auch bei allen anderen Anlässen braucht es verstärkt Gelegenheiten, bei denen die eigentliche Kraftquelle deutlich empfunden werden kann. Christian Bayer betont, dass es solche Momente immer wieder gibt, er bemerkt aber auch, dass manchmal schon das mittägliche Läuten der Angelusglocke als störend wahrgenommen werde. „Das könnte man umgekehrt auch auf sich wirken lassen und mal innehalten“, schlägt Pater Thomas vor, „denn das Läuten soll die Christen daran erinnern, dass Gott Mensch geworden ist. Genau diese menschliche Seite an Gott war ja Franziskus so wichtig, der Gedanke, dass es keinen Ort auf der Welt gibt, an dem er nicht zu finden ist.“ Ob der Frauenberg auch als geistlicher Ort eine Zukunft hat, hängt wesentlich von der Haltung ab, mit der die Dinge weiter vorangetrieben werden. 2027 läuft der erste Kooperationsvertrag zwischen antonius und den Franziskanern aus. Es wäre ein Verlust für beide Seiten, wenn er nicht verlängert würde und die mehr als tausend Jahre währende christliche Tradition ihr Ende fände. Bei Corona mag 2G besser sein als 3G. Bei den Prüfkriterien auf dem Frauenberg ist es umgekehrt: Ohne das Geistliche drohen am Ende auch das Gastliche und das Geschwisterliche zu schwinden. Beispiele gibt es genug.


ein Ort der geistlichen Erfahrung und



ein Ort des geschwisterlichen Miteinanders sein.

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