Roughtough

Vom Starkmachen: Das Unternehmen engelbert strauss trifft auf antonius

Sanft gleitet die Kamera über ein Waldgebiet der Rocky Mountains. Man sieht Rotorblätter, die sich in Zeitlupe durch die Luft fräsen. Beim Anflug auf den Gipfel erscheint eine besondere Baustelle, auf der aus Holz eine futuristische Aussichtsplattform errichtet wird. Zimmermannsträume. Vier Sägeblatt-Helden legen Hand an: tough, kühn, unrasiert und von Kopf bis Fuß in engelbert strauss-Montur gekleidet.

Und immer wieder werden Musiker eingeblendet, die eine Rockhymne zum Besten geben. „We believe in the power, that makes you believe in yourself“, dröhnt es sakral. Dabei ersetzen Schraubenschlüssel und Ölfässer die Drums, Funken sprühen im Takt, und als Kontrast zaubert eine zarte Weiblichkeit ihr Geigensolo in den Dunst. Zuletzt sitzen die Helden am Lagerfeuer wie seinerzeit in der Marlboro-Werbung und genießen die Welt, ihr Werk und sich selbst.

Es ist ein raffiniertes Musikvideo, das seit 2014 die neue Bekleidungslinie „roughtough“ flankiert. Seine Beliebtheit lässt sich bei Youtube ablesen. Eine viertel Million mal geklickt, 1653 positive Bewertungen, nur 44 negative. Das ist ein irre guter Wert, wenn man bedenkt, dass sich alle diesen Clip noch einmal freiwillig angesehen haben, nachdem sie ihn als TV- oder Kinowerbung vorgesetzt bekamen. Ein Blick in die Kommentarspalte verdeutlicht die Faszination. User 1: „Geiles Lied, geiler Schnitt, geiles Video! Da haben die Marketing-Leute etwas richtig gemacht“. User 2 wirft ein: „Gut gemacht, aber viel zu überladen.“ „Quatsch“, entgegnet User 3. „Vom Handwerk her ist der Spot echt genial!“

Empowering people

Genau das ist der Punkt. Hier wird nicht nur aufwendig Produktwerbung betrieben, es wird eine Botschaft gesendet: „Trau es dir zu! Glaube an dich selbst! Sei stolz auf dich!“ Man sieht Musiker, die irgendwie Handwerker sind, aber auch Handwerker, die irgendwie Künstler sind und Großes schaffen. Es ist eine Hommage an den durch Handarbeit über sich hinauswachsenden Menschen. Schlicht, aber geradlinig.

Wer so etwas wie Blaumänner auf den Markt wirft, kann normalerweise nicht damit rechnen, im Mainstream anzukommen. Wer aber den Blaumann so attraktiv und funktional gestaltet, dass ihn auch der Sohn und die Ehefrau des Handwerkers in ihrer Freizeit tragen möchten, der schmeichelt ihm, der stärkt sein Selbstbewusstsein: „Endlich sehen wir Handwerker so aus, wie wir es verdient haben!“ Mehr wie Extrembergsteiger, Regattafahrer und andere Abenteurer eben. Und so spüren angesichts des modernen „workware“-Outfits irgendwie alle, dass jeden Tag auf den Baustellen unseres Landes großes Kino stattfindet.

Auf diese Weise hat engelbert strauss dem körperlich arbeitenden Menschen den Rücken gestärkt: empowering people. Fortan tragen die so Gestärkten das rote Logo mit dem afrikanischen Riesenvogel mit Stolz und sind – der Youtube-Kommentar zeigt es – immens dankbar. Eine Dankbarkeit, die sich in Millionenumsätzen niederschlägt.

Stichwort: Familienbetrieb

Wer steckt hinter diesem Wirtschaftsmärchen? Schiebt man die Hochglanzwerbung mit ihrem „roughtough“-Jargon mal beiseite und schaut auf die geistigen Triebkräfte des Unternehmens, stößt man auf bewährte Kaufmannstugenden – und christliche Wurzeln. „Das Wichtigste ist, zu sich selbst zu sagen: Nimm dich nicht so wichtig!“, ist die spontane Antwort von Norbert Strauss auf die Frage nach dem Erfolgsrezept. Schmunzelnd fügt der Seniorchef hinzu: „Von Johannes XXIII. geklaut.“ Schon in seinen Schulferien begleitete der DPSG-Pfadfinder und Messdiener seinen Vater bundesweit im Außendienst, lernte, genau hinzuhören und zu begreifen, „wie unsere Kunden ticken“. Beobachten, Schlüsse ziehen, sich selbst nicht in den Vordergrund spielen, sparsam mit Worten umgehen, das gehört zum Kaufmannsethos der „Sträuße“, wie er die Mitglieder der eigenen Sippe nennt.

Die Firma engelbert strauss lässt produzieren, entwickelt ihre Produkte aber selbst. So sind sie Interessenvermittler zwischen Hersteller und Kunden. Ihre Strategie: die Produktionsrisiken den Herstellern überlassen, die Produkte funktionell, aber trendy gestalten und sie mit entsprechender Handelsspanne an den Mann und mittlerweile auch an Frau und Kind bringen.

Im letzten Jahr hat Norbert Strauss die Hauptverantwortung an seine Söhne Henning und Steffen übergeben und damit an die vierte Generation. Mit Nachdruck spricht er von der Wichtigkeit der rechtzeitigen Firmenübergabe, von der Gefahr, dass die „Patriarchen oft nicht loslassen“ können. Vor allem aber vom „Glühen für das Unternehmen“, das man den Kindern vorleben müsse!. Man müsse ihnen ihre Freiheit lassen, aber doch positiv darauf hinwirken, dass sie irgendwann „ja“ zur Firma sagen. Es gehe darum, sie zu ermutigen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Und da taucht es dann wieder auf, das Grundmotiv aus der Werbung: empowering people, Menschen stark machen.

Das gilt auch in Bezug auf die Mitarbeiter. Es wird geduzt bei engelbert strauss – seit jeher. Nicht das aufgesetzte und wenig belastbare Du der New Economy-Büros, sondern das dörfliche Du von Biebergemünd. Da kennt man nicht nur den Arbeiter, sondern auch dessen Familie und die Hintergründe. Da ist der Ton verbindlich. Menschen werden systematisch aufgebaut, um sie langfristig im Betrieb zu halten, von der breitgefächerten Lehrlingsausbildung an. Alles ist auf Nachhaltigkeit ausgerichtet, nicht nur weil es sich rechnet, sondern einfach auch, weil es dem inneren Rhythmus der Menschen aus der hessischen Gemeinde entspricht.

Die Spende

Im Jahr 2013 hat sich die Familie Strauss dazu entschlossen, die Gesamtkosten für den Neubau der Modellschule des antonius Netzwerks in Fulda zu übernehmen. Ein Paukenschlag. Wie alles bei engelbert strauss, so ist auch diese Spende großformatig. „Wir machen nur das, wovon wir wissen, dass es etwas bewirkt. Etwa in Simbabwe, wo wir die Ausbildung zu beeinflussen suchen. Ebenso bei unseren Produktionsstätten in Asien.“ Bei all derartigen Initiativen geht es um Strukturverbesserung, um Wurzelpflege. „Förderung ist wichtig!“, betont Strauss. „Die Bedeutung von Jugendarbeit ist mir bei den Pfadfindern bewusst geworden. In der Jugend werden Leitplanken gesetzt! Später kann man manches nicht mehr korrigieren.“ Daher auch die jetzige Entscheidung, so viel Geld in ein Schulgebäude zu stecken, in welchem in wenigen Monaten Inklusion gelebt und weiterentwickelt werden soll.

Aber Norbert Strauss wäre kein richtiger Strauss, wenn er mehr verraten würde. Der Satz „Tue Gutes und rede darüber“, ist seine Sache nicht. Dass er vom Netzwerk antonius fasziniert ist, gibt er freimütig zu, besonders von der Offenheit und Herzlichkeit, von der kaufmännischen Führung des Hauses. „Herr Sippel hat mich davon überzeugt, dass das eine gute Sache ist, auch wenn die Backsteine schon hundert Jahre alt sind.“ Näheres über das Motiv, eine so mächtige Summe in Menschen mit Behinderungen zu investieren, sind nicht zu entlocken. Doch dann fällt noch der Satz: „engelbert strauss und das Antoniusheim gleichen sich in der Philosophie.“ Das irritiert zunächst. Vor allem, wenn man an die geschmeidigen Sägeblatt-Helden aus der Werbung denkt, an die beherrschende Ästhetik, die auf Perfektion und Stärke setzt, die einen Typus verklärt, von dem Menschen mit einer Behinderung so weit, weit entfernt sind. „Roughtough“ bei antonius? Wie geht das zusammen?

engelbert strauss meets Netzwerk antonius

Die Irritation entsteht nur beim Blick auf die Oberfläche. Vom Geist der beiden Unternehmen her geht es hervorragend zusammen, denn „empowering people“ ist auch das Kerngeschäft von antonius. Auch hier dreht sich alles um Förderung, um Verselbständigung und um einen Wandel der Mentalität: Menschen aufbauen, Barrieren in den Köpfen abbauen. „Believe in yourself“, das sagt man auch hier – nur anders. Selbst die Unternehmensstrukturen gleichen einander, denn als Bürgerstiftung ist das Netzwerk wie ein privates Unternehmen organisiert: Es muss mehr als andere Sozialinstitutionen mit einem gewissen Gewinnstreben arbeiten, es muss massiv für sein soziales „Produkt“ werben und immer wieder in neue Projekte investieren. Zudem geht es auch hier um das Vermitteln von Interessen: Die Bedürfnisse der Betroffenen müssen tagtäglich mit denjenigen der Gesellschaft, der Wirtschaft usw. in Einklang gebracht werden – zum Gewinn von beiden Seiten.

Die dritte, vielleicht offensichtlichste Passung besteht in der großen Wertschätzung der Arbeit, die auch hier meist Handarbeit ist. Menschen mit Handicaps in reguläre Arbeit zu bringen ist mehr als nur der Versuch, den Sozialstaat zu entlasten. Es bedeutet, ihnen den Anschluss an die gesellschaftlichen Wirklichkeiten zu ebnen, bedeutet Normalisierung, zwanglose Begegnung. Vor allem: Arbeit ist eine natürliche Quelle des Stolzes und der Wertschätzung. Kaum eine andere Stadt kann im Verhältnis so viele Firmen vorweisen, die aus Überzeugung Menschen mit einer Behinderung regulär und zu fairen Löhnen beschäftigen wie Fulda. Vor allem Dank der „antonius-Tochter“ Perspektiva GmbH ist die osthessische Metropole Inklusions-Standort Nr. 1. Dem Anspruch nach soll jeder seinen Arbeitsplatz finden können, und die Leute von Perspektiva lassen sich enorm viel einfallen, um passgenaue Arbeitsplätze auch in schwierigen Fällen zu finden oder solche vereint mit willigen Unternehmern zu schaffen.

Wer Perspektiva-Jugendliche länger in einem solchen Aufbauprozess begleitet, der spürt, wie sie allmählich aufblühen, wie sie an ihrer Aufgabe wachsen, Stolz entwickeln und schließlich auch neue Wertschätzung erfahren. Die sitzen dann zwar nach getaner Arbeit nicht am Lagerfeuer wie im Spot von engelbert strauss, aber etwas von diesem Einklang mit Gott und der Welt kommt dann doch auf. „Roughtough“ bei antonius? Passt.

Arnulf Müller

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