„Schimpfe nicht über die Dunkelheit, sondern zünde ein Licht an“

Im Iran geboren, in England studiert, nach Deutschland eingewandert:

Der Weltbürger Hashem Savoji zog vor fast 30 Jahren nach Fulda und wurde hier heimisch. Und dies, obwohl  ihm die Stadt anfangs überhaupt nicht gefallen hat. Über viele Jahre engagierte er sich im Ausländerbeirat und half mit, die Atmosphäre der Stadt offener und freundlicher zu gestalten. Dafür wurde er mit dem Ehrenamtspreis „Fuldaer Rose“ ausgezeichnet. Auch heute noch ist er ein leidenschaftlicher Kämpfer für Demokratie, der gerne unterschiedliche Welten miteinander verbindet.

SeitenWechsel: Herr Savoji, warum haben Sie Ihrer Heimat damals den Rücken gekehrt?

Savoji: Mit 17 habe ich meine Heimat verlassen, um in England Landmaschinenbau zu studieren, obwohl ich in meinem Leben höchstens einmal Traktor gefahren bin. Ich stamme aus der Großstadt Teheran und habe mit Landwirtschaft und Tieren im Grunde nichts zu tun gehabt. Mit meinem erworbenen Wissen wollte ich aber in den Iran zurückkehren und helfen, mein Land aufzubauen.

SeitenWechsel: Stattdessen haben Sie sich für Fulda entschieden?

Savoji: Im Studentenwohnheim in Newcastle habe ich meine heutige Frau Sigrid kennengelernt. Dann brach der Iran-Irak-Krieg aus, und ich konnte nicht mehr in meine Heimat zurückkehren, denn dann hätte ich als Soldat in den Kampf ziehen müssen. So bin ich nach Deutschland und habe an der Universität in Aachen Deutsch gelernt. Schließlich bekam Sigrid eine Arbeitsstelle am Fuldaer Klinikum, und später haben wir geheiratet. Zunächst sind wir zwei Jahre lang zwischen Aachen und Fulda gependelt, bevor wir uns letztendlich in Sickels ein Haus gekauft haben. Heute arbeite ich an der Hochschule, wo ich auch Informatik studiert habe.

SeitenWechsel: Die Bauern aus der Rhön profitieren also nicht von Ihrem Landmaschinenbaustudium?

Savoji: [lacht] Vielleicht hat sie das sogar gerettet.

SeitenWechsel: Wie war Ihr erster Eindruck von Fulda?

Savoji: Als wir 1986 nach Fulda kamen, waren unsere ersten Gedanken: „Um Gottes willen!“ und: „Wir bleiben nur ein Jahr.“ Wir hatten zuvor in vielen Großstädten wie beispielsweise Köln gelebt, in denen alles aufgrund der unterschiedlichen Nationalitäten und Hautfarben bunt war. In Fulda war damals alles eher grau. Im Grunde gab es nur das „Kreuz“ als Diskothek in unserer Nähe, wo es ein bisschen gemischter zuging. Früher standen auch bei den Cafés noch keine Tische und Stühle draußen. Ich kann mich noch an die Debatten erinnern, ob man in der Friedrichstraße Straßencafés erlauben sollte. „Wir sind doch nicht in Süditalien“, haben Kritiker gesagt. Heute ist Fulda nicht nur ein schönes Städtchen, wo Freunde aus aller Welt zusammenkommen, sondern die Stadt hat auch kulturell viel zu bieten.

SeitenWechsel: Was hat Sie dazu bewogen, doch in Fulda zu bleiben?

Savoji: Anfangs hatten wir viele Vorurteile gegenüber Fulda. Menschen schützen sich immer durch Vorurteile, und erst im Prozess des Kennenlernens haben sie die Chance, sich echte Urteile zu bilden. In England hieß es beispielsweise immer, dass die Deutschen keinen Humor hätten. Das Vorurteil kam hauptsächlich durch deutsche Kriegsfilme zustande. Als ich dann eine deutsche Freundin hatte, habe ich schnell gemerkt, dass Deutsche sehr wohl gerne lachen. Aber ihr Humor ist eben anders. Man muss die Chance haben, jemanden kennenzulernen. Dadurch haben wir in Fulda Freunde und eine gute Nachbarschaft gefunden. Wegen dieser Beziehungen war mir die Stadt nicht mehr länger fremd; es kehrten Vertrautheit und Lebensfreude ein. Es gab aber kein Schlüsselmoment. Irgendwann haben wir uns einfach entschlossen zu bleiben. Fast dreißig Jahre leben wir nun in Fulda, unsere Kinder sind hier aufgewachsen und zur Schule gegangen.

SeitenWechsel: Haben Sie sich als Iraner in Deutschland willkommen gefühlt, oder war man Ihnen gegenüber reserviert?

Savoji: Es gab selten direkte Ausländerfeindlichkeit, sondern eher eine Ausländerängstlichkeit. Auch hier waren Vorurteile eine Ursache. Meine Großmutter im Iran war ein lieber, hilfsbereiter und sehr religiöser Mensch. Als Schüler hatte ich einen Freund, der kein Moslem war. Meine Oma hat davon erfahren und mir verboten, das Haus meines Freundes zu betreten, und ich durfte dort auch nichts essen. Das war damals wegen dieser Beziehungen eine sehr vergiftete und abergläubische Atmosphäre. Ich habe meinen Freund dennoch besucht, und wir haben immer Kuchen bekommen. In meiner Familie habe ich davon nichts erzählt. Meine Großmutter hat sich nichts Böses gedacht, sondern sie wollte mich nur beschützen. Personen wie meine Großmutter gibt es in allen Gesellschaften. Damals in Aachen war es für mich schwierig, eine Wohnung und eine Arbeitsstelle zu finden, um mein Studium zu finanzieren. Hier wurde ich mehrmals diskriminiert, auch wenn im Nachhinein manches lustig erscheint. Ein Vorarbeiter der Universität Aachen hat bei der Vergabe von Tagesjobs die Gruppen bewusst nach Hautfarbe und Herkunft sortiert. Die Ausländer sollten die „dreckigere Arbeit“ erledigen. Da ich sehr hellhäutig bin, kam ich in die Gruppe für die leichteren Tätigkeiten – bis ich meinen Mund aufgemacht habe und mein Akzent zu hören war. Sofort hat mich der Vorarbeiter zu den Ausländern gesteckt.

SeitenWechsel: Gibt es so etwas auch heutzutage noch, eventuell auch in Fulda?

Savoji: Leider ja. An der Hochschule haben mir Studenten aus Kamerun erzählt, dass sie nicht in die Diskothek gelassen wurden. Mit dunkler Hautfarbe und ausländischem Namen ist es auch teilweise schwer, eine Wohnung zu finden. Und Bewerber mit deutschen Namen werden häufiger zu Vorstellungsgesprächen eingeladen als mit ausländischen. Aber das ist kein Phänomen speziell aus Fulda, sondern das ist noch ein Problem in ganz Deutschland.

SeitenWechsel: Wie können solche Vorbehalte  abgebaut werden?

Savoji: Man muss die Menschen näher zueinander führen, dann wächst das Verständnis füreinander ganz von selbst. 1993 sind am Fuldaer Domplatz Neonazis aufmarschiert. Damals war ich zu Besuch im Iran und habe dort aus den Medien davon erfahren. Viele Iraner haben mich angesprochen und meinten, mein Leben wäre in Fulda in Gefahr. Doch es gab ja auch die entsprechenden Gegendemonstrationen für eine bunte Stadt. Zu dieser Zeit war ich schon stark politisch interessiert und habe mit Gleichgesinnten den Verein „Uno – eine Welt in Fulda“ gegründet. Kurz darauf gab es den Ausländerbeirat in Fulda, in dem ich acht Jahre lang aktiv war. Zunächst als stellvertretender Vorsitzender und dann als Vorsitzender. Das war für mich eine lehrreiche Zeit. Meine Aufgabe war es, zwischen den Kulturen Brücken zu bauen. So manches hat mir dabei im Stadtparlament nicht gefallen, ebenso wie in manchen Vereinen, in denen nur herumgesessen und genörgelt wurde. Ich halte mich an den Spruch: „Schimpfe nicht über die Dunkelheit, sondern zünde ein Licht an!“ So habe ich meine Aufgabe verstanden. Mit der Zeit habe ich sogar meine politischen Gegner schätzen gelernt, auch wenn sie komplett anders dachten als ich. Denn auch sie sind ein wertvoller Bestandteil unserer Gesellschaft. Demokratie lebt immer von der Vielfalt. Sich politisch zu beteiligen sehe ich als wichtig an, um hier anzukommen. Daher wünsche ich mir ein Kommunalwahlrecht auch für Menschen ohne deutschen Pass. Dann könnten sie sich noch besser mit ihrer neuen Heimat identifizieren. Außerdem müssen wir unseren Kindern doch zeigen, dass sich politisches Engagement lohnt. Was ebenfalls wichtig ist: Wir brauchen im Alltag viel mehr Begegnungsmöglichkeiten. Vor ungefähr zehn Jahren arbeitete in der Sparkasse ein Schwarzafrikaner, und immer wenn ich ihn gesehen habe, hat mich das tief berührt. Die Kunden haben gemerkt, wie freundlich er ist. Auch in anderen Unternehmen braucht es Mitarbeiter mit einem ausländischen Namen auf dem Namensschild, die perfekt Deutsch sprechen. Wenn in einem Büro Menschen aus der Türkei, Russland und Deutschland zusammenarbeiten und sie sich vielleicht noch privat kennenlernen, sind die ersten Brücken schon geschlagen. Wenn man nur mit seinesgleichen verkehrt, kann keine Integration stattfinden. In dem Moment, in dem man zusammenarbeiten muss, entstehen Konfliktsituationen, die man dann auch gemeinsam lösen muss.

SeitenWechsel: Für Ihr politisches Engagement haben Sie 2002 die „Fuldaer Rose“, einen Preis für Zivilcourage, verliehen bekommen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Savoji: Die Anerkennung hat mich sehr gefreut, auch wenn ich sie hier ein wenig relativieren möchte. Als Vorsitzender des Ausländerbeirats war ich das Gesicht nach außen, und im Hintergrund waren ebenso wichtige Menschen aktiv. Vor den heimlichen Helden des Alltags habe ich großen Respekt. Manch einer pflegt über Jahrzehnte einen nahen Angehörigen und bekommt dafür keinen Preis. Das Preisgeld in Höhe von 500 Euro habe ich damals für die Erdbebenopfer im Iran gespendet.

SeitenWechsel: Auch wenn Sie heute nicht mehr im Ausländerbeirat aktiv sind, so haben Sie dennoch Forderungen an die Stadt, oder?

Savoji: Ja, wir brauchten zum Beispiel eine zentral gelegene Begegnungsstätte für Mitbürger aus allen Nationen. Vielleicht eine Art Café, in dem man sich regelmäßig trifft. Es gibt noch so viele offene Fragen im Bereich von Migration und Inklusion. Wir müssen uns alle in einer Wertegemeinschaft zusammenfinden. Sobald man sich mit seinem Umfeld identifizieren kann, bringt man sich auch ein. Dann ist es eben nicht egal, ob die Straße dreckig ist, wie es den Nachbarn geht oder ob jemand diskriminiert wird. Dann sind wir füreinander da. Wir müssen Parallelwelten vermeiden, in denen Extremismus entsteht, vor dem ich persönlich Angst habe.

SeitenWechsel: Sie leben nun schon fast drei Jahrzehnte in Deutschland. Woran merken Sie, dass Sie sich verändert haben, wenn Sie Ihre Heimat  besuchen?

Savoji: In manchen Situationen merke ich schon, dass ich deutsch denke. Bei einem Familienpicknick im Park hatte beispielsweise niemand daran gedacht, Decken einzupacken. Darüber habe ich mich sehr aufgeregt, denn wir wussten ja, wie viele Leute wir sind, und daher auch, wie viele Decken man brauchen würde. In Deutschland denkt man mehr darüber nach, was auf einen zukommt, und plant dementsprechend.

SeitenWechsel: Wo haben Sie denn nun als Weltbürger Ihre Wurzeln?

Savoji: Wie viel von mir Iraner und wie viel Deutscher ist, kann ich nur schwer sagen. Ich merke allerdings, dass mich ein iranisches Gedicht viel tiefer berührt  als beispielsweise eines von Schiller. Ebenso ergeht es mir mit iranischer Musik. Wenn ich irgendwo mit meiner Frau stundenlang einer Orgel zuhören muss, dann mache ich das nicht, weil es mir gefällt, sondern ihr zuliebe. Auch nach etlichen Mahlzeiten in der Mensa vermisse ich bald den persischen Reis. Ich stütze mich doch sehr auf meine iranische Säule. Dennoch möchte ich nicht gerne im jetzigen Iran leben. Teheran ist eine Millionenstadt und dazu noch keine schöne. In den vergangenen 35 Jahren hat sich dort kaum etwas geändert. Auch wenn mich der Vergleich ein wenig traurig stimmt, entwickelt sich Fulda deutlich schneller.

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