Vom Tragen der Trachten - Tradition oder Trend?

von Steffen Reith

Warum junge Menschen so gern Dirndln und Lederhosen anziehen

Dirndl und Lederhose sind schon lange nicht mehr nur etwas für Senioren oder Menschen mittleren Alters. Obwohl Trachten für Traditionen stehen, werden sie zunehmend auch von jungen Leuten getragen. Bilden Tradition und Jugend überhaupt einen Widerspruch? Oder feiert und trinkt es sich einfach besser, wenn man sich „verkleidet“ hat? Eine zweite Fastnacht, halt nur im Herbst? Der Run auf Oktoberfeste, Maigaudis und Bierfestivals, die Osthessen zu bieten hat, ist jedenfalls ungebrochen. Junge Leute unter 30 machen das Gros der Besucher aus. Da stellt sich die Frage: Wollen die Osthessen eigentlich lieber Bayern sein?

Das Wiesn-Paar auf der Wiese. Stefan Morawietz und Natalie Kempf

 

Stefan Morawietz und Natalie Kempf haben im vergangenen Jahr ihren Bekanntheitsgrad deutlich gesteigert. Der 29-jährige Zahnarzt und die 27-jährige Steuerberaterassistentin waren das Wiesn-Paar 2018 und damit die Repräsentanten der Fulda Wiesn, die von der Fuldaer Zeitung veranstaltet wurde.

„Vor etwa 15 Jahren war ich das erste Mal in München auf dem Oktoberfest und zunächst geschockt, dass alle Menschen jeglichen Alters in Tracht gekleidet waren“, berichtet Natalie Kempf. Doch es ging rasant schnell, da war sie selbst vom Dirndl-Virus infiziert. Alsbald fand sie es schick, auch, weil es nicht alltäglich sei. 

Nachdem sie und Stefan ein Paar geworden waren, bedurfte es keiner langen Überzeugungsarbeit, ehe sich der damalige Student der Zahnmedizin seine erste Lederhose kaufte. Besuche in München oder auf den Cannstatter Wasen machen halt auch nur richtig Spaß, wenn man entsprechend angezogen ist. „Es ist blöd, wenn du da in herkömmlicher Kleidung rumläufst“, sagt Stefan, der weitere Gründe für den Trachtentrend nennt: „Die jungen Leute suchen Abwechslung und etwas Besonderes. Wenn du an einem normalen Abend in die Stadt gehst, trägst du normale Kleidung. Ist aber Wiesn oder eine ähnliche Veranstaltung, dann ist die Stimmung von Beginn an eine andere, weil du eben auch entsprechend angezogen bist.“ Stefan ist nicht der Meinung, dass der Mann in Lederhose und die Frau im Dirndl den Bayern nacheifern. „Irgendwo muss ein Trend halt beginnen. Aber deshalb verleugnen die Osthessen ihre Identität nicht.“

Doch natürlich gibt es unter den jungen Leuten in Osthessen auch genug, die den Trachten rein gar nichts abgewinnen können. „Mit Tradition hat das doch gar nichts zu tun“, sagt der 22-jährige Jonathan Link. „Viele Leute kennen gar nicht den Grund, warum sie eine Tracht anziehen.“ Da hieße es nur, es stehe ein Oktoberfest an, also müsse man eine Lederhose anziehen. Er selbst ist weit davon entfernt, mitzumachen: „Ich mag solche Veranstaltungen nicht. Ich bin auch kein großer Alkoholtrinker, deshalb muss ich da nicht unbedingt hin.“ Die gleichaltrige Nathalie Maluck gibt sich tolerant: „Wer da hingehen und sich entsprechend anziehen möchte, kann das gerne tun. Mein Fall ist es nicht.“ Sie mache an solchen Abenden lieber etwas unter Freunden und findet auch, dass bei Veranstaltungen dieser Art ganz schön viel getrunken wird. 

Tracht in Kombination mit Party und Feier gibt es übrigens erst seit den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts: Das Münchener Stadtmarketing entwickelte die Idee als Bonbon für die Olympia-Bewerbung der Stadt. Es sei dahingestellt, ob die Dirndln den Ausschlag für den Zuschlag gaben. Seitdem jedenfalls geht Oktoberfest ohne Tracht gar nicht mehr.

 

      Feiern in Verkleidung?

 

Die Musik spielt eine große Rolle

Die Trachtenwelle schwappte dann vor mehr als zehn Jahren nach Osthessen. Seitdem gibt es jede Menge Veranstaltungen, die immer besser besucht werden. Eine davon ist die Kirmes im Großenlüderer Ortsteil Müs. Seit 1988 findet der Kirmestanz statt, 20 Jahre später stieg die erste Party im Zelt. Ein weiteres Jahr später traten erstmals die Dorfrocker aus Unterfranken auf: Eine Band bestehend aus drei jungen Männern, die im deutschsprachigen Raum als Vorreiter der Neuen deutschsprachigen Volksmusik gilt. Die Dorfrocker sind so eng mit der Kirmes in Müs verbunden, dass sie gar als Überraschungsgäste am 50. Geburtstag von Mario Gärtner, dem Vorsitzenden der ausrichtenden Natur- und Heimatfreunde Müs, auftauchten. Gärtner weiß, dass die Musik eine große Rolle spielt. „Im Bereich Volksmusik hat sich viel verändert. Das ist moderner, rockiger und stimmungsvoller geworden. Von der ersten Minute an ist super Stimmung.“

„Die jungen Männer und Frauen putzen sich heraus, weil sie sich selbst und natürlich den anderen gefallen wollen“, erklärt Gärtner, der das Tragen der Tracht ebenfalls als eine Art Verkleidung bezeichnet. Es gehöre für sie dazu, sich modisch und sexy zu kleiden. Auch Gärtner meint, dass in Osthessen eine eigene Dirndl- und Lederhosen-Mentalität besteht. 

Das Outfit muss natürlich passen. Wiesn-Madl Nathalie Kempf beispielsweise hatte zahlreiche Sitzungen im Fuldaer Modeatelier Franc, ehe das Dirndl so saß, wie es sitzen musste. Auf ein tiefes Dekolleté verzichtete sie. „Meine Bluse ist mit Spitze und oben geschlossen. Ich finde es so eleganter und geheimnisvoller“, sagt die 27-Jährige. Stefan erhielt seine Lederhose mit Accessoires von der Trachtenstube Kümpel in Hilders. Sein Outfit kann man durchaus als traditionell beschreiben. Schließlich tritt er mit Weste, Hemd, Lederhose, Socken und Haferl-Schuhen auf. Doch kann der Mann heute auch T-Shirt und Chucks zur Lederhose tragen.

Man merkt dem Wiesn-Paar deutlich an, mit welcher Freude es die Rolle der Repräsentanten übernommen hatte. „Wir haben sogar unsere Praxis im Wiesn-Outfit dekoriert. Viele meiner Patienten haben sich neu eingekleidet, weil sie eine unserer Veranstaltungen besucht haben“, berichtet Stefan. Ihr Freundeskreis zog ebenfalls fleißig mit. „Oft lag es an Stefans Kumpels, dass wir erst morgens ins Bett gekommen sind“, erinnert sich Nathalie lachend. 

Nathalie und Stefan haben übrigens kurzfristig ihre Amtszeit verlängert. Weil die Fulda Wiesn im Jahr 2019 ausfällt, amtieren die beiden weiter, bis es im Jahr 2020 wohl ein neues Paar geben wird. Stefan kann mit dieser Situation gut leben. „Ich bin überzeugt davon, dass Dirndl und Lederhose auch in den nächsten Jahren zum Repertoire der meisten jungen Menschen gehört. Ich habe viele Leute erlebt, die skeptisch waren und nun die entsprechende Kleidung im Schrank hängen haben.“ Die nächsten Jahre werden zeigen, ob die Tracht in Osthessen zur Tradition wird oder nur ein Trend war.

 

Und schon findet sich ein Lächeln im Gesicht  

Kirsten Kümpel-Diegelmann ist Inhaberin der Trachten-Boutique Kümpel in Hilders, die ihr Vater vor 60 Jahren eröffnete. Sie selbst ist seit 30 Jahren im Geschäft. Kaum jemand hat näher miterlebt, wie sich Klientel und Angebot im Bereich Trachten verändert haben. Anfangs gab es die Rhöner Tracht mit langen schwarzen Röcken. Dann kamen Kundinnen mittleren Alters, um sich ein schönes Teil im moderneren Trachtenstil zu kaufen. Heute werden junge Frauen und Männer von ihren Eltern nach Hilders gefahren, weil sie zu jung für einen Führerschein sind. Trachtenmode ist generationsübergreifend.          

 

 

 

Welches Dirndl, welche Lederhose muss man dieses Jahr tragen, um hip zu sein? 

Bei den Frauen sind Spitzenschürze und Glitzer angesagt. Die Lederhose darf bei den Männern ruhig mit etwas Farbe versehen sein. Generell ist die Mode vielseitig. Es gibt sogar Trachtenjacken mit Kapuze. Auch die Auswahl der Schuhe zur Lederhose ist reichhaltig. Sneaker, Turnschuhe, Chucks: Alles ist möglich. Zum kurzen Dirndl werden gerne High Heels und Ballerinas getragen.

Seit wann kommen denn verstärkt junge Leute in Ihr Geschäft?

Das war ein schleichender Prozess, der damit startete, dass zu den großen Volksfesten wie dem Münchner Oktoberfest oder den Cannstatter Wasen nach und nach auch junge Leute mitgenommen wurden. Es kam die entsprechende Musik dazu, dann starteten die Feste in der Region wie die Fulda Wiesn, das Oktoberfest im Esperanto oder die Kirmes in Müs. So stieg die Nachfrage kontinuierlich, ein Abflauen des Trends stellen wir nicht fest.

Gehen die jungen Leute nicht eher zum Discounter, um sich dort einzukleiden? Schließlich ist es dort billiger.  Das mag womöglich beim ersten Kauf so sein. Aber auch junge Frauen und Männer setzen auf Qualität und gute Beratung. Wir lassen niemanden mit einer neuen Tracht aus dem Laden, wenn wir sehen, dass das Dirndl oder die Lederhose nicht sitzt. Ich sage auch der Kundin, wenn das Dirndl nicht zu ihrer Erscheinung passt. Es muss alles stimmen, die Leute müssen sich wohlfühlen. Und ich liebe das immer wiederkehrende Szenario: Die Frau tritt im neuen Dirndl vor den Spiegel und schon findet sich ein Lächeln in ihrem Gesicht.

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