Vorwort: Mein lieber Freund...
Dieser Satz hat in meinen Erinnerungen an die Kindheit ganz verschiedene Klänge. Einerseits war es die wohlwollend liebevolle Anrede aus Briefen, die nur noch diejenigen von Ihnen kennen, die vor dem Zeitalter von Email und SMS geboren worden sind.
Andererseits konnte es aber auch der Auftakt zu einer bevorstehenden Gardinenpredigt sein – so manches Mal hat man bei dieser Ansprache schon mal vorsorglich den Kopf eingezogen.
Nein, ziehen Sie Ihren Kopf jetzt nicht zwischen die Schultern; es gibt keine Gardinenpredigt.
Lassen Sie uns stattdessen gemeinsam mit Andreas Sauer ein wenig über Freunde und Freundschaft nachsinnen – er hat sich nämlich so seine eigenen Gedanken gemacht.
Auslöser war die Plakatierung an der Haimbacher Straße anlässlich des Welt-Down-Syndrom-Tages. Das Bild zeigt zwei Menschen, die augenscheinlich in ein interessantes Zwiegespräch vertieft sind. Einer der beiden hat das Down-Syndrom. Das Bild hat auch eine Überschrift. Sie lautet: „Freunde zählen keine Chromosomen“.
Ein Bildtext, der sich eigentlich von selbst erklärt. Trotzdem scheint es aus der Sicht selbst betroffener Menschen nötig zu sein, dem noch mal Nachdruck zu verleihen und sicherzustellen, dass Nicht-Betroffene die Botschaft auch wirklich verstehen.
Herr Sauer weiß, wie wichtig Freunde in seinem Leben sind – und Gott sei Dank – hat er welche. Mit denen kann er sich über alles austauschen und die hören ihm zu. Dass er das Down-Syndrom hat, spielt dabei keine Rolle. Das ist für ihn Freundschaft: zusammen sein und nicht über Behinderung sprechen; denn was Behinderung ist, weiß er besser als seine Gesprächspartner.
Diese Erfahrungen verdankt er zu einem guten Teil der Tatsache, dass er seine Grundschulzeit in einer integrativen Grundschule verbringen konnte. Seine nichtbehinderten Klassenkameraden und er hatten dadurch reichlich Gelegenheit, sich in der Praxis normaler Dialoge zu üben – ein starkes Argument für die Inklusion.
Um Freunde zu finden – solche mit und ohne Handicaps – braucht man Gelegenheiten. Freunde kann man natürlich auch in der Behinderteneinrichtung finden. Aber Freunde in seiner Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, im Verein; das wäre eigentlich normal. Für Menschen mit Handicaps leider nicht immer.
Solche Gelegenheiten kommen nicht von allein; man muss etwas dafür tun. Grundschüler der Fliedetalschule machen es vor. Sie haben sich auf ein Experiment eingelassen: drei Tage lang gemeinsamer Deutschunterricht mit Schülerinnen und Schülern, die sonst eine Schule für geistig Behinderte besuchen. Lesen Sie, welche Erfahrungen die Kinder dabei gemacht haben. Oder in der Kletterhalle am Petersberg oder in der Schulmensa oder oder ...
Gelegenheiten für Begegnungen schaffen und Gelegenheiten für Begegnungen nutzen; da kann man Freunde finden. Haben Sie auch eine Idee? Tun Sie´s.
In diesem Sinne
"Mein bester Freund..."