Vorwort: „Du bist ein Idiot – fertig!“
Was hat es mit diesem neuen Magazin „Seitenwechsel“ auf sich? Warum sollten Sie es lesen? Weil es um ein Thema geht, das uns alle angeht:
„Inklusion!“ Als Lehrer an einer Förderschule könnte ich Ihnen viel darüber erzählen. Aber wie kann ich diesen Begriff in Kürze jemandem näherbringen, der sich bislang noch nicht damit beschäftigt hat, einen Begriff für dessen Erklärung die UNO in ihrer Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen schon über 40 Seiten benötigt hat? Ich stehe vor einem Problem!
Also bitte ich einen Kollegen aus dem Antoniusheim, mir behilflich zu sein. Meine Wahl fällt auf Andreas Sauer, der einmal mein Schüler war und der über eine besondere Gabe verfügt: Er kann komplizierte Dinge ganz einfach auf den Punkt bringen. Über sich selbst sagt er: „Ich habe ein Handicap – ein Downsyndrom – behindert bin ich aber nicht. Ich brauche aber eine Brille wegen meiner Sehschwäche.“
Wir sitzen zusammen, und ich frage ihn, was für ihn „Inklusion“ bedeutet, und erhalte eine jener Antworten, für die ich ihn so schätze: „Du sitzt im Rollstuhl, bist ein Idiot – fertig! Dabei muss man die Menschen begrüssen, wie sie sind!“
Sofort ist mir klar, genau das ist es: Man muss sich von den erlernten Bildern und Vorstellungen von Behinderung radikal verabschieden und nochmal neu hinschauen; die Seite wechseln (womit noch mal der Titel des Magazins erklärt wäre). Und wie ginge das einfacher, als den Menschen mit Handicaps im Alltag zu begegnen, sich auf den Dialog einzulassen, sich berühren zu lassen.
Dazu muss man genau die Hürden nehmen, die jahre-, manchmal jahrzehntelang in unseren Köpfen gewachsen sind. Mit diesem neuen Magazin, das ab jetzt vierteljährlich erscheinen soll, wollen wir Ihnen den Seitenwechsel erleichtern. Wir wollen Ihnen Menschen vorstellen, Lebenswirklichkeiten zeigen, Einblicke geben.
Vielleicht verstehen Sie dann auch, dass Behinderung gerade nicht in der Behinderung besteht, sondern eher in ihren Nebenwirkungen: in der stetig zunehmenden Vereinsamung, den Dialogen, von denen man ausgeschlossen wird, dem immer kleiner werdenden Kreis von Menschen, mit denen man sich treffen kann. Herr Sauer kann ein Lied davon singen, und er könnte es Ihnen auch ganz persönlich erklären, z.B. auf einer seiner Führungen.
Dann könnten Sie hautnah sehen, wie das wirklich ist mit den Behinderungen.
„Es wäre schön, wenn Sie dann das richtige Bild von uns vor den Augen haben“, sagt er.
Und über seine Mitarbeit im Redaktionsteam des „Seiten-Wechsel“ sagt er noch:
„Es tut gut, auch mal etwas für die Welt zu tun.“
In diesem Sinne: „Wir sehen uns!“