„Warum hast du ‘nen Behindertenausweis, bist du blöd?“

Behindert ist man nicht, behindert wird man. Da ist vielleicht die Treppe, die mit dem Rollstuhl unüberwindbar scheint, oder der komplizierte Text, der sich einfach nicht entschlüsseln lassen will.

Hier eine Rampe, da eine gute Erklärung, und schon geht vieles leichter. Was aber, wenn es die Mitmenschen sind, die einen behindern, einen zum Behinderten machen? Unser Redaktionsmitglied Andreas Sauer traf sich mit anderen Mitarbeitern von antonius zum Erfahrungsaustausch.

Andreas Sauer: Schön, dass ihr da seid. Erzählt doch einfach mal: Wie verhalten sich denn andere Menschen euch gegenüber?

Isabel Zimmer: Also ich werde mit meinem Übergewicht und mit meinen dicken Beinen oft, na ja, nicht unbedingt gehänselt, aber bei mir heißt es immer: Friss halt weniger. Aber meine dicken Beine kommen nicht vom Essen, sondern weil ich ein Lymph-/Lipödem habe. Ich hab also Wasser in den Beinen. Die wären auch dick, wenn ich weniger essen würde. So Sprüche kommen von Leuten, die mir so begegnen. Früher auch mal von Arbeitskollegen. Denen erkläre ich das dann, und dann ist das wieder gut.

Stephan Lambertz: Da, wo ich früher in Fulda gearbeitet habe, da haben die mich immer gehänselt und in einen Container eingesperrt. Das ist schon lange her. Da haben die mich nicht in Ruhe gelassen, weil ich ein bisschen langsam war. Die haben mich geärgert. Und wollten mich da nicht mehr rauslassen.

Andreas Göbel: Da biste aber wieder rausgekommen, oder?

Stephan Lambertz: Ich bin natürlich wieder rausgekommen. Ich habe mich ja selber befreit, ne? Der Chef wusste das, aber ich hab ja nie drüber gesprochen. Ich hab mir das ja alles gefallen lassen ein Leben lang. Dann habe ich mich beschwert. Dann haben sie auch nachher welche rausgeschmissen.

Astrid Schaaf: Manchmal geht’s bei mir vom Kopf her schneller, als ich es dann rausbringe. Und ich war mal in einer Wohngemeinschaft, da gab es so zwei, drei Leute, wenn ich dann mal etwas gesagt habe, haben sie mir oft einfach dazwischengehauen. Die Betreuerin hat dann gesagt: „Jetzt lasst die Astrid doch auch mal was sagen.“ Und ein- oder zweimal bin ich auch aufgestanden und bin raus, weil ich in dem Moment einfach nicht mehr gegen die ankam. Heute werde ich auch manchmal noch unsicher, und die Leute fragen dann, was los ist. Dann sag‘ ich: „Das kommt daher, dass es mal zwei, drei Leute gab, die mir ständig zwischen den Satz gehauen haben.“

Andreas Sauer: Man muss sich eben auf jeden Menschen einstellen. Wie bei der Barrierefreiheit. Es gibt immer noch Ortschaften, die überhaupt nicht barrierefrei sind. Wie sollen wir da denn leben, zum Beispiel als Rollstuhlfahrer?

Stephan Lambertz: Da hat sich doch vieles geändert für die Rollstuhlfahrer.

Isabel Zimmer: Durch den Behindertenausweis wird ja auch was gemacht. Meine Familie und ich waren unterwegs in Rotenburg ob der Tauber und da waren wir im Fastnachtsmuseum. Nichtbehinderte mussten 5,55 Euro zahlen, mit Behinderten oder Rentnerausweis waren es 4,44 Euro. Meine Oma hatte ihren Ausweis dabei und mein Vater auch, ich hatte meinen Behindertenausweis dabei, und da durfte meine Mutter als Begleitperson umsonst mit rein. [lacht]

Andreas Sauer: Aber bei manchen Veranstaltungen, da gibt es Leute, die sehen es nicht so gern, wenn man den Ausweis vorlegt. Mir ist das bei Gartenfesten in Osthessen aufgefallen. Da sehen die das nicht so gern, wenn tausend Menschen hinter mir stehen und ich als behinderter Mensch reinkomme. Dann gucken die und schieben dich aus der Schlange ins Abseits. Da fühle ich mich bedroht als Mensch mit Behinderung.

Isabel Zimmer: Also ich finde den Behindertenausweis schon nicht schlecht, wenn ich bedenke, was ich so verdiene. 105,75 Euro; ich hab meinen Gehaltsbescheid vorhin erst wieder gekriegt.

Julia Hübner: In der Schule hatte ich auch so einen Ausweis und da hat mich jemand gefragt: „Warum hast du denn einen Behindertenausweis?“ Da habe ich gesagt: „Ich bin halt ein bisschen anders als du.“ Der war überrascht. „Du hast ’ne Behinderung, das kann doch gar nicht sein!?“ Der hat mich als normalen Menschen gesehen, aber nicht als Behinderte.

Astrid Schaaf: Weißt du Julia, das kommt bestimmt auch dadurch, wenn man lernbehindert ist, das sieht man ja von außen nicht so.

Isabel Zimmer: Mich hat auch schon jemand angesprochen: „Warum hast du ’nen Behindertenausweis, bist du blöd?“ Wenn man einen Behindertenausweis hat, ist man automatisch blöd.

Julia Hübner: Körperliche oder geistige Behinderung macht schon einen Unterschied.

Astrid Schaaf: In den 90ern sind mir so Jugendliche, die waren damals vielleicht so zwischen zehn und 16 Jahre alt, die sind an mir vorbeigelaufen und haben gesagt: „Ach, da läuft ja jemand aus dem Antoniusheim.“ Da bin ich schneller gelaufen, bin vor die und hab gesagt: „Hier, was ihr da gesagt habt, das finde ich nicht gut. Zuhause geht ihr die Treppe runter und fallt ganz doof und seid dann auch behindert.“

Julia Hübner: Ja, man muss schon was sagen.

Isabel Zimmer: Kommt drauf an, wie blöd das Verhalten ist. [lacht] Also wenn mir wer zu blöd kommt, sag‘ ich vielleicht auch was oder ich ignorier‘ es und denk mir: „Red doch, was du willst.“ Meine Nichte hat sich mal vor mich gestellt, da wollte mich ein Klassenkamerad von ihr ärgern und hat mich fette Kuh genannt, da hat sie gemeint: „Sie ist dick und du bist doof, sie kann abnehmen und was machst du?“

Stephan Lambertz: Schöne Geschichte. Ich bin jetzt 53, da finde ich das nicht mehr so schlimm. Wenn man älter wird, dann wird man ruhiger, dann kann man die anerkennen. Ich nehm‘ die nicht mehr so ernst. Das stört mich nicht.

 

Ohne Isabel Zimmer (33) bliebe so mancher Kuchen im antonius LadenCafé ungebacken und so mancher Kunde unbedient.

Andreas Göbel (31) arbeitet in der Gemüseverarbeitung von antonius, wo er vor allem Gemüse schält und beim Außer-Haus-Transport der Ware mithilft.

Stoffe zuschneiden, Bestellungen aufnehmen und Näharbeiten erledigen: Das macht Julia Hübner (25) im Textilbereich des GestaltenWerks.

Früher auf dem ersten Arbeitsmarkt, ist Stephan Lambertz (53) nun Mitarbeiter der Gemüseverarbeitung von antonius und liefert im Auftrag der Küche Essen an die Wohngemeinschaften aus.

Nach einer längeren Zeit im antonius Laden ist Astrid Schaaf (52) momentan im Kartoffelschälbetrieb der antonius Gärtnerei beschäftigt.

Sarah Otterbein (21) arbeitet in der Metzgerei des antonius Ladens, wo sie Salate zubereitet, Pizzen belegt und die Wurstwarentheke auffüllt.

Sarah Otterbein fällt es schwer, mit Menschen, die nicht aus ihrem engsten Umfeld stammen, zu sprechen. Deswegen hat sie uns ein paar Gedanken zum Interview aufgeschrieben:

„Die Menschen gehen mit mir anders um, als mit ihren Freunden. Sie reden nicht viel mit mir, fragen mich nur mal eine Kleinigkeit, weil sie wissen, dass sie dann auch eine Antwort bekommen. Und dass ich da auch nicht viel sagen muss. Sie wissen halt auch nicht, was sie sonst mit mir reden sollen, weil sie wissen, dass ich nicht viel sage.“

„Wenn mich jemand wegen meiner Behinderung blöd behandelt, dann traue ich mich nicht, der Person die Meinung zu sagen. Stattdessen sage ich in dem Moment nichts. Ich würde mich gerne in so einer Situation anders verhalten und der Person richtig die Meinung sagen, damit sie weiß, dass sie das eigentlich nicht mit mir machen kann.“

aufgezeichnet von Bastian Ludwig

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