Wir bleiben Suchende

 „Ein Mensch glaubt, solange er lebt", so könnte man in Abwandlung eines Sprichwortes des griechischen Dichters Theokrit (300 - 260 v. Chr.) sagen. In dessen Ausspruch geht es eigentlich ums Hoffen, auf das der Mensch sein Leben lang angewiesen ist; denn nur die Toten hoffen nicht mehr.

 

„Ein Mensch glaubt, solange er lebt“, so könnte man in Abwandlung eines Sprichwortes des griechischen Dichters Theokrit (300 – 260 v. Chr.) sagen. In dessen Ausspruch geht es eigentlich ums Hoffen, auf das der Mensch sein Leben lang angewiesen ist; denn nur die Toten hoffen nicht mehr. In der Trilogie von Glaube, Hoffnung und Liebe geht es uns aber heute nicht um das Hoffen, sondern um das Glauben. Kein einfaches Unterfangen, wie Sie schnell feststellen werden, wenn Sie sich die Frage stellen, was Sie selbst eigentlich glauben. Die Frage rührt so unmittelbar an den Kern unserer Existenz, dass uns schnell mulmig wird. Außerdem ist das Glauben in unserem alltäglichen Sprachgebrauch eng mit dem Nichtwissen verknüpft und wer gibt im Zeitalter grenzenlos verfügbarer Information schon gerne zu, dass er etwas nicht weiß? Bevor es das Internet gab, glaubten wir doch irgendwie alle, dass die Ursache von Dummheit der mangelhafte Zugang zu Informationen sei. Dieser Drops kann getrost als gelutscht betrachtet werden. Denn trotz Google, Wikipedia und Co. sind wir allein durch die schiere Masse an Informationen mehr denn je zum Glauben verdammt. Wahrscheinlich hat Oswald Sprenger recht, wenn er zu bedenken gibt, dass Wissen womöglich gar kein Gegensatz zum Glauben ist, sondern vielmehr nur eine andere Art des Glaubens.

Wie dem auch sei, wir tun uns schwer damit. Schon der Glaube an uns selbst scheint erheblich ins Wanken gekommen zu sein. Wie sonst soll man die permanente Selbstvergewisserung per Handy am langen Stock oder mit ausgestrecktem Arm verstehen? Auch die wabernden Verschwörungstheorien zu allen möglichen Themen weisen auf eine gründliche Verunsicherung hin. Je uneindeutiger und widersprüchlicher uns die Wirklichkeit entgegentritt, desto kämpferischer verbreiten wir Glaubenssätze über sie. Hierher gehört auch das ständige Gerede vom Werteverfall, aber auch der fanatisch vorgetragene religiöse Fundamentalismus. 

Wir bleiben also Suchende. Da ist nichts Schlechtes daran, verbindet es uns doch mit allen unseren Vorfahren. Was sich offenbar geändert hat, ist die Angst vor dem Finden. Vielleicht begnügen wir uns deshalb mit den einfachen Antworten, wie man sie in jeder Buchhandlung regalmeterweise als Ratgeber zu allem Möglichen und Unmöglichen finden kann. Heimlich ahnen wir, dass das Leben komplizierter, gefährdeter, aber auch reicher und überraschender ist, als die neuen Glaubenssätze uns suggerieren wollen. Und spätestens jetzt kommt etwas ins Spiel, das der Dramatiker Ibsen so auf den Punkt bringt: „Du nennst es Glauben, wir heißen's Angst“.
In diesem Heft wollen wir Ihnen vielfältige Anregungen bieten, den unterschiedlichen Facetten des Glaubens nachzugehen. Wir hoffen, nicht der Anmaßung zu verfallen, ebenfalls nur Glaubenssätze zu offerieren, denen Sie wohl oder übel zu folgen haben. Wie immer geht es uns um den (inneren) Seitenwechsel, zu dem wir Sie auch mit dieser Ausgabe anregen wollen.

Ihr Hanno Henkel mit dem Redaktionsteam

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