„Wir handeln nicht nur aus Angst"
von Anna-Pia Kerber
Umweltaktivismus - die neue Art der Jugendrebellion
Wo ist sie hin, die Zeit der Rebellion, als die Jugend auf die Straße ging? Wo sind die Querdenker und Aufmüpfigen, die gegen ein festgefahrenes System protestieren? Der Jugend wird seit langem vorgeworfen, sie sei zu bequem. Übersättigt. Auf die Generation der 70er folgte eine der Nesthocker: Bei den Eltern wohnend, gut versorgt, sicher und ohne Motivation, etwas besser zu machen. Warum auch?
Doch aktuell scheint es sich wieder umzukehren: Vor allem der Klimaschutz treibt die Jugend auf die Straßen.
Kreativer Protest in Fulda: Die erste Fridays for Future-Demo am 15.03.2019
„Ich bin begeistert von der Jugend!“, schwärmt die NAJU-Beauftragte Annelie Röhm. Die 66-Jährige leitet seit 2017 die Kinder- und Jugendgruppen des Naturschutzbundes Fulda. „Die Jugendlichen nutzen alle Kanäle und vernetzen sich. Heute ist man nicht mehr nur auf die Zeitung angewiesen.“
Alle Kanäle nutzen – das tut vor allem die globale Bewegung Fridays for Future. Auch in Fulda gibt es eine Gruppe. Die jungen Leute zwischen 16 und 30 Jahren setzen sich für den Klima- und Umweltschutz ein, veranstalten Müllsammelaktionen und Demonstrationen. Im vergangenen Jahr übergaben sie Oberbürgermeister Wingenfeld eine Wunschliste. Dabei ging es um mehr Photovoltaikanlagen, bessere Radwege, eine autofreie Innenstadt und um das Problem der zunehmenden Schottergärten. Ob die Wunschliste angekommen ist? „Wir hatten das Gefühl, dass man uns ernst genommen hat“, berichtet Marius Schäfer, einer der Mitorganisatoren. „Und wir wollen gerne mit der Stadt im Dialog bleiben.“
Im Dialog bleiben – das kann zum Balanceakt werden, wenn man Strukturen verändern möchte, die über Jahrzehnte gewachsen sind. Doch anders als manch radikale Ortsgruppe setzen die Fuldaer Fridays auf friedliche Rebellion. „Verständnisvoll bleiben – und kritisch“, sagt Ilka. Die Schülerin aus Fulda kümmert sich um die Organisation und Aufgabenverteilung in der Gruppe. Wirklich anecken möchte hier niemand. Anders als die schwedische Greta Thunberg wollen sie die ältere Generation nicht anklagen. In einer Rede sagte die Klimaaktivistin unter Tränen: „Ihr seid Schuld, dass wir keine Zukunft haben!“ Die Leute von Fridays for Future Fulda sehen das anders. Sie möchten gemeinsam mit der älteren Generation eine sinnvolle Lösung finden. „Wir wollen nicht anprangern“, betont Lotti, ebenfalls Schülerin und Klimaaktivistin. „Menschen mitnehmen, ohne ihnen Vorwürfe zu machen. Ein gutes Leben für alle sichern – das ist der Konsens“, fügt Marius hinzu.
Greta Thunberg ist ein Vorbild der Bewegung, aber mit Klimawandel und Naturschutz haben sich alle schon beschäftigt, bevor es die Fridays for Future gab. Die Initiative war nur eine willkommene Plattform, auf der man sich treffen konnte. „Ich war froh, dass ich nicht der einzige bin, dem die Klimaentwicklung und das Artensterben Angst machen“, erklärt Matthias. Der 30-Jährige möchte sich auch weiterhin für die Gruppe engagieren, obwohl er bald einen Job in einer anderen Stadt annimmt. „Mir fiel ein Buch in die Hände, in dem beschrieben wird, wie viele Arten tagtäglich aussterben. Viele scheinen davon gar nichts zu wissen.“ Andere redeten nur nicht darüber.
Eine Erfahrung, die auch Annelie Röhm gemacht hat. „Bleib mir weg mit Umweltschutz, hat mein Chef zu mir gesagt. Privat könne ich machen, was ich wolle – im Betrieb hätte das Thema nichts zu suchen.“ Im Gegensatz zum Engagement bei der Freiwilligen Feuerwehr würden Ehrenamtliche im Umweltschutz als Störenfriede betrachtet. „Viele haben nicht das Selbstbewusstsein, zu sagen, dass sie beim NABU sind.“
Auch bei der Stadtverwaltung sei sie oft auf taube Ohren gestoßen: Man müsse Strukturen beachten, sich an Regeln halten. Dabei sind die Themen so brisant, dass sie Aufsehen erregen müssten. Als Beispiel nennt Röhm das Gebiet unterhalb der Frankfurter Straße. „Das ist Überschwemmungsgebiet, das bebaut man nicht!“ Nicht nur die Ozeane dehnten sich aus, auch die Flüsse würden ansteigen. „Die Fulda wird es uns eines Tages zeigen. Ich kann sehr gut verstehen, dass die jungen Leute sich aufbäumen. Sie haben Angst.“
Angst scheint ein zentraler Faktor zu sein, warum die Jugend auf die Straße geht. Kein Wunder, ist sie doch ständig mit apokalyptischen Nachrichten konfrontiert. Aber dem düsteren Bild, das die Medien zeichnen, stehen die Jugendlichen trotzdem kritisch gegenüber. „Wir handeln nicht nur aus Angst“, schränkt Matthias ein. „Es ist eine sehr selektive Berichterstattung. Das muss man durchschauen, um handlungsfähig zu bleiben.“
Und handeln, das heißt für sie vor allem: auf Missstände aufmerksam machen. Aber eine Demo, findet Lotti, ist nur effektiv, wenn sie nicht radikal ist. „Wir sehen uns in der Tradition der Aufklärung“, betont Matthias. Der Kampf gegen Vorurteile und für Toleranz, Bildung, Menschenrechte und Gemeinwohl ist ihnen wichtig. Um das zu erreichen, braucht es auch Widerstand gegen alte Zöpfe und Privilegien. Beobachtet man jedoch die Gruppe, spürt man zuweilen ein leises Zögern. Rebellion ja, aber darf man das auch? Vor allem: Wie formuliert man die Dinge so, dass sie etwas bewirken?„Man muss auch immer bedenken, wer vor einem sitzt“, räumt Marius ein. Die Gruppe diskutiert derzeit, wie man mit einem Gegenüber wie der RhönEnergie umgehen sollte. Sie wollen nicht angreifen, sich aber auch nicht abweisen lassen.
Während bei den Fridays Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit im Vordergrund stehen, setzen Naturschutzverbände stärker auf Umweltbildung und Naturerleben. So will auch die NAJU die Generationen zusammenführen, aber über konkrete Familienprojekte. Wer mit seinen Eltern Nistkästchen baue, Müll sammele oder Weiher freischneide, entwickele eine tiefere Naturbegeisterung, denn sie gehe über das gemeinsame Erleben und gemeinsame Erinnerungen, betont Röhm. Vor allem Aktionen im Wald kämen bei Kindern gut an. „Ein Junge sagte zu seiner Mutter: Mutti, ich will nicht zum Karneval, ich will hier im Wald bleiben!“ Wenn sie solche Momente erlebt, fühlt sie sich in ihrer Arbeit bestärkt, und es gelingt ihr, alle mitzureißen. „Da kommt ein Sprüher von Begeisterung!“, sagt sie über sich selbst mit einem Lachen.
Allerdings hat sie beobachtet, dass Jugendliche das Thema lieber auf eigene Art angehen wollen. „Die alten Vereinsstrukturen sind ihnen zu verkrustet, da ergreifen sie ziemlich schnell die Flucht.“ Ältere Mitglieder des NABUS beklagen das vermeintliche Desinteresse der Jugend und berichten, dass zu den Vorträgen über Vogelkunde kein einziger Jugendlicher erscheint.
Doch der Wille zum Umweltschutz ist da. Für ein nachhaltiges Engagement braucht es allerdings moderne Formen. Annelie Röhm hat das verstanden und versucht, Events anzupassen und attraktiver zu gestalten. Für nächstes Jahr plant sie ein Survival-Training im Wald und ein Drei-Generationen-Camp. „Da können Großvater, Vater und Sohn etwas zusammen unternehmen.“ Sie findet es gut, dass die Kinder heute nicht mehr so stark gemaßregelt und zu mehr Selbständigkeit erzogen werden. Auch die Rollenverteilung hat sich komplett verändert. Zu ihren Veranstaltungen kommen viele junge Väter mit ihrem Nachwuchs.
Letzten Endes ist es die direkte Berührung mit der Natur, die Wirkung zeigt. Mit einem Förster in den Wald gehen, eine aufregende Nachtwanderung machen, Tiere aus nächster Nähe beobachten. Auch Marius Schäfer weiß: „Das Thema muss einen berühren. Es geht nicht nur über den Verstand.“ Daher genügt es auch nicht, ein Like auf Facebook oder Instagram zu setzen. Naturschutz ist mehr als Pop-up-Aktivismus. Darin sind sich alle einig. Vor allem ist es ein Thema, bei dem man einen langen Atem brauche. Es sei wie beim Wachstum der Bäume, sagt Annelie Röhm. Entscheidungen sollten nachhaltig sein und alle Generationen einschließen. Auch die kommenden. Dafür lohne es sich, auf die Straße zu gehen.