Zu pessimistisch? Hoffentlich

„Das Alter ist die schlimmste Krankheit, die man kriegen kann“, sagte mein Vater, als der Herbst seines Lebens vorbei und er im Winter angekommen war. Ein anderer Vater gab seinem Kind, mit dem wir über das Alter gesprochen haben, den Rat, er solle die Zeit zwischen den Windeln genießen. So sehen wir also das Alter: als Zeit des Absterbens. Von niemandem herbeigewünscht, von den meisten gefürchtet. Eine ganze Industrie lebt gut davon, dass Menschen gerne bereit sind, viel Geld dafür auszugeben, schon bei den ersten Anzeichen des drohenden Verfalls dagegen zu halten. So, als könne man das Altern wirklich aufhalten oder die Kraft der Jugend konservieren. Eine Lebenslüge. Um die Unmöglichkeit weiß wohl jeder und dennoch boomt der Markt. Derweil verschwinden die wirklich Alten aus dem Blickfeld. In unserer vom Jugendwahn geprägten Zeit wird der „Senior“ solange toleriert, wie er „rüstig“ ist. Kein Platz in der Gesellschaft finden Greise oder Gebrechliche. Ihr Lebensraum sind all zu oft die Heime. Unsichtbar legen sie dort ihre letzte Wegstrecke zurück. Zu schwarz gesehen? Zu pessimistisch? Hoffentlich!

Mit der neuen Ausgabe des SeitenWechsels wollen wir der Hoffnung etwas Nahrung geben. Wir haben Kinder gefragt, wie das mit dem Alter ist und ermutigende Antworten erhalten. Die Großeltern werden sich freuen, welch gutes Zeugnis ihnen von den Enkeln ausgestellt wird. Mit Altenpflegern haben wir gesprochen und konnten uns davon überzeugen, dass die zum Teil schwierigen Arbeitsbedingungen sie nicht von ihren ursprünglichen Motiven und Haltungen abgebracht haben.
Hildegard Hast, die langjährige Frauenbeauftragte der Stadt Fulda, erzählte uns, was sie sich ursprünglich für ihr Alter vorgenommen hatte, was daraus geworden ist und worin die Aufgabe des Alterns für sie besteht.
Schließlich berichten zwei glückliche Menschen jenseits der 70, dass auch im Alter noch mit Überraschungen zu rechnen ist. Nichts ist hier zu Ende und hoffnungslos; ganz im Gegenteil.
Die Fotografien, die Ihnen Arnulf Müller in diesem Heft zeigt, nehmen Sie mit auf eine Lebensreise. Der Bildvergleich macht bewusst, dass wir nie einfach nur jung waren oder einfach nur alt sein werden. In der Jugend ist das Alter vorweggenommen, im Alter ist die Jugend noch da. Zugleich zeigen die Bilder einen Seitenwechsel, der diesmal etwas anders ist als sonst: Er ist unausweichlich. Sich frühzeitig immer mal in Gedanken darauf einzulassen, könnte eine gute Übung sein, die Kunst des Alterns zu erlernen.

Ihr Hanno Henkel 
mit dem Redaktionsteam

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